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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Religion des pantheisirenden Materialismus.

nur fremd, sondern direkt entgegen ist. Die Anwendung dieser Vorstellung auf
Jesus, wie sie schon in den paulinischen und johanneischen Schriften anklingt, hat
dem Glauben an Jesus seinen Charakter gegeben. Erst das protestantische Kirchen¬
system hat den Stifter der christlichen Religion aus den transcendenter Höhen,
in welchen ihn die Spekulation der griechischen Theologen gleichsam hatte ver¬
schwinden lassen, indem sie ihn vergötterte, wieder herabgeholt und auf den sichern
Boden der wirklichen Geschichte seines erlösenden Lebens gestellt. Die eigentümliche
Form des Christnskultus hat ihre Berechtigung. Die abstrakte Lehre über
Gott und die Menschen kann nicht dasjenige leisten, was eben das religiöse
Bedürfnis im Kultus sucht und finden muß, anschauliche Darstellung eines
Lebeusideals und reelle Garantien und Mittel der Erlösung. Zu beiden Stücken
ist eine Person als Gegenstand religiöser Verehrung nötig. Jesus stellt das
universelle sittliche Lebensideal dar und begründet die Hoffnung auf Ver¬
wirklichung desselben durch die Gläubigen. Wenn aber die Kirche ihn als den
Überwinder von Sünde und Übel feiert, indem sie an seinem eignen geschicht¬
lichen Leben gleichsam dramatisch in der Auferstehung und Himmelfahrt den
Prozeß der Verklärung und Vergötterung des menschlichen Lebens darstellt, so
wird auch dagegen nichts zu erinnern sein, wenn man es als sinnliche Dar¬
stellung übersinnlicher Vorgänge auffaßt. Allerdings von einer Anbetung
Christi könnte dabei so wenig die Rede sein, wie von einer eigentlichen Gott¬
heit Christi. In dieser Richtung würde ein künstlerisch schöner und erbaulich
wirksamer Ausbau des evangelischen Kultus möglich sein.

Dies ist das System Bender, das Christentum der Zukunft, der denkbare
Gedanke, welcher den kirchlichen Scholästizismus zu beseitigen berufen ist.

Ich will nicht auf eine Kritik einzelner Sätze und Behauptungen ein¬
gehen, obwohl es mich Überwindung kostet, zu schweigen, während der Verfasser
mit der größten Sicherheit unklar ausgedrückte, flüchtig gedachte und gänzlich
unbewiesene und unbeweisbare Dinge vorträgt. Es genügt zu konstatiren: Dies
ist die Religion Bender. Mit dieser "Religion" soll das positive Christentum
zusammengeschmolzen werden, indem man der Offenbarungsrcligiou die Bezeich¬
nung entnimmt und den Sinn der Vernunftreligion hineindeutet. Es beun¬
ruhigt Bender nicht, daß seine Methode eine durchaus unwahre ist und daß
seine Bezeichnung das direkte Gegenteil von dem bedeutet, was er ihr unter¬
legt. Denn darnach ist:

Gott: die ordnende, mit der Materie verbundne Kraft,

Die Allmacht: der mühsame Durchbruch dieser Kraft im Kampfe mit der
rohen Masse,

Offenbarung: der jeweilige Stand der sich selbst offenbarenden Vernunft,
Ordnung und Gesetzmäßigkeit,

Das Kommen des Reiches Gottes: die fortschreitende Beherrschung der Welt
durch die Vernunft, also Erfindungen, Verkehrsfortschritte u. s. w.,


Die Religion des pantheisirenden Materialismus.

nur fremd, sondern direkt entgegen ist. Die Anwendung dieser Vorstellung auf
Jesus, wie sie schon in den paulinischen und johanneischen Schriften anklingt, hat
dem Glauben an Jesus seinen Charakter gegeben. Erst das protestantische Kirchen¬
system hat den Stifter der christlichen Religion aus den transcendenter Höhen,
in welchen ihn die Spekulation der griechischen Theologen gleichsam hatte ver¬
schwinden lassen, indem sie ihn vergötterte, wieder herabgeholt und auf den sichern
Boden der wirklichen Geschichte seines erlösenden Lebens gestellt. Die eigentümliche
Form des Christnskultus hat ihre Berechtigung. Die abstrakte Lehre über
Gott und die Menschen kann nicht dasjenige leisten, was eben das religiöse
Bedürfnis im Kultus sucht und finden muß, anschauliche Darstellung eines
Lebeusideals und reelle Garantien und Mittel der Erlösung. Zu beiden Stücken
ist eine Person als Gegenstand religiöser Verehrung nötig. Jesus stellt das
universelle sittliche Lebensideal dar und begründet die Hoffnung auf Ver¬
wirklichung desselben durch die Gläubigen. Wenn aber die Kirche ihn als den
Überwinder von Sünde und Übel feiert, indem sie an seinem eignen geschicht¬
lichen Leben gleichsam dramatisch in der Auferstehung und Himmelfahrt den
Prozeß der Verklärung und Vergötterung des menschlichen Lebens darstellt, so
wird auch dagegen nichts zu erinnern sein, wenn man es als sinnliche Dar¬
stellung übersinnlicher Vorgänge auffaßt. Allerdings von einer Anbetung
Christi könnte dabei so wenig die Rede sein, wie von einer eigentlichen Gott¬
heit Christi. In dieser Richtung würde ein künstlerisch schöner und erbaulich
wirksamer Ausbau des evangelischen Kultus möglich sein.

Dies ist das System Bender, das Christentum der Zukunft, der denkbare
Gedanke, welcher den kirchlichen Scholästizismus zu beseitigen berufen ist.

Ich will nicht auf eine Kritik einzelner Sätze und Behauptungen ein¬
gehen, obwohl es mich Überwindung kostet, zu schweigen, während der Verfasser
mit der größten Sicherheit unklar ausgedrückte, flüchtig gedachte und gänzlich
unbewiesene und unbeweisbare Dinge vorträgt. Es genügt zu konstatiren: Dies
ist die Religion Bender. Mit dieser „Religion" soll das positive Christentum
zusammengeschmolzen werden, indem man der Offenbarungsrcligiou die Bezeich¬
nung entnimmt und den Sinn der Vernunftreligion hineindeutet. Es beun¬
ruhigt Bender nicht, daß seine Methode eine durchaus unwahre ist und daß
seine Bezeichnung das direkte Gegenteil von dem bedeutet, was er ihr unter¬
legt. Denn darnach ist:

Gott: die ordnende, mit der Materie verbundne Kraft,

Die Allmacht: der mühsame Durchbruch dieser Kraft im Kampfe mit der
rohen Masse,

Offenbarung: der jeweilige Stand der sich selbst offenbarenden Vernunft,
Ordnung und Gesetzmäßigkeit,

Das Kommen des Reiches Gottes: die fortschreitende Beherrschung der Welt
durch die Vernunft, also Erfindungen, Verkehrsfortschritte u. s. w.,


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[0171] Die Religion des pantheisirenden Materialismus. nur fremd, sondern direkt entgegen ist. Die Anwendung dieser Vorstellung auf Jesus, wie sie schon in den paulinischen und johanneischen Schriften anklingt, hat dem Glauben an Jesus seinen Charakter gegeben. Erst das protestantische Kirchen¬ system hat den Stifter der christlichen Religion aus den transcendenter Höhen, in welchen ihn die Spekulation der griechischen Theologen gleichsam hatte ver¬ schwinden lassen, indem sie ihn vergötterte, wieder herabgeholt und auf den sichern Boden der wirklichen Geschichte seines erlösenden Lebens gestellt. Die eigentümliche Form des Christnskultus hat ihre Berechtigung. Die abstrakte Lehre über Gott und die Menschen kann nicht dasjenige leisten, was eben das religiöse Bedürfnis im Kultus sucht und finden muß, anschauliche Darstellung eines Lebeusideals und reelle Garantien und Mittel der Erlösung. Zu beiden Stücken ist eine Person als Gegenstand religiöser Verehrung nötig. Jesus stellt das universelle sittliche Lebensideal dar und begründet die Hoffnung auf Ver¬ wirklichung desselben durch die Gläubigen. Wenn aber die Kirche ihn als den Überwinder von Sünde und Übel feiert, indem sie an seinem eignen geschicht¬ lichen Leben gleichsam dramatisch in der Auferstehung und Himmelfahrt den Prozeß der Verklärung und Vergötterung des menschlichen Lebens darstellt, so wird auch dagegen nichts zu erinnern sein, wenn man es als sinnliche Dar¬ stellung übersinnlicher Vorgänge auffaßt. Allerdings von einer Anbetung Christi könnte dabei so wenig die Rede sein, wie von einer eigentlichen Gott¬ heit Christi. In dieser Richtung würde ein künstlerisch schöner und erbaulich wirksamer Ausbau des evangelischen Kultus möglich sein. Dies ist das System Bender, das Christentum der Zukunft, der denkbare Gedanke, welcher den kirchlichen Scholästizismus zu beseitigen berufen ist. Ich will nicht auf eine Kritik einzelner Sätze und Behauptungen ein¬ gehen, obwohl es mich Überwindung kostet, zu schweigen, während der Verfasser mit der größten Sicherheit unklar ausgedrückte, flüchtig gedachte und gänzlich unbewiesene und unbeweisbare Dinge vorträgt. Es genügt zu konstatiren: Dies ist die Religion Bender. Mit dieser „Religion" soll das positive Christentum zusammengeschmolzen werden, indem man der Offenbarungsrcligiou die Bezeich¬ nung entnimmt und den Sinn der Vernunftreligion hineindeutet. Es beun¬ ruhigt Bender nicht, daß seine Methode eine durchaus unwahre ist und daß seine Bezeichnung das direkte Gegenteil von dem bedeutet, was er ihr unter¬ legt. Denn darnach ist: Gott: die ordnende, mit der Materie verbundne Kraft, Die Allmacht: der mühsame Durchbruch dieser Kraft im Kampfe mit der rohen Masse, Offenbarung: der jeweilige Stand der sich selbst offenbarenden Vernunft, Ordnung und Gesetzmäßigkeit, Das Kommen des Reiches Gottes: die fortschreitende Beherrschung der Welt durch die Vernunft, also Erfindungen, Verkehrsfortschritte u. s. w.,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/171>, abgerufen am 05.02.2025.