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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Religion des pantheisirenden Materialismus.

Die zukünftige Seligkeit: die Weiterentwicklung der Gattung in darwinisti-
schem Sinne,

Das Fortleben nach dem Tode: die Unzerstörbarkeit der Materie.

Den Weibern und Kindern die Schale, dem vernunftbegabten Manne den
Kern. Aber wer soll denn diese Schalen predigen? Nun, doch wohl ein Nach¬
komme jenes Haruspex, der dem Volke Komödie vormacht und im Stillen
darüber lacht -- eine edle Aufgabe. Ich wundere mich, wie Bender, der andre
Dinge so scharf erkennt, nicht gesehen hat, daß alle die erbaulichen, tröstenden
oder antreibenden Wirkungen der Kirchenlehre wirkungslos werden, sobald der
Glaube an sie erschüttert oder durch Reflexionen wie die obigen ersetzt wird.
Er hat in seinem Buche zweierlei gethan; erstens hat er das psychische Be¬
dürfnis der Religions- und Kirchenbildung nachgewiesen, sodann hat er gezeigt,
daß alle Versuche der Religionen, das Weltübel zu überwinden, auf Illusion
hinauslaufen, und daß es streng genommen weder Gott, noch Offenbarung, noch
Himmel, noch Seligkeit, noch Fortleben nach dem Tode giebt, sondern die trost-
und hoffnungslose Welt des Materialismus nebst etwas pantheistischer Zuthat.
Wir ziehen vor, mit unsern Vätern in der Hölle des Irrtums zu bleiben, als
in den Benderschen Himmel einzuziehen.

Sieht Bender nicht, daß er trotz der erborgten christlichen Federn mit
christlichem Glauben nichts zu thun hat und daß statt seolssig. g-mios, in dem
Motto des Buches iniinivisÄniÄ stehen müßte? Ich bin weit davon entfernt,
eine voraussetzungslose theoretische Erörterung von Gegenständen der Religion
verbieten zu wollen, ich halte den Paragraphen der letzten preußischen General-
shnode, wonach Professoren und Pastoren wegen gewisser Resultate ihrer
wissenschaftlichen Untersuchungen sollen belangt werden können, für fehr bedenk¬
lich -- schon wegen der mancherlei Menschlichkeiten, die bei seiner Durchführung
unterlaufen könnten; aber man kann doch auch bei größter Toloranz nicht
zugeben, daß Philosopheme wie die Benderschen innerhalb der Kirche als Lehre
vorgetragen werden oder gar den Anspruch erheben, den gegenwärtigen Bestand
der "fortschreitenden Offenbarung" auszumachen.

Es hat etwas Tragisches, einen Mann zu sehen, der die Unentbehrlichkeit
der Religion mit dem ganzen Aufgebote seines Scharfsinnes nachweist und am
Ende spricht: Verhungert, meine Welt hat kein Brot für euch. Und solche
Aussichten werden als die erstrebenswerte Zukunft der protestantischen Kirche
hingestellt, und einem Luther wird an seinem Jubeltage imputirt, ein Vor¬
arbeiter an diesem Werke gewesen zu sein! Bender hat mit seinem Buche den
strikten Beweis geführt, daß jene Bonner Lutherrede nicht hätte gehalten
f. werden sollen.




Die Religion des pantheisirenden Materialismus.

Die zukünftige Seligkeit: die Weiterentwicklung der Gattung in darwinisti-
schem Sinne,

Das Fortleben nach dem Tode: die Unzerstörbarkeit der Materie.

Den Weibern und Kindern die Schale, dem vernunftbegabten Manne den
Kern. Aber wer soll denn diese Schalen predigen? Nun, doch wohl ein Nach¬
komme jenes Haruspex, der dem Volke Komödie vormacht und im Stillen
darüber lacht — eine edle Aufgabe. Ich wundere mich, wie Bender, der andre
Dinge so scharf erkennt, nicht gesehen hat, daß alle die erbaulichen, tröstenden
oder antreibenden Wirkungen der Kirchenlehre wirkungslos werden, sobald der
Glaube an sie erschüttert oder durch Reflexionen wie die obigen ersetzt wird.
Er hat in seinem Buche zweierlei gethan; erstens hat er das psychische Be¬
dürfnis der Religions- und Kirchenbildung nachgewiesen, sodann hat er gezeigt,
daß alle Versuche der Religionen, das Weltübel zu überwinden, auf Illusion
hinauslaufen, und daß es streng genommen weder Gott, noch Offenbarung, noch
Himmel, noch Seligkeit, noch Fortleben nach dem Tode giebt, sondern die trost-
und hoffnungslose Welt des Materialismus nebst etwas pantheistischer Zuthat.
Wir ziehen vor, mit unsern Vätern in der Hölle des Irrtums zu bleiben, als
in den Benderschen Himmel einzuziehen.

Sieht Bender nicht, daß er trotz der erborgten christlichen Federn mit
christlichem Glauben nichts zu thun hat und daß statt seolssig. g-mios, in dem
Motto des Buches iniinivisÄniÄ stehen müßte? Ich bin weit davon entfernt,
eine voraussetzungslose theoretische Erörterung von Gegenständen der Religion
verbieten zu wollen, ich halte den Paragraphen der letzten preußischen General-
shnode, wonach Professoren und Pastoren wegen gewisser Resultate ihrer
wissenschaftlichen Untersuchungen sollen belangt werden können, für fehr bedenk¬
lich — schon wegen der mancherlei Menschlichkeiten, die bei seiner Durchführung
unterlaufen könnten; aber man kann doch auch bei größter Toloranz nicht
zugeben, daß Philosopheme wie die Benderschen innerhalb der Kirche als Lehre
vorgetragen werden oder gar den Anspruch erheben, den gegenwärtigen Bestand
der „fortschreitenden Offenbarung" auszumachen.

Es hat etwas Tragisches, einen Mann zu sehen, der die Unentbehrlichkeit
der Religion mit dem ganzen Aufgebote seines Scharfsinnes nachweist und am
Ende spricht: Verhungert, meine Welt hat kein Brot für euch. Und solche
Aussichten werden als die erstrebenswerte Zukunft der protestantischen Kirche
hingestellt, und einem Luther wird an seinem Jubeltage imputirt, ein Vor¬
arbeiter an diesem Werke gewesen zu sein! Bender hat mit seinem Buche den
strikten Beweis geführt, daß jene Bonner Lutherrede nicht hätte gehalten
f. werden sollen.




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[0172] Die Religion des pantheisirenden Materialismus. Die zukünftige Seligkeit: die Weiterentwicklung der Gattung in darwinisti- schem Sinne, Das Fortleben nach dem Tode: die Unzerstörbarkeit der Materie. Den Weibern und Kindern die Schale, dem vernunftbegabten Manne den Kern. Aber wer soll denn diese Schalen predigen? Nun, doch wohl ein Nach¬ komme jenes Haruspex, der dem Volke Komödie vormacht und im Stillen darüber lacht — eine edle Aufgabe. Ich wundere mich, wie Bender, der andre Dinge so scharf erkennt, nicht gesehen hat, daß alle die erbaulichen, tröstenden oder antreibenden Wirkungen der Kirchenlehre wirkungslos werden, sobald der Glaube an sie erschüttert oder durch Reflexionen wie die obigen ersetzt wird. Er hat in seinem Buche zweierlei gethan; erstens hat er das psychische Be¬ dürfnis der Religions- und Kirchenbildung nachgewiesen, sodann hat er gezeigt, daß alle Versuche der Religionen, das Weltübel zu überwinden, auf Illusion hinauslaufen, und daß es streng genommen weder Gott, noch Offenbarung, noch Himmel, noch Seligkeit, noch Fortleben nach dem Tode giebt, sondern die trost- und hoffnungslose Welt des Materialismus nebst etwas pantheistischer Zuthat. Wir ziehen vor, mit unsern Vätern in der Hölle des Irrtums zu bleiben, als in den Benderschen Himmel einzuziehen. Sieht Bender nicht, daß er trotz der erborgten christlichen Federn mit christlichem Glauben nichts zu thun hat und daß statt seolssig. g-mios, in dem Motto des Buches iniinivisÄniÄ stehen müßte? Ich bin weit davon entfernt, eine voraussetzungslose theoretische Erörterung von Gegenständen der Religion verbieten zu wollen, ich halte den Paragraphen der letzten preußischen General- shnode, wonach Professoren und Pastoren wegen gewisser Resultate ihrer wissenschaftlichen Untersuchungen sollen belangt werden können, für fehr bedenk¬ lich — schon wegen der mancherlei Menschlichkeiten, die bei seiner Durchführung unterlaufen könnten; aber man kann doch auch bei größter Toloranz nicht zugeben, daß Philosopheme wie die Benderschen innerhalb der Kirche als Lehre vorgetragen werden oder gar den Anspruch erheben, den gegenwärtigen Bestand der „fortschreitenden Offenbarung" auszumachen. Es hat etwas Tragisches, einen Mann zu sehen, der die Unentbehrlichkeit der Religion mit dem ganzen Aufgebote seines Scharfsinnes nachweist und am Ende spricht: Verhungert, meine Welt hat kein Brot für euch. Und solche Aussichten werden als die erstrebenswerte Zukunft der protestantischen Kirche hingestellt, und einem Luther wird an seinem Jubeltage imputirt, ein Vor¬ arbeiter an diesem Werke gewesen zu sein! Bender hat mit seinem Buche den strikten Beweis geführt, daß jene Bonner Lutherrede nicht hätte gehalten f. werden sollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/172>, abgerufen am 05.02.2025.