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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Homerule.

welchen Eingriff in die Prärogativen der Krone und ohne irgendwelche Störung
der Grundgedanken der Verfassung zu erreichen."

Es war die Aufgabe des jetzt verstorbenen Butt und später die seines
nächsten Nachfolgers in der Führcrrolle, Shaw, dieses Programm im britischen
Unterhause zu verkünden und zu verteidigen. Die Gefolgschaft Pcirnells, des
jetzigen Führers, erinnert an das Vorgehen jener frühern Homeruler nicht mit
dankbarer Gesinnung. Viele von dem irischen Unterhausmitgliedern, die jetzt
zum erstenmale ins Parlament gewählt worden sind, nehmen keinen Anstand,
sie als zu vorsichtig und zu sehr als durch Tory- oder wenigstens durch Gc-
samtstaatsprinzipieu gefesselt zu bezeichnen, um imstande zu sein, dem irischen
Volke eine seinen Erwartungen entsprechende Lösung der Frage zu bieten. Der
Gedanke des Horns Rü1<z hat durch die Partei Pcirnells eine durchgreifendere
oder schroffere, gröbere Deutung erhalten als in der Zeit, wo Butt, Sullivau
und Shaw ihn vertraten. Parnell fand, daß eine bloß separatistische Politik, so
lange die Landfrage als eine nebensächliche angesehen und behandelt würde, unter
den Iren daheim nur auf eine beschränkte Zahl von Anhängern zu rechnen hätte,
wenn auch die amerikanischen Freunde derselben sowohl an Zahl als an Frei¬
gebigkeit stark ins Gewicht sielen. Die irische Partei übersieht dies jetzt nicht
mehr. Sir Thomas Grädten Esmoude, ein junger Baronet, Landbesitzer und
Unterhansabgeordneter, hat es mit Beihilfe von acht oder zehn Kollegen, die
seine Ansichten gelegentlich mit etwas mehr Emphase und Ausführlichkeit vor¬
trugen, übernommen, offenherzig auszusprechen, was gegenwärtig im wesentlichen
die Meinungen und Endziele seiner Partei sind. Es sind in einigen Punkten
ungefähr dieselben, mit welchen der Bund der Hvmcrnler ins Leben trat, aber
sie unterscheiden sich, wie er bemerkt, insofern von allen frühern Jnterpretatioueu
des Begriffs Homo R,u1o, daß die Landfrage, die Frage, wie das Verhältnis
der Pächter zu den Grundherren aufgefaßt und umgestaltet werden soll, eine
Wichtigkeit angenommen hat, die nur der Bedeutung der Natioualitätsfrage den
Vorrang einräumen läßt. O'Connell, so äußerte sich ein irisches Parlaments¬
mitglied, konnte es mit allen seinen Anstrengungen zu nichts rechtem bringen,
weil in seinem Programme die Emanzipation nicht von einer Maßregel begleitet
war, welche die Pächter Irlands in Eigentümer des von ihnen bestellten Bodens
verwandelte. Die "Platform" der Jrlünder hat jetzt vier "Planken," ihr Pro¬
gramm besteht aus vier Artikeln oder Paragraphen, welche die Überschriften
Parlament, Grund und Boden, Handel und Gewerbe, endlich Polizei tragen.
Über die Schwierigkeiten des zuletzt genannten Punktes kommen die irischen
Unterhausmitglicder sehr schnell hinweg, indem sie meinen, die Hälfte der jetzigen
Polizeimacht würde unter dem von ihnen erstrebten neuen Regime genügen, um
den Bedürfnissen Irlands zu entsprechen; hätte das Land einmal die Befugnis,
sich selbst zu regiere", so würde die Notwendigkeit einer gesamtstaatlichen Macht
zur Erhaltung der Ordnung sofort geringer werden und bald ganz schwinden.


Homerule.

welchen Eingriff in die Prärogativen der Krone und ohne irgendwelche Störung
der Grundgedanken der Verfassung zu erreichen."

Es war die Aufgabe des jetzt verstorbenen Butt und später die seines
nächsten Nachfolgers in der Führcrrolle, Shaw, dieses Programm im britischen
Unterhause zu verkünden und zu verteidigen. Die Gefolgschaft Pcirnells, des
jetzigen Führers, erinnert an das Vorgehen jener frühern Homeruler nicht mit
dankbarer Gesinnung. Viele von dem irischen Unterhausmitgliedern, die jetzt
zum erstenmale ins Parlament gewählt worden sind, nehmen keinen Anstand,
sie als zu vorsichtig und zu sehr als durch Tory- oder wenigstens durch Gc-
samtstaatsprinzipieu gefesselt zu bezeichnen, um imstande zu sein, dem irischen
Volke eine seinen Erwartungen entsprechende Lösung der Frage zu bieten. Der
Gedanke des Horns Rü1<z hat durch die Partei Pcirnells eine durchgreifendere
oder schroffere, gröbere Deutung erhalten als in der Zeit, wo Butt, Sullivau
und Shaw ihn vertraten. Parnell fand, daß eine bloß separatistische Politik, so
lange die Landfrage als eine nebensächliche angesehen und behandelt würde, unter
den Iren daheim nur auf eine beschränkte Zahl von Anhängern zu rechnen hätte,
wenn auch die amerikanischen Freunde derselben sowohl an Zahl als an Frei¬
gebigkeit stark ins Gewicht sielen. Die irische Partei übersieht dies jetzt nicht
mehr. Sir Thomas Grädten Esmoude, ein junger Baronet, Landbesitzer und
Unterhansabgeordneter, hat es mit Beihilfe von acht oder zehn Kollegen, die
seine Ansichten gelegentlich mit etwas mehr Emphase und Ausführlichkeit vor¬
trugen, übernommen, offenherzig auszusprechen, was gegenwärtig im wesentlichen
die Meinungen und Endziele seiner Partei sind. Es sind in einigen Punkten
ungefähr dieselben, mit welchen der Bund der Hvmcrnler ins Leben trat, aber
sie unterscheiden sich, wie er bemerkt, insofern von allen frühern Jnterpretatioueu
des Begriffs Homo R,u1o, daß die Landfrage, die Frage, wie das Verhältnis
der Pächter zu den Grundherren aufgefaßt und umgestaltet werden soll, eine
Wichtigkeit angenommen hat, die nur der Bedeutung der Natioualitätsfrage den
Vorrang einräumen läßt. O'Connell, so äußerte sich ein irisches Parlaments¬
mitglied, konnte es mit allen seinen Anstrengungen zu nichts rechtem bringen,
weil in seinem Programme die Emanzipation nicht von einer Maßregel begleitet
war, welche die Pächter Irlands in Eigentümer des von ihnen bestellten Bodens
verwandelte. Die „Platform" der Jrlünder hat jetzt vier „Planken," ihr Pro¬
gramm besteht aus vier Artikeln oder Paragraphen, welche die Überschriften
Parlament, Grund und Boden, Handel und Gewerbe, endlich Polizei tragen.
Über die Schwierigkeiten des zuletzt genannten Punktes kommen die irischen
Unterhausmitglicder sehr schnell hinweg, indem sie meinen, die Hälfte der jetzigen
Polizeimacht würde unter dem von ihnen erstrebten neuen Regime genügen, um
den Bedürfnissen Irlands zu entsprechen; hätte das Land einmal die Befugnis,
sich selbst zu regiere», so würde die Notwendigkeit einer gesamtstaatlichen Macht
zur Erhaltung der Ordnung sofort geringer werden und bald ganz schwinden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/205>, abgerufen am 05.02.2025.