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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Religion des pantheisirenden Materialismus.

und dem menschlichen Geiste dienstbar machen, werden wir die wirksame Kund¬
gebung eines alles umfassenden und einem höchsten Ziele cntgcgenführenden
Willens zu erblicken haben. Nicht außer der natürlichen Welt thront die göttliche
Kraft und Majestät, welche das Dasein hervorruft, trägt, beherrscht und nach
bestimmten Gesetzen einer Entwicklung entgegenführt, die wir hoffen und glauben,
sondern in der Welt wirkt und waltet sie. Giebt es aber in Natur und Ge¬
schichte Erscheinungen, Gesetze, Kräfte, Persönlichkeiten, welche dem Menschen
die Kenntnis seiner Lebensziele und die Mittel zu ihrer Verwirklichung dar¬
bieten, so werden diese von der Kirche mit Recht als Emanationen und Offen¬
barungen einer uns und die gesamte Welt beherrschenden Macht bezeichnet.
Selbst wenn man die modernen (materialistischen) Hypothesen über Entstehung
der Welt, die moderne Entwicklungslehre, die moderne Anthropologie zugesteht,
kann mau doch den fortschreitenden Entwicklungsprozeß als die stufenmäßige
Entfaltung einer höchsten idealen Macht auffassen. Der Durchbruch dieser
Macht durch den Kampf der Elemente und das Ringen mit ihnen, um sie unter
gesetzliche Ordnung zu beuge", bedeutet die Allmacht Gottes und die Herstellung
eines Gottesreiches. Das Lebensideal, der Trost und die selige Hoffnung des
Menschengeschlechtes ist die weitere Wandlung, Umbildung und Fortentwicklung
der Welt zur idealeren Daseinsformen, die den Triumph der besten und tüchtigsten
Kräfte nicht ausschließen.

So hätten wir in der Benderschen Schrift in der That den Versuch
einer Rcligivnsbilduug auf materialistischer, pantheistisch gefärbter Grundlegung
vor uus. Wir sehen: es bleibt von dem, was sonst als Inhalt der Religion
angesehen wurde, wenig übrig. Wem, aber ein Materialist konsequenterer
Denkungsart als Bender anch den in der Welt enthaltnen zielbewußter Willen,
die mit der Materie verbundn? ordnende Kraft, sowie die geistige Materie als
unklare und unbewiesene Dinge wegschneidet, so bleibt nichts übrig als der
Kampf ums Dasein und die große Illusion, die sich die Menschheit gemacht
und Religion genannt hat.

Aber führen wir den Gedankengang des Verfassers zunächst erst zu
Ende.

Dieselbe zentrale Stellung, welche Muhammed und Buddha in den "ach
ihnen benannten Religionen einnehmen, nimmt Christus in der christlichen ein.
Der Glaube an Christus ist das Fundament der Lehre und das gemeinsame
Band der Gläubigen. Es wird sich nie nachweisen lassen, daß Jesus alles das
gethan habe oder gewesen sei, was die sogenannte orthodoxe Kirche aus ihm
gemacht hat; was von ihm sicher bekannt ist, genügt, um ihm als höchst be¬
deutendem Religionsstifter eine bleibende Verehrung zu widmen. Freilich, nicht
die alttestamentliche Richtung, welche die geschichtliche Kontinuität vertritt, hat
in der Kirche den Sieg davongetragen, sondern die polytheistisch geschulte heiden¬
christliche Richtung, die den besten Traditionen der alttestamentlichen Religion nicht


Die Religion des pantheisirenden Materialismus.

und dem menschlichen Geiste dienstbar machen, werden wir die wirksame Kund¬
gebung eines alles umfassenden und einem höchsten Ziele cntgcgenführenden
Willens zu erblicken haben. Nicht außer der natürlichen Welt thront die göttliche
Kraft und Majestät, welche das Dasein hervorruft, trägt, beherrscht und nach
bestimmten Gesetzen einer Entwicklung entgegenführt, die wir hoffen und glauben,
sondern in der Welt wirkt und waltet sie. Giebt es aber in Natur und Ge¬
schichte Erscheinungen, Gesetze, Kräfte, Persönlichkeiten, welche dem Menschen
die Kenntnis seiner Lebensziele und die Mittel zu ihrer Verwirklichung dar¬
bieten, so werden diese von der Kirche mit Recht als Emanationen und Offen¬
barungen einer uns und die gesamte Welt beherrschenden Macht bezeichnet.
Selbst wenn man die modernen (materialistischen) Hypothesen über Entstehung
der Welt, die moderne Entwicklungslehre, die moderne Anthropologie zugesteht,
kann mau doch den fortschreitenden Entwicklungsprozeß als die stufenmäßige
Entfaltung einer höchsten idealen Macht auffassen. Der Durchbruch dieser
Macht durch den Kampf der Elemente und das Ringen mit ihnen, um sie unter
gesetzliche Ordnung zu beuge«, bedeutet die Allmacht Gottes und die Herstellung
eines Gottesreiches. Das Lebensideal, der Trost und die selige Hoffnung des
Menschengeschlechtes ist die weitere Wandlung, Umbildung und Fortentwicklung
der Welt zur idealeren Daseinsformen, die den Triumph der besten und tüchtigsten
Kräfte nicht ausschließen.

So hätten wir in der Benderschen Schrift in der That den Versuch
einer Rcligivnsbilduug auf materialistischer, pantheistisch gefärbter Grundlegung
vor uus. Wir sehen: es bleibt von dem, was sonst als Inhalt der Religion
angesehen wurde, wenig übrig. Wem, aber ein Materialist konsequenterer
Denkungsart als Bender anch den in der Welt enthaltnen zielbewußter Willen,
die mit der Materie verbundn? ordnende Kraft, sowie die geistige Materie als
unklare und unbewiesene Dinge wegschneidet, so bleibt nichts übrig als der
Kampf ums Dasein und die große Illusion, die sich die Menschheit gemacht
und Religion genannt hat.

Aber führen wir den Gedankengang des Verfassers zunächst erst zu
Ende.

Dieselbe zentrale Stellung, welche Muhammed und Buddha in den »ach
ihnen benannten Religionen einnehmen, nimmt Christus in der christlichen ein.
Der Glaube an Christus ist das Fundament der Lehre und das gemeinsame
Band der Gläubigen. Es wird sich nie nachweisen lassen, daß Jesus alles das
gethan habe oder gewesen sei, was die sogenannte orthodoxe Kirche aus ihm
gemacht hat; was von ihm sicher bekannt ist, genügt, um ihm als höchst be¬
deutendem Religionsstifter eine bleibende Verehrung zu widmen. Freilich, nicht
die alttestamentliche Richtung, welche die geschichtliche Kontinuität vertritt, hat
in der Kirche den Sieg davongetragen, sondern die polytheistisch geschulte heiden¬
christliche Richtung, die den besten Traditionen der alttestamentlichen Religion nicht


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[0170] Die Religion des pantheisirenden Materialismus. und dem menschlichen Geiste dienstbar machen, werden wir die wirksame Kund¬ gebung eines alles umfassenden und einem höchsten Ziele cntgcgenführenden Willens zu erblicken haben. Nicht außer der natürlichen Welt thront die göttliche Kraft und Majestät, welche das Dasein hervorruft, trägt, beherrscht und nach bestimmten Gesetzen einer Entwicklung entgegenführt, die wir hoffen und glauben, sondern in der Welt wirkt und waltet sie. Giebt es aber in Natur und Ge¬ schichte Erscheinungen, Gesetze, Kräfte, Persönlichkeiten, welche dem Menschen die Kenntnis seiner Lebensziele und die Mittel zu ihrer Verwirklichung dar¬ bieten, so werden diese von der Kirche mit Recht als Emanationen und Offen¬ barungen einer uns und die gesamte Welt beherrschenden Macht bezeichnet. Selbst wenn man die modernen (materialistischen) Hypothesen über Entstehung der Welt, die moderne Entwicklungslehre, die moderne Anthropologie zugesteht, kann mau doch den fortschreitenden Entwicklungsprozeß als die stufenmäßige Entfaltung einer höchsten idealen Macht auffassen. Der Durchbruch dieser Macht durch den Kampf der Elemente und das Ringen mit ihnen, um sie unter gesetzliche Ordnung zu beuge«, bedeutet die Allmacht Gottes und die Herstellung eines Gottesreiches. Das Lebensideal, der Trost und die selige Hoffnung des Menschengeschlechtes ist die weitere Wandlung, Umbildung und Fortentwicklung der Welt zur idealeren Daseinsformen, die den Triumph der besten und tüchtigsten Kräfte nicht ausschließen. So hätten wir in der Benderschen Schrift in der That den Versuch einer Rcligivnsbilduug auf materialistischer, pantheistisch gefärbter Grundlegung vor uus. Wir sehen: es bleibt von dem, was sonst als Inhalt der Religion angesehen wurde, wenig übrig. Wem, aber ein Materialist konsequenterer Denkungsart als Bender anch den in der Welt enthaltnen zielbewußter Willen, die mit der Materie verbundn? ordnende Kraft, sowie die geistige Materie als unklare und unbewiesene Dinge wegschneidet, so bleibt nichts übrig als der Kampf ums Dasein und die große Illusion, die sich die Menschheit gemacht und Religion genannt hat. Aber führen wir den Gedankengang des Verfassers zunächst erst zu Ende. Dieselbe zentrale Stellung, welche Muhammed und Buddha in den »ach ihnen benannten Religionen einnehmen, nimmt Christus in der christlichen ein. Der Glaube an Christus ist das Fundament der Lehre und das gemeinsame Band der Gläubigen. Es wird sich nie nachweisen lassen, daß Jesus alles das gethan habe oder gewesen sei, was die sogenannte orthodoxe Kirche aus ihm gemacht hat; was von ihm sicher bekannt ist, genügt, um ihm als höchst be¬ deutendem Religionsstifter eine bleibende Verehrung zu widmen. Freilich, nicht die alttestamentliche Richtung, welche die geschichtliche Kontinuität vertritt, hat in der Kirche den Sieg davongetragen, sondern die polytheistisch geschulte heiden¬ christliche Richtung, die den besten Traditionen der alttestamentlichen Religion nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/170>, abgerufen am 05.02.2025.