Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Mißgriff war, Dongola zu rämen und es den Gegnern zu überlassen, jedenfalls Mißgriff war, Dongola zu rämen und es den Gegnern zu überlassen, jedenfalls <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197534"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_328" prev="#ID_327" next="#ID_329"> Mißgriff war, Dongola zu rämen und es den Gegnern zu überlassen, jedenfalls<lb/> wurde der Rückzug auch aus dieser Stadt und Gegend von den Arabern als<lb/> Niederlage und Ohnmacht gedeutet, und diese kommen jetzt in dem Bewußtsein, im<lb/> ganzen den Sieg behalten zu haben, ihrerseits als Angreifer von Leuten, denen<lb/> sie überlegen zu sein glauben oder die ihnen wenigstens im Sudan nicht Stand<lb/> zu halten vermochten. Natürlich begreifen sie nicht, daß bei dem Rückzuge<lb/> Wolseleys auch Anforderungen englischer Parteipolitik im Spiele waren. Sie<lb/> hieben Hicks und sein gesamtes Heer zusammen, sie nahmen Chartum ein und<lb/> töteten Gordon, sie bemächtigten sich allmählich aller Orte des Sudan, welche<lb/> ägyptische Garnisonen hatten, sie folgten den retirirenden Soldaten der Königin<lb/> Viktoria nilabwärts bis weit über Dongola hinaus. Wären diese hier geblieben,<lb/> so würden die Araber sie ohne Zweifel von da zu vertreiben versucht haben,<lb/> und die Engländer würden genötigt gewesen sein, sie weiter von ihren Hilfs¬<lb/> quellen und Reserven als jetzt zu bekämpfen. Die zurückzulegende Strecke würde<lb/> für die Engländer kürzer, die Aufgabe einer Zerstreuung des angreifenden suda¬<lb/> nesischen Heeres weniger schwierig gewesen sein. Anderseits aber liegt Kvscheh<lb/> der Grenze Ägyptens, des Endzieles jenes Heeres, näher, und in demselben Maße<lb/> ist die Gefahr innerer Unruhen in diesem Lande größer. Hätte man sich vor<lb/> dem Abzüge von Dongola in ausreichender Weise mit den Stämmen der Kab-<lb/> babisch auf dem westlichen Ufer des Nils und mit denen der Bischarin im Osten<lb/> verständigt, so würde wahrscheinlich das Knie des Stromlaufes unterhalb Kvrti<lb/> die Grenze des Vordringens der Sudanesen bezeichnet haben. Es geschah aber<lb/> nichts derart, und es ging wahrscheinlich auch nicht an, und so sah der Marsch<lb/> von Dongola aus flußabwärts allerdings wie eine Flucht aus, zumal da ihm<lb/> eine eilige Auswanderung der Zivilbevölkerung voranging. Die Führer der<lb/> Araber konnten nicht wissen, daß der Rückzug wohlüberlegt und in keiner<lb/> Weise von der Furcht vor ihrer militärischen Macht und Überlegenheit ange¬<lb/> raten war. Die Frage, ob es nicht zweckdienlich wäre, Dongola wieder zu<lb/> besetzen und zwar dnrch nichtenglische Truppen, durch Ägypter oder Türken,<lb/> kann vorläufig unentschieden bleiben. Als Stephenson vor drei Wochen seinen<lb/> neuen Feldzug nach dem Sudan begann, war, wie gesagt, die nächste Aufgabe,<lb/> die Sudanesen, die sich bei Gimis konzentrirt hatten, zu schlage» und wo mög¬<lb/> lich so zu schwächen und zu zerstreuen, daß sie fernerhin nicht mehr daran denken<lb/> konnten, den Krieg nach Ägypten selbst auszudehnen und Verwirrung bis nach<lb/> der Südspitze des Deltas hin hervorzurufen. Nach den neuesten Nachrichten ist<lb/> diese Aufgabe uicht vollständig gelöst worden. Es hat bei Gimis ein Treffen<lb/> stattgefunden, aber der Ausgang desselben war wie bei den frühern im Nilthal<lb/> und im Küstenlande am Noten Meere, Die Sudanesen wurden geworfen und<lb/> ans ihren Stellungen Vertrieben, aber nicht für die Dauer unschädlich gemacht.<lb/> Sie ließen gegen sechshundert Tode auf dem Platze, aber ähnliches war früher<lb/> schon vorgekommen, ohne sie für lange Zeit abzuschrecken. Die Engländer be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0110]
Mißgriff war, Dongola zu rämen und es den Gegnern zu überlassen, jedenfalls
wurde der Rückzug auch aus dieser Stadt und Gegend von den Arabern als
Niederlage und Ohnmacht gedeutet, und diese kommen jetzt in dem Bewußtsein, im
ganzen den Sieg behalten zu haben, ihrerseits als Angreifer von Leuten, denen
sie überlegen zu sein glauben oder die ihnen wenigstens im Sudan nicht Stand
zu halten vermochten. Natürlich begreifen sie nicht, daß bei dem Rückzuge
Wolseleys auch Anforderungen englischer Parteipolitik im Spiele waren. Sie
hieben Hicks und sein gesamtes Heer zusammen, sie nahmen Chartum ein und
töteten Gordon, sie bemächtigten sich allmählich aller Orte des Sudan, welche
ägyptische Garnisonen hatten, sie folgten den retirirenden Soldaten der Königin
Viktoria nilabwärts bis weit über Dongola hinaus. Wären diese hier geblieben,
so würden die Araber sie ohne Zweifel von da zu vertreiben versucht haben,
und die Engländer würden genötigt gewesen sein, sie weiter von ihren Hilfs¬
quellen und Reserven als jetzt zu bekämpfen. Die zurückzulegende Strecke würde
für die Engländer kürzer, die Aufgabe einer Zerstreuung des angreifenden suda¬
nesischen Heeres weniger schwierig gewesen sein. Anderseits aber liegt Kvscheh
der Grenze Ägyptens, des Endzieles jenes Heeres, näher, und in demselben Maße
ist die Gefahr innerer Unruhen in diesem Lande größer. Hätte man sich vor
dem Abzüge von Dongola in ausreichender Weise mit den Stämmen der Kab-
babisch auf dem westlichen Ufer des Nils und mit denen der Bischarin im Osten
verständigt, so würde wahrscheinlich das Knie des Stromlaufes unterhalb Kvrti
die Grenze des Vordringens der Sudanesen bezeichnet haben. Es geschah aber
nichts derart, und es ging wahrscheinlich auch nicht an, und so sah der Marsch
von Dongola aus flußabwärts allerdings wie eine Flucht aus, zumal da ihm
eine eilige Auswanderung der Zivilbevölkerung voranging. Die Führer der
Araber konnten nicht wissen, daß der Rückzug wohlüberlegt und in keiner
Weise von der Furcht vor ihrer militärischen Macht und Überlegenheit ange¬
raten war. Die Frage, ob es nicht zweckdienlich wäre, Dongola wieder zu
besetzen und zwar dnrch nichtenglische Truppen, durch Ägypter oder Türken,
kann vorläufig unentschieden bleiben. Als Stephenson vor drei Wochen seinen
neuen Feldzug nach dem Sudan begann, war, wie gesagt, die nächste Aufgabe,
die Sudanesen, die sich bei Gimis konzentrirt hatten, zu schlage» und wo mög¬
lich so zu schwächen und zu zerstreuen, daß sie fernerhin nicht mehr daran denken
konnten, den Krieg nach Ägypten selbst auszudehnen und Verwirrung bis nach
der Südspitze des Deltas hin hervorzurufen. Nach den neuesten Nachrichten ist
diese Aufgabe uicht vollständig gelöst worden. Es hat bei Gimis ein Treffen
stattgefunden, aber der Ausgang desselben war wie bei den frühern im Nilthal
und im Küstenlande am Noten Meere, Die Sudanesen wurden geworfen und
ans ihren Stellungen Vertrieben, aber nicht für die Dauer unschädlich gemacht.
Sie ließen gegen sechshundert Tode auf dem Platze, aber ähnliches war früher
schon vorgekommen, ohne sie für lange Zeit abzuschrecken. Die Engländer be-
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