Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Der Verlust des Va>lkstm"s durch die Sprache, Schließlich kommt es dazu, das; der letztere gar keine Anstrengungen macht, Verfügt man aber einmal über die gebräuchlichsten und notwendigsten Das ist der Gang der Entnationalisirung durch die Sprache. Nach dieser Je kräftiger demnach eine Sprache ist, desto mehr bringt sie die Gefahr Der Verlust des Va>lkstm»s durch die Sprache, Schließlich kommt es dazu, das; der letztere gar keine Anstrengungen macht, Verfügt man aber einmal über die gebräuchlichsten und notwendigsten Das ist der Gang der Entnationalisirung durch die Sprache. Nach dieser Je kräftiger demnach eine Sprache ist, desto mehr bringt sie die Gefahr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197589"/> <fw type="header" place="top"> Der Verlust des Va>lkstm»s durch die Sprache,</fw><lb/> <p xml:id="ID_486" prev="#ID_485"> Schließlich kommt es dazu, das; der letztere gar keine Anstrengungen macht,<lb/> indem der Deutsche sich dessen Sprache aneignet, während der Italiener zurück¬<lb/> bleibt. Darin liegt die sogenannte „Passivität" der Italiener, wie es unlängst<lb/> ein Sprachgelchrter bezeichnet hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_487"> Verfügt man aber einmal über die gebräuchlichsten und notwendigsten<lb/> Wörter der fremden Sprache, so ist hiermit auch die Grundbedingung für das<lb/> gegenseitige Verständnis der beiden Verkehrenden gegeben. Denn die notwen¬<lb/> digsten Partikeln und Hilfszeitwörter schalten sich wegen des wiederholten Be¬<lb/> dürfnisses nach und nach von selbst ein. So wird in unserm Beispiele der<lb/> Deutsche ein Sklave des Jtalieners, der nun seinerseits gleichfalls unbewußt<lb/> diesem Sklaven mit dem notwendigen Sprachschatze und der entsprechenden<lb/> Begleitung durch Gestikulationen behilflich ist. Nachdem sich der Deutsche,<lb/> ohne es zu wisse», dem Italiener unterworfen hat, muß er sich auch in<lb/> den Satzbildnngen von ihm beeinflussen lassen, und hiermit reift der Deutsche<lb/> allmählich dazu heran, sich uach dem Satzbcme und folglich auch im Geiste<lb/> der italienischen Sprache auszudrücken, die Sprache also immer mehr zu<lb/> beherrschen. So gewinnt der Deutsche die italienische Sprache endlich lieb;<lb/> seine Sprachorgane gewöhnen sich infolge des häufigen Gebrauches an die<lb/> italienische Sprache — zufolge der Beschaffenheit dieser Sprache an leichtere<lb/> Arbeit — und schließlich kehrt derselbe Deutsche nach dem Gesetze der Trägheit<lb/> mir ungern zu Verrichtungen der schwereren Arbeit zurück, die auch für seinen<lb/> geübten Mund zur Hervorbringung der Muttersprache erforderlich ist, Ist<lb/> dieser Deutsche vollends ein Kind aus den ersten Schuljahren, so wirkt das<lb/> Trägheitsgesetz umso stärker, als die „ausgefallenen Bahnen" für die Mutter¬<lb/> sprache noch keineswegs in hohem Grade geglättet sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_488"> Das ist der Gang der Entnationalisirung durch die Sprache. Nach dieser<lb/> Aufklärung ist natürlich die Annahme durchaus zu verwerfen, als würde die<lb/> Entnationalisirung erst dann beginnen und gefährlich werden, wenn sich die<lb/> Wortfolge und die feinern Satzverbindungen des fremden Idioms in die Mutter¬<lb/> sprache einzuschleichen beginnen. Die letztern Einflüsse sind erst eine Folge der<lb/> Aneignung des lexikalischen Bestandteiles der fremden Sprache; denn ohne den<lb/> lexikalischen Teil würde ja das Verständnis der fremden Sprache nicht beginnen,<lb/> und man könnte auch uicht das richtige Gefühl der grammatischen und stili¬<lb/> stischen Eigenschaften der fremden Sprache erlangen. Der lexikalische Teil ist<lb/> allerdings nur das gröbere Material; allein im Verkehre und bei der Ent-<lb/> nativncilisirnng bildet dieser Stoff die Grundlage alles übrigen. Ungeeignet<lb/> aber wird das fremde lexikalische Material, wie gesagt, nach dem Gesetze der<lb/> Trägheit, die desto stärker wirkt, je größer die ursprüngliche Anstrengung für<lb/> die Bewältigung des lautlicher Stoffes der Muttersprache war.</p><lb/> <p xml:id="ID_489" next="#ID_490"> Je kräftiger demnach eine Sprache ist, desto mehr bringt sie die Gefahr<lb/> mit sich, daß ihre eignen Sohne im Verkehre mit andern Völkern entuativ-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0165]
Der Verlust des Va>lkstm»s durch die Sprache,
Schließlich kommt es dazu, das; der letztere gar keine Anstrengungen macht,
indem der Deutsche sich dessen Sprache aneignet, während der Italiener zurück¬
bleibt. Darin liegt die sogenannte „Passivität" der Italiener, wie es unlängst
ein Sprachgelchrter bezeichnet hat.
Verfügt man aber einmal über die gebräuchlichsten und notwendigsten
Wörter der fremden Sprache, so ist hiermit auch die Grundbedingung für das
gegenseitige Verständnis der beiden Verkehrenden gegeben. Denn die notwen¬
digsten Partikeln und Hilfszeitwörter schalten sich wegen des wiederholten Be¬
dürfnisses nach und nach von selbst ein. So wird in unserm Beispiele der
Deutsche ein Sklave des Jtalieners, der nun seinerseits gleichfalls unbewußt
diesem Sklaven mit dem notwendigen Sprachschatze und der entsprechenden
Begleitung durch Gestikulationen behilflich ist. Nachdem sich der Deutsche,
ohne es zu wisse», dem Italiener unterworfen hat, muß er sich auch in
den Satzbildnngen von ihm beeinflussen lassen, und hiermit reift der Deutsche
allmählich dazu heran, sich uach dem Satzbcme und folglich auch im Geiste
der italienischen Sprache auszudrücken, die Sprache also immer mehr zu
beherrschen. So gewinnt der Deutsche die italienische Sprache endlich lieb;
seine Sprachorgane gewöhnen sich infolge des häufigen Gebrauches an die
italienische Sprache — zufolge der Beschaffenheit dieser Sprache an leichtere
Arbeit — und schließlich kehrt derselbe Deutsche nach dem Gesetze der Trägheit
mir ungern zu Verrichtungen der schwereren Arbeit zurück, die auch für seinen
geübten Mund zur Hervorbringung der Muttersprache erforderlich ist, Ist
dieser Deutsche vollends ein Kind aus den ersten Schuljahren, so wirkt das
Trägheitsgesetz umso stärker, als die „ausgefallenen Bahnen" für die Mutter¬
sprache noch keineswegs in hohem Grade geglättet sind.
Das ist der Gang der Entnationalisirung durch die Sprache. Nach dieser
Aufklärung ist natürlich die Annahme durchaus zu verwerfen, als würde die
Entnationalisirung erst dann beginnen und gefährlich werden, wenn sich die
Wortfolge und die feinern Satzverbindungen des fremden Idioms in die Mutter¬
sprache einzuschleichen beginnen. Die letztern Einflüsse sind erst eine Folge der
Aneignung des lexikalischen Bestandteiles der fremden Sprache; denn ohne den
lexikalischen Teil würde ja das Verständnis der fremden Sprache nicht beginnen,
und man könnte auch uicht das richtige Gefühl der grammatischen und stili¬
stischen Eigenschaften der fremden Sprache erlangen. Der lexikalische Teil ist
allerdings nur das gröbere Material; allein im Verkehre und bei der Ent-
nativncilisirnng bildet dieser Stoff die Grundlage alles übrigen. Ungeeignet
aber wird das fremde lexikalische Material, wie gesagt, nach dem Gesetze der
Trägheit, die desto stärker wirkt, je größer die ursprüngliche Anstrengung für
die Bewältigung des lautlicher Stoffes der Muttersprache war.
Je kräftiger demnach eine Sprache ist, desto mehr bringt sie die Gefahr
mit sich, daß ihre eignen Sohne im Verkehre mit andern Völkern entuativ-
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