Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Lamoöns. herrschte weit umher. Als er vor Vcirretos Thür trat, hörte er drinnen die Der Dichter schlug ohne Besinnen denselben Hauptweg durch den Flecken Mit diesen Gedanken blieb Camoens auf seinem Pfade bergaufwärts allein. Die Messe hatte schon begonnen und Camoens konnte sich nur mit lang¬ Lamoöns. herrschte weit umher. Als er vor Vcirretos Thür trat, hörte er drinnen die Der Dichter schlug ohne Besinnen denselben Hauptweg durch den Flecken Mit diesen Gedanken blieb Camoens auf seinem Pfade bergaufwärts allein. Die Messe hatte schon begonnen und Camoens konnte sich nur mit lang¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197862"/> <fw type="header" place="top"> Lamoöns.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1269" prev="#ID_1268"> herrschte weit umher. Als er vor Vcirretos Thür trat, hörte er drinnen die<lb/> Atemzüge des fest schlummernden. Und so an allen Thüren, an denen er mit<lb/> unhörbaren Schritten vorüberging, so im Hofe, den er über die große Treppe<lb/> erreichte und in dem ein einziger halbwacher Pferdeknecht seine Tränkeimer um<lb/> Brunnen füllte und dem Kavalier, der zu so früher Stunde das Gehöft ver¬<lb/> ließ, wie einer Traumerscheinnng nachstarrte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1270"> Der Dichter schlug ohne Besinnen denselben Hauptweg durch den Flecken<lb/> zum königlichen Schloß ein, den er gestern mit Barreto mehr als einmal ge¬<lb/> gangen war. Er wollte in der Kirche des Palastes eine Frühmesse hören und<lb/> dann durch die Gärten herabsteigen, welche er und sein Begleiter in der Nacht<lb/> zur Seite gelassen hatten. Eine Hoffnung, die er sich nicht eingestand, regte<lb/> sich neben dem einfachen Vorsätze. Wäre es ihm nur um die Andacht zu thun<lb/> gewesen, so brauchte er die steile Treppe nicht hinaufzusteigen, rechts von ihm<lb/> klangen die Glocken der Kirche San Miguel, und links die des Jesuitenkollegiums<lb/> und riefen zur Messe. Ihn aber zog es dem roten Lichte entgegen, das über<lb/> den Bergen schimmerte. Vor zwanzig Jahren, ehe er sich nach Goa eingeschifft<lb/> hatte, war es Hvfbranch gewesen, daß die Damen der Königin den ersten<lb/> Morgengottesdienst besuchten; wenn der Brauch noch bestand, konnte er der<lb/> Herzogin und ihrer Pflegebefohlenen bei der Pforte begegnen, die von der<lb/> Schloßkirche zu den Gartenterrnssen führte. Und geschah dies, so wollte er,<lb/> unbekümmert um Barretvs Bedenken, nur jener Eingebung folgen, die ihm riet,<lb/> für Esmnh Teilnahme und Hilfe bei Catarina Pnlmeirim zu suchen. Der kühle,<lb/> stille Morgen hauchte ihm eine geheime Zuversicht in die Seele, daß er richtiger<lb/> fühle als sein alter Kampfgenosse, daß sein leidenschaftliches Ungestüm besser<lb/> sei als Barretos mißtrauische Weisheit! Er empfand im voraus, welches Glück<lb/> für ihn darin liegen würde, wenn er die übervorsichtigen Bedenken des Freundes<lb/> siegreich wiederlegen könnte. Je tiefer er dem Manne verpflichtet war. der ihm<lb/> die Pforte neuer Lebenshoffmmg erschlossen hatte, umsomehr drängte es ihn,<lb/> auch seinerseits dem Vereinsamten eine Herzensfreude zu bereiten und die Wolken<lb/> zu zerstreuen, die sich um sein Haupt lagerten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1271"> Mit diesen Gedanken blieb Camoens auf seinem Pfade bergaufwärts allein.<lb/> Im Flecken hatte wenigstens hie und da, aus einer Thür oder über eine Hof-<lb/> mauer hinweg, ein Menschen gesteht nach ihm geschaut, aber die große Straße<lb/> zum Palast, bis an das Thor hinauf, war zu dieser Stunde völlig leer, ja<lb/> selbst als Camoens die Höhe erstiegen hatte und das Thor durchschritt, waren<lb/> die Wachen, die übermüdet in das rosige Morgenlicht starrten, die einzige»<lb/> lebenden Wesen. Erstaunt sahen sie einen vom Thale emporkommenden dnrch<lb/> das Thor treten; aber da Camoens über den Hof hinweg der Kirche zuging,<lb/> hemmten sie ihn nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1272" next="#ID_1273"> Die Messe hatte schon begonnen und Camoens konnte sich nur mit lang¬<lb/> samen Schritten dem Altar nähern. Die Kirche schien so leer zu sein wie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0438]
Lamoöns.
herrschte weit umher. Als er vor Vcirretos Thür trat, hörte er drinnen die
Atemzüge des fest schlummernden. Und so an allen Thüren, an denen er mit
unhörbaren Schritten vorüberging, so im Hofe, den er über die große Treppe
erreichte und in dem ein einziger halbwacher Pferdeknecht seine Tränkeimer um
Brunnen füllte und dem Kavalier, der zu so früher Stunde das Gehöft ver¬
ließ, wie einer Traumerscheinnng nachstarrte.
Der Dichter schlug ohne Besinnen denselben Hauptweg durch den Flecken
zum königlichen Schloß ein, den er gestern mit Barreto mehr als einmal ge¬
gangen war. Er wollte in der Kirche des Palastes eine Frühmesse hören und
dann durch die Gärten herabsteigen, welche er und sein Begleiter in der Nacht
zur Seite gelassen hatten. Eine Hoffnung, die er sich nicht eingestand, regte
sich neben dem einfachen Vorsätze. Wäre es ihm nur um die Andacht zu thun
gewesen, so brauchte er die steile Treppe nicht hinaufzusteigen, rechts von ihm
klangen die Glocken der Kirche San Miguel, und links die des Jesuitenkollegiums
und riefen zur Messe. Ihn aber zog es dem roten Lichte entgegen, das über
den Bergen schimmerte. Vor zwanzig Jahren, ehe er sich nach Goa eingeschifft
hatte, war es Hvfbranch gewesen, daß die Damen der Königin den ersten
Morgengottesdienst besuchten; wenn der Brauch noch bestand, konnte er der
Herzogin und ihrer Pflegebefohlenen bei der Pforte begegnen, die von der
Schloßkirche zu den Gartenterrnssen führte. Und geschah dies, so wollte er,
unbekümmert um Barretvs Bedenken, nur jener Eingebung folgen, die ihm riet,
für Esmnh Teilnahme und Hilfe bei Catarina Pnlmeirim zu suchen. Der kühle,
stille Morgen hauchte ihm eine geheime Zuversicht in die Seele, daß er richtiger
fühle als sein alter Kampfgenosse, daß sein leidenschaftliches Ungestüm besser
sei als Barretos mißtrauische Weisheit! Er empfand im voraus, welches Glück
für ihn darin liegen würde, wenn er die übervorsichtigen Bedenken des Freundes
siegreich wiederlegen könnte. Je tiefer er dem Manne verpflichtet war. der ihm
die Pforte neuer Lebenshoffmmg erschlossen hatte, umsomehr drängte es ihn,
auch seinerseits dem Vereinsamten eine Herzensfreude zu bereiten und die Wolken
zu zerstreuen, die sich um sein Haupt lagerten.
Mit diesen Gedanken blieb Camoens auf seinem Pfade bergaufwärts allein.
Im Flecken hatte wenigstens hie und da, aus einer Thür oder über eine Hof-
mauer hinweg, ein Menschen gesteht nach ihm geschaut, aber die große Straße
zum Palast, bis an das Thor hinauf, war zu dieser Stunde völlig leer, ja
selbst als Camoens die Höhe erstiegen hatte und das Thor durchschritt, waren
die Wachen, die übermüdet in das rosige Morgenlicht starrten, die einzige»
lebenden Wesen. Erstaunt sahen sie einen vom Thale emporkommenden dnrch
das Thor treten; aber da Camoens über den Hof hinweg der Kirche zuging,
hemmten sie ihn nicht.
Die Messe hatte schon begonnen und Camoens konnte sich nur mit lang¬
samen Schritten dem Altar nähern. Die Kirche schien so leer zu sein wie
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