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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Religion des panthcisirenden Materialismus,

bringen, den die rumänischen Sprachen erreicht haben. Das würde aber ihren
gegenwärtigen kräftigen Charkter gänzlich verändern, ja vernichten, und der Nation
ein Idiom geben, welches ihrem Charakter geradezu entgegengesetzt wäre. Und
schließlich wäre die Verwirklichung eines solchen Ansinnens ganz unmöglich, da
die Grammtiker bei aller Kühnheit und bei aller' Vergewaltigung der Sprache
nicht wüßten, wo eine solche Umformung anfangen und wo enden solle. Die
Sprache ist nicht in dem Sinne weiterzubilden, daß ihr Grundcharakter ver¬
dorben wird, sondern es muß im Gegenteil dem Volke möglichst Gelegenheit
geboten werden, Geist, Gefühl und Bewußtsein seiner Sprache nach allen Rich¬
tungen hin in sich lebendig zu erhalten,


Franz Podgornik,


Die Religion des pantheisirenden Materialismus.

er Leser wird sich erinnern, daß im Jahre 1833 eine von Wilh.
Vender in Bonn gehaltene Lutherrede großen Anstoß erregte. Der
Vorfall hat nicht allein zu literarischen Auseinandersetzungen Ver-
anlassung gegeben, sondern anch in den Verhandlungen der
rheinischen und westfälischen Synoden zu Beschlüssen geführt,
welche gegen eine im Sinne Benders ausgeübte Lehrfreiheit protestiren.
Neuerdings hat sich auch die preußische Generalsynode mit dem gleichen Gegen¬
stande befaßt. Gegenwärtig tritt nun Bender mit einem Buches an die
Öffentlichkeit, in welchem er zu seiner Rechtfertigung den wissenschaftlichen
Hintergrund, auf welchem sich seine Rede bewegte, mitteilt. Er hofft durch seine
Hypothese, mit deren Hilfe er alle ^wesentlichen Erscheinungen des religiösen
Phänomens erklären zu können glaubt, den Bann des theologischen Scholästi-
zismus zu durchbreche" und denkbare Gedanken in verstehbarcr Form darzu¬
bieten. Daß ihm letzteres gelungen ist, soll von vornherein anerkannt werden;
ob jedoch diese deutbaren Gedanken geeignet seien, den theologischen Scholästi-
zismus zu durchbrechen, mit andern Worten, an die Stelle der Kirchenlehre zu
treten, und ob in ihrer Darlegung eine Rechtfertigung der angefochtenen Lnther-
rede zu finden sei, scheint mir höchst zweifelhaft.

Bender geht von der Frage nach der richtigen Fragestellung aus und stellt
fest, da alle Religionen für sich den Anspruch der Wahrheit erheben, so sei



*) Wilhelm Bender, Das Wesen der Religion und die Grundgesetze der
Kircheubildung, Bonn, Cohen und Sohn, 1886. 336 S,
Die Religion des panthcisirenden Materialismus,

bringen, den die rumänischen Sprachen erreicht haben. Das würde aber ihren
gegenwärtigen kräftigen Charkter gänzlich verändern, ja vernichten, und der Nation
ein Idiom geben, welches ihrem Charakter geradezu entgegengesetzt wäre. Und
schließlich wäre die Verwirklichung eines solchen Ansinnens ganz unmöglich, da
die Grammtiker bei aller Kühnheit und bei aller' Vergewaltigung der Sprache
nicht wüßten, wo eine solche Umformung anfangen und wo enden solle. Die
Sprache ist nicht in dem Sinne weiterzubilden, daß ihr Grundcharakter ver¬
dorben wird, sondern es muß im Gegenteil dem Volke möglichst Gelegenheit
geboten werden, Geist, Gefühl und Bewußtsein seiner Sprache nach allen Rich¬
tungen hin in sich lebendig zu erhalten,


Franz Podgornik,


Die Religion des pantheisirenden Materialismus.

er Leser wird sich erinnern, daß im Jahre 1833 eine von Wilh.
Vender in Bonn gehaltene Lutherrede großen Anstoß erregte. Der
Vorfall hat nicht allein zu literarischen Auseinandersetzungen Ver-
anlassung gegeben, sondern anch in den Verhandlungen der
rheinischen und westfälischen Synoden zu Beschlüssen geführt,
welche gegen eine im Sinne Benders ausgeübte Lehrfreiheit protestiren.
Neuerdings hat sich auch die preußische Generalsynode mit dem gleichen Gegen¬
stande befaßt. Gegenwärtig tritt nun Bender mit einem Buches an die
Öffentlichkeit, in welchem er zu seiner Rechtfertigung den wissenschaftlichen
Hintergrund, auf welchem sich seine Rede bewegte, mitteilt. Er hofft durch seine
Hypothese, mit deren Hilfe er alle ^wesentlichen Erscheinungen des religiösen
Phänomens erklären zu können glaubt, den Bann des theologischen Scholästi-
zismus zu durchbreche» und denkbare Gedanken in verstehbarcr Form darzu¬
bieten. Daß ihm letzteres gelungen ist, soll von vornherein anerkannt werden;
ob jedoch diese deutbaren Gedanken geeignet seien, den theologischen Scholästi-
zismus zu durchbrechen, mit andern Worten, an die Stelle der Kirchenlehre zu
treten, und ob in ihrer Darlegung eine Rechtfertigung der angefochtenen Lnther-
rede zu finden sei, scheint mir höchst zweifelhaft.

Bender geht von der Frage nach der richtigen Fragestellung aus und stellt
fest, da alle Religionen für sich den Anspruch der Wahrheit erheben, so sei



*) Wilhelm Bender, Das Wesen der Religion und die Grundgesetze der
Kircheubildung, Bonn, Cohen und Sohn, 1886. 336 S,
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[0167] Die Religion des panthcisirenden Materialismus, bringen, den die rumänischen Sprachen erreicht haben. Das würde aber ihren gegenwärtigen kräftigen Charkter gänzlich verändern, ja vernichten, und der Nation ein Idiom geben, welches ihrem Charakter geradezu entgegengesetzt wäre. Und schließlich wäre die Verwirklichung eines solchen Ansinnens ganz unmöglich, da die Grammtiker bei aller Kühnheit und bei aller' Vergewaltigung der Sprache nicht wüßten, wo eine solche Umformung anfangen und wo enden solle. Die Sprache ist nicht in dem Sinne weiterzubilden, daß ihr Grundcharakter ver¬ dorben wird, sondern es muß im Gegenteil dem Volke möglichst Gelegenheit geboten werden, Geist, Gefühl und Bewußtsein seiner Sprache nach allen Rich¬ tungen hin in sich lebendig zu erhalten, Franz Podgornik, Die Religion des pantheisirenden Materialismus. er Leser wird sich erinnern, daß im Jahre 1833 eine von Wilh. Vender in Bonn gehaltene Lutherrede großen Anstoß erregte. Der Vorfall hat nicht allein zu literarischen Auseinandersetzungen Ver- anlassung gegeben, sondern anch in den Verhandlungen der rheinischen und westfälischen Synoden zu Beschlüssen geführt, welche gegen eine im Sinne Benders ausgeübte Lehrfreiheit protestiren. Neuerdings hat sich auch die preußische Generalsynode mit dem gleichen Gegen¬ stande befaßt. Gegenwärtig tritt nun Bender mit einem Buches an die Öffentlichkeit, in welchem er zu seiner Rechtfertigung den wissenschaftlichen Hintergrund, auf welchem sich seine Rede bewegte, mitteilt. Er hofft durch seine Hypothese, mit deren Hilfe er alle ^wesentlichen Erscheinungen des religiösen Phänomens erklären zu können glaubt, den Bann des theologischen Scholästi- zismus zu durchbreche» und denkbare Gedanken in verstehbarcr Form darzu¬ bieten. Daß ihm letzteres gelungen ist, soll von vornherein anerkannt werden; ob jedoch diese deutbaren Gedanken geeignet seien, den theologischen Scholästi- zismus zu durchbrechen, mit andern Worten, an die Stelle der Kirchenlehre zu treten, und ob in ihrer Darlegung eine Rechtfertigung der angefochtenen Lnther- rede zu finden sei, scheint mir höchst zweifelhaft. Bender geht von der Frage nach der richtigen Fragestellung aus und stellt fest, da alle Religionen für sich den Anspruch der Wahrheit erheben, so sei *) Wilhelm Bender, Das Wesen der Religion und die Grundgesetze der Kircheubildung, Bonn, Cohen und Sohn, 1886. 336 S,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/167>, abgerufen am 05.02.2025.