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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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ualisirt werden. Dieses Gesetz gilt für das Verhältnis aller Sprachen zu¬
einander; was hier z. V. für das Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern
ausgesprochen worden ist, darf für alle romanischen Sprachen als stichhaltig
angesehen werden; denn die letztem sind alle schwächer in unserm Sinne als
die deutsche, und daher hat auch der Franzose und der Spanier die oben er¬
wähnte "Passivität" in sich. Wesentlich in demselben Verhältnisse zu den ro¬
manischen Sprachen befindet sich auch der Slawe, da auch bei ihm trotz der
Weichheit vieler seiner Laute und Lautverbindungen doch im ganzen viel mehr
Arbeit im Kindesalter für die Muttersprache aufgewendet werden muß als
bei den Romanen.

Aus diesem allgemein giltigen Entnationalisirungsgcsetze dürften sich sogar
geschichtliche Thatsachen in lehrreicher Weise erklären lassen. Steht ein Volk
mit einem kulturreicheren Volke in geographischer Nachbarschaft, so nimmt es unter
sonst gleichen Umständen mit neuen Gegenständen auch die entsprechenden Namen
dafür von dem kultivirtereu Volle an. Bei einem solchen Sachvechalte be¬
einflussen fremde Wörter schon durch die Logik der Thatsachen das minder ent¬
wickelte Volk; und hierin liegt die größte Gefahr der Entnationalisierung, auch
wenn die Sprachen der zwei Nachbarvölker gleich stark in unserm Sinne oder
gleich passiv wären. Es behält in diesem Falle trotzdem die eine Sprache
die Herrschaft über die andre, weil hier mit den neuen Vorstellungen und Be¬
griffen die ihnen entsprechenden Ausdrücke gleichsam aufgezwungen werden. Die
romanischen Sprachen erringen aber die Oberherrschaft über die, deutsche, wie
uicht minder über die slawischen Sprachen, auch unter ver Voraussetzung gleicher
Kultur. Hier ist unser Trägheitsgesetz von größter Bedeutung und kann auch
viele Erscheinungen in der deutscheu Geschichte allein erklären. In Elsaß-
Lothringen und in Südtirol hat das deutsche Volk auch ohne Einwirkung von
andern Ursachen die romanischen Sprachen annehmen müssen, und man kann
mit Sicherheit annehmen, daß die Romanisirung der Deutschen anch künftighin
ihren Fortgang nehmen werde, wenn das genannte Trägheitsgesetz nicht durch
andre Ursachen paralhsirt wird. Das Gesetz mahnt also gewisse Völker zur
Amvendung von Schutzmaßregeln bloß deshalb, weil sich deren Sprache gegen
die fremde unter übrigens gleichen Umständen als zu schwach erweist. Ohne
eifrige Pflege der Sprache dnrch die Familie, die Schule und sonstige Ein¬
richtungen ist es nicht möglich, der Entnationalisiruug einen Damm zu setzen.
Mithin hat unser Trägheitsgesetz auch eine politische Bedeutuug, da es die
Nationen an ihren Sprachgrenzen zu einem besondern Verhalten nötigt, das
sonst überflüssig wäre.

Soviel ist aber wohl klar, daß diese Gegenwirkungen uicht in einer Be¬
arbeitung und Umgestaltung der Sprache bestehen können. Die deutsche Sprache
so umzugestalten, daß sie gegenüber den romanischen Sprachen leine Gefahren
der Entnationalisirnng in sich trage, hieße sie auf jenen Grad der Weichheit


ualisirt werden. Dieses Gesetz gilt für das Verhältnis aller Sprachen zu¬
einander; was hier z. V. für das Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern
ausgesprochen worden ist, darf für alle romanischen Sprachen als stichhaltig
angesehen werden; denn die letztem sind alle schwächer in unserm Sinne als
die deutsche, und daher hat auch der Franzose und der Spanier die oben er¬
wähnte „Passivität" in sich. Wesentlich in demselben Verhältnisse zu den ro¬
manischen Sprachen befindet sich auch der Slawe, da auch bei ihm trotz der
Weichheit vieler seiner Laute und Lautverbindungen doch im ganzen viel mehr
Arbeit im Kindesalter für die Muttersprache aufgewendet werden muß als
bei den Romanen.

Aus diesem allgemein giltigen Entnationalisirungsgcsetze dürften sich sogar
geschichtliche Thatsachen in lehrreicher Weise erklären lassen. Steht ein Volk
mit einem kulturreicheren Volke in geographischer Nachbarschaft, so nimmt es unter
sonst gleichen Umständen mit neuen Gegenständen auch die entsprechenden Namen
dafür von dem kultivirtereu Volle an. Bei einem solchen Sachvechalte be¬
einflussen fremde Wörter schon durch die Logik der Thatsachen das minder ent¬
wickelte Volk; und hierin liegt die größte Gefahr der Entnationalisierung, auch
wenn die Sprachen der zwei Nachbarvölker gleich stark in unserm Sinne oder
gleich passiv wären. Es behält in diesem Falle trotzdem die eine Sprache
die Herrschaft über die andre, weil hier mit den neuen Vorstellungen und Be¬
griffen die ihnen entsprechenden Ausdrücke gleichsam aufgezwungen werden. Die
romanischen Sprachen erringen aber die Oberherrschaft über die, deutsche, wie
uicht minder über die slawischen Sprachen, auch unter ver Voraussetzung gleicher
Kultur. Hier ist unser Trägheitsgesetz von größter Bedeutung und kann auch
viele Erscheinungen in der deutscheu Geschichte allein erklären. In Elsaß-
Lothringen und in Südtirol hat das deutsche Volk auch ohne Einwirkung von
andern Ursachen die romanischen Sprachen annehmen müssen, und man kann
mit Sicherheit annehmen, daß die Romanisirung der Deutschen anch künftighin
ihren Fortgang nehmen werde, wenn das genannte Trägheitsgesetz nicht durch
andre Ursachen paralhsirt wird. Das Gesetz mahnt also gewisse Völker zur
Amvendung von Schutzmaßregeln bloß deshalb, weil sich deren Sprache gegen
die fremde unter übrigens gleichen Umständen als zu schwach erweist. Ohne
eifrige Pflege der Sprache dnrch die Familie, die Schule und sonstige Ein¬
richtungen ist es nicht möglich, der Entnationalisiruug einen Damm zu setzen.
Mithin hat unser Trägheitsgesetz auch eine politische Bedeutuug, da es die
Nationen an ihren Sprachgrenzen zu einem besondern Verhalten nötigt, das
sonst überflüssig wäre.

Soviel ist aber wohl klar, daß diese Gegenwirkungen uicht in einer Be¬
arbeitung und Umgestaltung der Sprache bestehen können. Die deutsche Sprache
so umzugestalten, daß sie gegenüber den romanischen Sprachen leine Gefahren
der Entnationalisirnng in sich trage, hieße sie auf jenen Grad der Weichheit


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[0166] ualisirt werden. Dieses Gesetz gilt für das Verhältnis aller Sprachen zu¬ einander; was hier z. V. für das Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern ausgesprochen worden ist, darf für alle romanischen Sprachen als stichhaltig angesehen werden; denn die letztem sind alle schwächer in unserm Sinne als die deutsche, und daher hat auch der Franzose und der Spanier die oben er¬ wähnte „Passivität" in sich. Wesentlich in demselben Verhältnisse zu den ro¬ manischen Sprachen befindet sich auch der Slawe, da auch bei ihm trotz der Weichheit vieler seiner Laute und Lautverbindungen doch im ganzen viel mehr Arbeit im Kindesalter für die Muttersprache aufgewendet werden muß als bei den Romanen. Aus diesem allgemein giltigen Entnationalisirungsgcsetze dürften sich sogar geschichtliche Thatsachen in lehrreicher Weise erklären lassen. Steht ein Volk mit einem kulturreicheren Volke in geographischer Nachbarschaft, so nimmt es unter sonst gleichen Umständen mit neuen Gegenständen auch die entsprechenden Namen dafür von dem kultivirtereu Volle an. Bei einem solchen Sachvechalte be¬ einflussen fremde Wörter schon durch die Logik der Thatsachen das minder ent¬ wickelte Volk; und hierin liegt die größte Gefahr der Entnationalisierung, auch wenn die Sprachen der zwei Nachbarvölker gleich stark in unserm Sinne oder gleich passiv wären. Es behält in diesem Falle trotzdem die eine Sprache die Herrschaft über die andre, weil hier mit den neuen Vorstellungen und Be¬ griffen die ihnen entsprechenden Ausdrücke gleichsam aufgezwungen werden. Die romanischen Sprachen erringen aber die Oberherrschaft über die, deutsche, wie uicht minder über die slawischen Sprachen, auch unter ver Voraussetzung gleicher Kultur. Hier ist unser Trägheitsgesetz von größter Bedeutung und kann auch viele Erscheinungen in der deutscheu Geschichte allein erklären. In Elsaß- Lothringen und in Südtirol hat das deutsche Volk auch ohne Einwirkung von andern Ursachen die romanischen Sprachen annehmen müssen, und man kann mit Sicherheit annehmen, daß die Romanisirung der Deutschen anch künftighin ihren Fortgang nehmen werde, wenn das genannte Trägheitsgesetz nicht durch andre Ursachen paralhsirt wird. Das Gesetz mahnt also gewisse Völker zur Amvendung von Schutzmaßregeln bloß deshalb, weil sich deren Sprache gegen die fremde unter übrigens gleichen Umständen als zu schwach erweist. Ohne eifrige Pflege der Sprache dnrch die Familie, die Schule und sonstige Ein¬ richtungen ist es nicht möglich, der Entnationalisiruug einen Damm zu setzen. Mithin hat unser Trägheitsgesetz auch eine politische Bedeutuug, da es die Nationen an ihren Sprachgrenzen zu einem besondern Verhalten nötigt, das sonst überflüssig wäre. Soviel ist aber wohl klar, daß diese Gegenwirkungen uicht in einer Be¬ arbeitung und Umgestaltung der Sprache bestehen können. Die deutsche Sprache so umzugestalten, daß sie gegenüber den romanischen Sprachen leine Gefahren der Entnationalisirnng in sich trage, hieße sie auf jenen Grad der Weichheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/166>, abgerufen am 05.02.2025.