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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Religion dos pantheisirenden Materialismus.

die völlige Emanzipation der Moral von der Religion namentlich seit dem Auf¬
treten Kants vollzogen, eine Thatsache, welche zu den bedeutendsten Errungen¬
schaften der Neuzeit gerechnet wird.

Die Vorstellung von der Offenbarung beruht in allen Religionen auf der
Unterscheidung eiuer obern Welt des Himmels und einer untern irdischen Welt.
Wenn nun aber diese Vorstellung für uns nur symbolische Bedeutung haben
kann, weil wir diese örtliche Sonderung von Himmel und Erde nicht mehr teilen,*)
so können wir in der Offenbarung nur eine zwar unentbehrliche religiöse Vor¬
stellungsform erkennen, der aber eine Wirklichkeit nicht mehr entspricht. In dem
Glauben an diese Wirklichkeit besteht nun freilich die Religion, und kann es
auch, wenn sie die Form als uneigentlich und bildlich preisgiebt. Nicht außerhalb
der Welt, in der wir leben, sondern in ihr muß die Offenbarung einer höhern
idealen Welt, nach der wir streben, gesucht werdeu. Vermögen wir die Gottheit
nicht in der wirklichen Welt zu finden, in der wir leben und die wir allein
kennen, so werden wir sie vergeblich in einem Himmel suchen, der doch nur die
Verdichtung unsrer Träume ist. Die unmittelbare Selbstbezeuguug der Gottheit
im Menschengeiste ist nur eine leere Redensart, es giebt eine solche weder im
Gefühl, noch im Gewissen, vielmehr sind alle Vorstellungen von göttlichen Dingen
historisch geworden.

Die Berechtigung eines Offenbarungsglaubeus ergiebt sich also unter
folgenden Einschränkungen. Das Dasein Gottes sowie einer überirdischen Ideal¬
welt ist ein psychologisches Postulat, nichts weiter. Die ganze Frage nach der
Offenbarung, in welcher das religiöse Bedürfnis seine Befriedigung sucht, wäre
somit fallen zu lassen. Mau müßte sich darauf beschränken, den religiösen
Glanben an eine Idealwelt, in welcher der Mensch für die Mängel der empirischen
Welt Ersatz sucht, auf sich selbst zu stelle". In dem notwendigen, unvermeid¬
lichen Impulse des Geistes, aus welchem er entspringt, hat er seine innere
psychische Wahrheit. Suchen wir nach objektiven Bürgschaften für die Er¬
reichung eines Ideals von vollkommenem lind seligem Leben, so sind wir auf
diese wirkliche Welt angewiesen, der es an Bürgschaften und Mitteln, welche
der um seine ideale Existenz ringende Mensch braucht, nicht ganz fehlt. Allerdings
als ein Eingreifen einer andern Welt werden wir die Offenbarung nicht verstehen
können, ebensowenig wie wir uns das Endziel als Vernichtung unsrer Welt
und als Ablösung derselben durch eine in verborgner Form etwa bereit gehaltene
vollkommene Welt vorstellen können. Vielmehr in der gesetzmüßigen Entwicklung
dieser unsrer Welt entgegen der idealen Bestimmung, die sie in sich selbst trägt,
in der Verwandlung und Verklärung der wirklichen Welt nach Maßgabe der
idealen Kräfte, die in fortschreitendem Prozesse den spröden Stoff vergeistige!!



*) Der Verfasser meint: Weil wir den Glauben an diese örtliche Sonderung mit ihnen
nicht mehr teilen. Er gestattet sich ein bedenkliches Maß ton Flüchtigkeit.
Grenzboten I. 188ö. 21
Die Religion dos pantheisirenden Materialismus.

die völlige Emanzipation der Moral von der Religion namentlich seit dem Auf¬
treten Kants vollzogen, eine Thatsache, welche zu den bedeutendsten Errungen¬
schaften der Neuzeit gerechnet wird.

Die Vorstellung von der Offenbarung beruht in allen Religionen auf der
Unterscheidung eiuer obern Welt des Himmels und einer untern irdischen Welt.
Wenn nun aber diese Vorstellung für uns nur symbolische Bedeutung haben
kann, weil wir diese örtliche Sonderung von Himmel und Erde nicht mehr teilen,*)
so können wir in der Offenbarung nur eine zwar unentbehrliche religiöse Vor¬
stellungsform erkennen, der aber eine Wirklichkeit nicht mehr entspricht. In dem
Glauben an diese Wirklichkeit besteht nun freilich die Religion, und kann es
auch, wenn sie die Form als uneigentlich und bildlich preisgiebt. Nicht außerhalb
der Welt, in der wir leben, sondern in ihr muß die Offenbarung einer höhern
idealen Welt, nach der wir streben, gesucht werdeu. Vermögen wir die Gottheit
nicht in der wirklichen Welt zu finden, in der wir leben und die wir allein
kennen, so werden wir sie vergeblich in einem Himmel suchen, der doch nur die
Verdichtung unsrer Träume ist. Die unmittelbare Selbstbezeuguug der Gottheit
im Menschengeiste ist nur eine leere Redensart, es giebt eine solche weder im
Gefühl, noch im Gewissen, vielmehr sind alle Vorstellungen von göttlichen Dingen
historisch geworden.

Die Berechtigung eines Offenbarungsglaubeus ergiebt sich also unter
folgenden Einschränkungen. Das Dasein Gottes sowie einer überirdischen Ideal¬
welt ist ein psychologisches Postulat, nichts weiter. Die ganze Frage nach der
Offenbarung, in welcher das religiöse Bedürfnis seine Befriedigung sucht, wäre
somit fallen zu lassen. Mau müßte sich darauf beschränken, den religiösen
Glanben an eine Idealwelt, in welcher der Mensch für die Mängel der empirischen
Welt Ersatz sucht, auf sich selbst zu stelle». In dem notwendigen, unvermeid¬
lichen Impulse des Geistes, aus welchem er entspringt, hat er seine innere
psychische Wahrheit. Suchen wir nach objektiven Bürgschaften für die Er¬
reichung eines Ideals von vollkommenem lind seligem Leben, so sind wir auf
diese wirkliche Welt angewiesen, der es an Bürgschaften und Mitteln, welche
der um seine ideale Existenz ringende Mensch braucht, nicht ganz fehlt. Allerdings
als ein Eingreifen einer andern Welt werden wir die Offenbarung nicht verstehen
können, ebensowenig wie wir uns das Endziel als Vernichtung unsrer Welt
und als Ablösung derselben durch eine in verborgner Form etwa bereit gehaltene
vollkommene Welt vorstellen können. Vielmehr in der gesetzmüßigen Entwicklung
dieser unsrer Welt entgegen der idealen Bestimmung, die sie in sich selbst trägt,
in der Verwandlung und Verklärung der wirklichen Welt nach Maßgabe der
idealen Kräfte, die in fortschreitendem Prozesse den spröden Stoff vergeistige!!



*) Der Verfasser meint: Weil wir den Glauben an diese örtliche Sonderung mit ihnen
nicht mehr teilen. Er gestattet sich ein bedenkliches Maß ton Flüchtigkeit.
Grenzboten I. 188ö. 21
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[0169] Die Religion dos pantheisirenden Materialismus. die völlige Emanzipation der Moral von der Religion namentlich seit dem Auf¬ treten Kants vollzogen, eine Thatsache, welche zu den bedeutendsten Errungen¬ schaften der Neuzeit gerechnet wird. Die Vorstellung von der Offenbarung beruht in allen Religionen auf der Unterscheidung eiuer obern Welt des Himmels und einer untern irdischen Welt. Wenn nun aber diese Vorstellung für uns nur symbolische Bedeutung haben kann, weil wir diese örtliche Sonderung von Himmel und Erde nicht mehr teilen,*) so können wir in der Offenbarung nur eine zwar unentbehrliche religiöse Vor¬ stellungsform erkennen, der aber eine Wirklichkeit nicht mehr entspricht. In dem Glauben an diese Wirklichkeit besteht nun freilich die Religion, und kann es auch, wenn sie die Form als uneigentlich und bildlich preisgiebt. Nicht außerhalb der Welt, in der wir leben, sondern in ihr muß die Offenbarung einer höhern idealen Welt, nach der wir streben, gesucht werdeu. Vermögen wir die Gottheit nicht in der wirklichen Welt zu finden, in der wir leben und die wir allein kennen, so werden wir sie vergeblich in einem Himmel suchen, der doch nur die Verdichtung unsrer Träume ist. Die unmittelbare Selbstbezeuguug der Gottheit im Menschengeiste ist nur eine leere Redensart, es giebt eine solche weder im Gefühl, noch im Gewissen, vielmehr sind alle Vorstellungen von göttlichen Dingen historisch geworden. Die Berechtigung eines Offenbarungsglaubeus ergiebt sich also unter folgenden Einschränkungen. Das Dasein Gottes sowie einer überirdischen Ideal¬ welt ist ein psychologisches Postulat, nichts weiter. Die ganze Frage nach der Offenbarung, in welcher das religiöse Bedürfnis seine Befriedigung sucht, wäre somit fallen zu lassen. Mau müßte sich darauf beschränken, den religiösen Glanben an eine Idealwelt, in welcher der Mensch für die Mängel der empirischen Welt Ersatz sucht, auf sich selbst zu stelle». In dem notwendigen, unvermeid¬ lichen Impulse des Geistes, aus welchem er entspringt, hat er seine innere psychische Wahrheit. Suchen wir nach objektiven Bürgschaften für die Er¬ reichung eines Ideals von vollkommenem lind seligem Leben, so sind wir auf diese wirkliche Welt angewiesen, der es an Bürgschaften und Mitteln, welche der um seine ideale Existenz ringende Mensch braucht, nicht ganz fehlt. Allerdings als ein Eingreifen einer andern Welt werden wir die Offenbarung nicht verstehen können, ebensowenig wie wir uns das Endziel als Vernichtung unsrer Welt und als Ablösung derselben durch eine in verborgner Form etwa bereit gehaltene vollkommene Welt vorstellen können. Vielmehr in der gesetzmüßigen Entwicklung dieser unsrer Welt entgegen der idealen Bestimmung, die sie in sich selbst trägt, in der Verwandlung und Verklärung der wirklichen Welt nach Maßgabe der idealen Kräfte, die in fortschreitendem Prozesse den spröden Stoff vergeistige!! *) Der Verfasser meint: Weil wir den Glauben an diese örtliche Sonderung mit ihnen nicht mehr teilen. Er gestattet sich ein bedenkliches Maß ton Flüchtigkeit. Grenzboten I. 188ö. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/169>, abgerufen am 05.02.2025.