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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Agitationen auf dem Gebiete der höheren Schulen.

Zeichnen :c. verbanden und den Namen Realschule festhielten, und solche niederer
Art, ohne fremde Sprachen, mit geringern Zielen, aber tüchtiger Einführung
in technische Aufgaben, wie sie in der anfänglichen Einrichtung der Gewerbe¬
schulen ihren Typus hatten. Natürlich gab es auch Mischformen, namentlich
solche Realschulen, in denen auf Verlangen auch Lateinisch unterrichtet wurde,
um Schülern den Zugang zum Gymnasium zu erleichtern. Anderseits wurden
die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich und England nach und nach so be¬
deutend, daß nicht bloß die Gymnasien gezwungen waren, das Französische mit
in den Lehrplan aufzunehmen, sondern überhaupt die technischen Schulen,
die das Französische und Englische ausschlossen, nur als Fachschulen angesehen
wurden, die eine eigentliche Bildung nicht erstrebten.

In eine solche Vielförmigkeit brachte in Preußen im Oktober 1859 das
Ministerium eine amtliche Regelung. Nehmen wir gleich die moderne Be-
zeichnung vorweg, so gründete man Realgymnasien, Gymnasien ohne Griechisch,
mit wenig Latein, mit Französisch und Englisch, mit vielen Stunden Mathe¬
matik, Naturkunde und Physik und mit Zeichnen. Die Voraussetzung war, daß
eine Einheitsschule für höhere Bildung uicht mehr möglich sei, insofern das
Gymnasium nicht imstande sei, auch zugleich dem modernen Leben hinreichend
zu dienen. Um nicht die eine Absicht durch die andre zu verderben, müsse
man zwei ebenbürtige, gleichwertige, wenn auch nicht gleichartige Schulen für
allgemeine Bildung herstellen. Die ganze Verfügung, eine der gediegensten,
die wir haben, ging, wie man sieht, aus Wohlwollen für die Realschulen hervor.
Darum konnte sie auch nicht auf das Lateinische ganz verzichten. Denn dann
hätte sofort jedermann diese Schulen für Schulen untergeordneter Art gehalten,
und das wollte man ihnen nicht anthun. Vielmehr zeigte sich nach längerer
Zeit, daß man mit den wenigen lateinischen Stunden nicht aufkam. Die
Leistungen der Rcalabiturietnen, die ungefähr denen der Untertertianer des
Gymnasiums entsprachen, genügten den Freunden dieser Schulen so wenig, daß
man es ziemlich allgemein billigte, als diese Realgymnasien, die allmählich wie
die Gymnasien neun Jahreskurse erhalten hatten, das Lateinische um zehn Stunden
höher ansetzen mußten. Auch so ist in dem Ergebnis des Lateinischen noch ein
großer Unterschied, aber es ist doch erwiesen, daß ein guter Zögling eines Real¬
gymnasiums, der noch das Gymnasialexamen machen will, in anderthalb Jahren,
wenn er sich ausschließlich dem Lateinischen, Griechischen und der alten Ge¬
schichte widmet, mit seiner Aufgabe fertig werden kann Der Unterschied des
Ergebnisses im Lateinischen kann also nicht so groß sein.

Nun ist es interessant, zu sehen, wie die Schulbehörde von Schritt zu
Schritt gedrängt wird, diesen Realgymnasien mehr Bedeutung beizumessen. Nicht
als ob die Städte denselben ihre besondre Gunst hätten zuteil werden lassen.
Im Gegenteil, die obern Klassen der modernen Schulen waren sehr schwach
besucht, und manche Realgymnasien sind in Gymnasien verwandelt worden.


Agitationen auf dem Gebiete der höheren Schulen.

Zeichnen :c. verbanden und den Namen Realschule festhielten, und solche niederer
Art, ohne fremde Sprachen, mit geringern Zielen, aber tüchtiger Einführung
in technische Aufgaben, wie sie in der anfänglichen Einrichtung der Gewerbe¬
schulen ihren Typus hatten. Natürlich gab es auch Mischformen, namentlich
solche Realschulen, in denen auf Verlangen auch Lateinisch unterrichtet wurde,
um Schülern den Zugang zum Gymnasium zu erleichtern. Anderseits wurden
die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich und England nach und nach so be¬
deutend, daß nicht bloß die Gymnasien gezwungen waren, das Französische mit
in den Lehrplan aufzunehmen, sondern überhaupt die technischen Schulen,
die das Französische und Englische ausschlossen, nur als Fachschulen angesehen
wurden, die eine eigentliche Bildung nicht erstrebten.

In eine solche Vielförmigkeit brachte in Preußen im Oktober 1859 das
Ministerium eine amtliche Regelung. Nehmen wir gleich die moderne Be-
zeichnung vorweg, so gründete man Realgymnasien, Gymnasien ohne Griechisch,
mit wenig Latein, mit Französisch und Englisch, mit vielen Stunden Mathe¬
matik, Naturkunde und Physik und mit Zeichnen. Die Voraussetzung war, daß
eine Einheitsschule für höhere Bildung uicht mehr möglich sei, insofern das
Gymnasium nicht imstande sei, auch zugleich dem modernen Leben hinreichend
zu dienen. Um nicht die eine Absicht durch die andre zu verderben, müsse
man zwei ebenbürtige, gleichwertige, wenn auch nicht gleichartige Schulen für
allgemeine Bildung herstellen. Die ganze Verfügung, eine der gediegensten,
die wir haben, ging, wie man sieht, aus Wohlwollen für die Realschulen hervor.
Darum konnte sie auch nicht auf das Lateinische ganz verzichten. Denn dann
hätte sofort jedermann diese Schulen für Schulen untergeordneter Art gehalten,
und das wollte man ihnen nicht anthun. Vielmehr zeigte sich nach längerer
Zeit, daß man mit den wenigen lateinischen Stunden nicht aufkam. Die
Leistungen der Rcalabiturietnen, die ungefähr denen der Untertertianer des
Gymnasiums entsprachen, genügten den Freunden dieser Schulen so wenig, daß
man es ziemlich allgemein billigte, als diese Realgymnasien, die allmählich wie
die Gymnasien neun Jahreskurse erhalten hatten, das Lateinische um zehn Stunden
höher ansetzen mußten. Auch so ist in dem Ergebnis des Lateinischen noch ein
großer Unterschied, aber es ist doch erwiesen, daß ein guter Zögling eines Real¬
gymnasiums, der noch das Gymnasialexamen machen will, in anderthalb Jahren,
wenn er sich ausschließlich dem Lateinischen, Griechischen und der alten Ge¬
schichte widmet, mit seiner Aufgabe fertig werden kann Der Unterschied des
Ergebnisses im Lateinischen kann also nicht so groß sein.

Nun ist es interessant, zu sehen, wie die Schulbehörde von Schritt zu
Schritt gedrängt wird, diesen Realgymnasien mehr Bedeutung beizumessen. Nicht
als ob die Städte denselben ihre besondre Gunst hätten zuteil werden lassen.
Im Gegenteil, die obern Klassen der modernen Schulen waren sehr schwach
besucht, und manche Realgymnasien sind in Gymnasien verwandelt worden.


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[0174] Agitationen auf dem Gebiete der höheren Schulen. Zeichnen :c. verbanden und den Namen Realschule festhielten, und solche niederer Art, ohne fremde Sprachen, mit geringern Zielen, aber tüchtiger Einführung in technische Aufgaben, wie sie in der anfänglichen Einrichtung der Gewerbe¬ schulen ihren Typus hatten. Natürlich gab es auch Mischformen, namentlich solche Realschulen, in denen auf Verlangen auch Lateinisch unterrichtet wurde, um Schülern den Zugang zum Gymnasium zu erleichtern. Anderseits wurden die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich und England nach und nach so be¬ deutend, daß nicht bloß die Gymnasien gezwungen waren, das Französische mit in den Lehrplan aufzunehmen, sondern überhaupt die technischen Schulen, die das Französische und Englische ausschlossen, nur als Fachschulen angesehen wurden, die eine eigentliche Bildung nicht erstrebten. In eine solche Vielförmigkeit brachte in Preußen im Oktober 1859 das Ministerium eine amtliche Regelung. Nehmen wir gleich die moderne Be- zeichnung vorweg, so gründete man Realgymnasien, Gymnasien ohne Griechisch, mit wenig Latein, mit Französisch und Englisch, mit vielen Stunden Mathe¬ matik, Naturkunde und Physik und mit Zeichnen. Die Voraussetzung war, daß eine Einheitsschule für höhere Bildung uicht mehr möglich sei, insofern das Gymnasium nicht imstande sei, auch zugleich dem modernen Leben hinreichend zu dienen. Um nicht die eine Absicht durch die andre zu verderben, müsse man zwei ebenbürtige, gleichwertige, wenn auch nicht gleichartige Schulen für allgemeine Bildung herstellen. Die ganze Verfügung, eine der gediegensten, die wir haben, ging, wie man sieht, aus Wohlwollen für die Realschulen hervor. Darum konnte sie auch nicht auf das Lateinische ganz verzichten. Denn dann hätte sofort jedermann diese Schulen für Schulen untergeordneter Art gehalten, und das wollte man ihnen nicht anthun. Vielmehr zeigte sich nach längerer Zeit, daß man mit den wenigen lateinischen Stunden nicht aufkam. Die Leistungen der Rcalabiturietnen, die ungefähr denen der Untertertianer des Gymnasiums entsprachen, genügten den Freunden dieser Schulen so wenig, daß man es ziemlich allgemein billigte, als diese Realgymnasien, die allmählich wie die Gymnasien neun Jahreskurse erhalten hatten, das Lateinische um zehn Stunden höher ansetzen mußten. Auch so ist in dem Ergebnis des Lateinischen noch ein großer Unterschied, aber es ist doch erwiesen, daß ein guter Zögling eines Real¬ gymnasiums, der noch das Gymnasialexamen machen will, in anderthalb Jahren, wenn er sich ausschließlich dem Lateinischen, Griechischen und der alten Ge¬ schichte widmet, mit seiner Aufgabe fertig werden kann Der Unterschied des Ergebnisses im Lateinischen kann also nicht so groß sein. Nun ist es interessant, zu sehen, wie die Schulbehörde von Schritt zu Schritt gedrängt wird, diesen Realgymnasien mehr Bedeutung beizumessen. Nicht als ob die Städte denselben ihre besondre Gunst hätten zuteil werden lassen. Im Gegenteil, die obern Klassen der modernen Schulen waren sehr schwach besucht, und manche Realgymnasien sind in Gymnasien verwandelt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/174>, abgerufen am 05.02.2025.