Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Werders Macbeth-Vorlesungen. "Vor dem Stück! nirgends sonst als da. Ins Fundament desselben gehört er, Der Charakteristik, welche Werber im großen und ganzen von der Gestalt Werber hat über dem Charakter Macbeths eine ganze Metaphysik auf¬ Werders Macbeth-Vorlesungen. „Vor dem Stück! nirgends sonst als da. Ins Fundament desselben gehört er, Der Charakteristik, welche Werber im großen und ganzen von der Gestalt Werber hat über dem Charakter Macbeths eine ganze Metaphysik auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0594" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197328"/> <fw type="header" place="top"> Werders Macbeth-Vorlesungen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1953" prev="#ID_1952"> „Vor dem Stück! nirgends sonst als da. Ins Fundament desselben gehört er,<lb/> und da das Stück Macbeth ist, ins Fundament des Charakters" (S. 36). Also<lb/> hat es doch eine Vorgeschichte, trotz der frühern Behauptungen? Welch ein<lb/> Widerspruch! Und die bloße Erwägung, daß Maebeth erst mit dem Beginne<lb/> der Handlung in zwei Würden dem Throne näherrückt, die ihm ganz unverhofft<lb/> zuteil werden, und daß in diesem Glückstaumel sein Ehrgeiz durch die Prophe¬<lb/> zeiung der Hexen nur noch mehr entfacht wird, daß er der Versuchung erliegt,<lb/> und endlich sein ganz verzücktes Wesen, welches sogar seinen Begleitern auffüllt,<lb/> wobei er sich wie einer benimmt, in den ein neuer Gedanke wie der Blitz ein¬<lb/> schlägt — alles das Hütte Werber von der UnHaltbarkeit seiner Hypothese über¬<lb/> zeugen können, die überdies die Tragödie eines ihrer höchsten künstlerischen<lb/> Vorzüge berauben würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1954"> Der Charakteristik, welche Werber im großen und ganzen von der Gestalt<lb/> Macbeths giebt, wird man eher zustimmen können. Er sagt: „Der unaufhaltsame<lb/> Drang, den bösen Willen zu vollführen, und die stete Betrachtung dieses bösen<lb/> Willens, das ist der Charakter. Nicht uur daß Macbeth das Gute weiß und<lb/> fühlt und dennoch nur das Böse will und thut, sondern daß diese beiden Seiten<lb/> in ihm zur höchsten Potenz gesteigert und in dieser Steigerung zu einem Gleich¬<lb/> gewicht verknüpft sind, das sich als tiefstes Leiden kundgiebt, darin besteht die<lb/> tragische Größe des Charakters." Werber hebt dabei mit Nachdruck hervor,<lb/> daß vor ihm kein einziger Shakespeareforscher Macbeths Gestalt so aufgefaßt<lb/> und auf die Tiefe und Innigkeit der Leiden hingewiesen habe, wodurch sie allein<lb/> zu der poetischen Wirkung gelange, die man ihr zuerkennt. Darin irrt er. Wir<lb/> finden eine Stelle in Otto Ludwigs Shakespearestudien (S. 170), die wesentlich<lb/> die gleiche Auffassung vorzeichnet. „Daß Macbeths Leidenschaft diese entsetzliche<lb/> Stärke hat jnümlich: die schändliche That, die er verüben will, auch nur etwas,<lb/> auch nur vor sich selbst zu verschleiern), das bringt in uns zugleich ein Gefühl<lb/> wie von Bewunderung dieser Stärke und doch von Mitleid hervor für dies so<lb/> tief moralisch empfindende Gemüt, daß solche Leidenschaft es doch hinreißt. Hier<lb/> ist das Geheimnis des wahrhaft Tragischen: daß der Held in seinem Unrecht<lb/> zugleich imposant und mitlciderweckend, in dem Unrechte, das er selber thut,<lb/> erscheint, da er dieses doch mehr zu leiden scheint in seinem Thun, als es thuend.<lb/> Durch solche Schuld gewinnt er nun erst eine Innerlichkeit, eine Geschichte der<lb/> Seele, die ihn über das Marionettenhafte hinaus und in den Schoß unsrer<lb/> Teilnahme hebt."</p><lb/> <p xml:id="ID_1955" next="#ID_1956"> Werber hat über dem Charakter Macbeths eine ganze Metaphysik auf¬<lb/> gebaut; aber die Eigentümlichkeiten seiner Individualität hat er doch uicht er¬<lb/> schöpft. Das visionäre Element in Maebeth, welches Fr. Th. Bischer hervor¬<lb/> gehoben hat, hat Werber ganz übersehen. Die Phantasie Macbeths ist aber<lb/> ein sehr bemerkenswerter Zug in seiner Persönlichkeit. Was wäre ein Ehr¬<lb/> geiziger ohne Phantasie? Der Held, der nichts fürchtet, selbst Gespenstern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0594]
Werders Macbeth-Vorlesungen.
„Vor dem Stück! nirgends sonst als da. Ins Fundament desselben gehört er,
und da das Stück Macbeth ist, ins Fundament des Charakters" (S. 36). Also
hat es doch eine Vorgeschichte, trotz der frühern Behauptungen? Welch ein
Widerspruch! Und die bloße Erwägung, daß Maebeth erst mit dem Beginne
der Handlung in zwei Würden dem Throne näherrückt, die ihm ganz unverhofft
zuteil werden, und daß in diesem Glückstaumel sein Ehrgeiz durch die Prophe¬
zeiung der Hexen nur noch mehr entfacht wird, daß er der Versuchung erliegt,
und endlich sein ganz verzücktes Wesen, welches sogar seinen Begleitern auffüllt,
wobei er sich wie einer benimmt, in den ein neuer Gedanke wie der Blitz ein¬
schlägt — alles das Hütte Werber von der UnHaltbarkeit seiner Hypothese über¬
zeugen können, die überdies die Tragödie eines ihrer höchsten künstlerischen
Vorzüge berauben würde.
Der Charakteristik, welche Werber im großen und ganzen von der Gestalt
Macbeths giebt, wird man eher zustimmen können. Er sagt: „Der unaufhaltsame
Drang, den bösen Willen zu vollführen, und die stete Betrachtung dieses bösen
Willens, das ist der Charakter. Nicht uur daß Macbeth das Gute weiß und
fühlt und dennoch nur das Böse will und thut, sondern daß diese beiden Seiten
in ihm zur höchsten Potenz gesteigert und in dieser Steigerung zu einem Gleich¬
gewicht verknüpft sind, das sich als tiefstes Leiden kundgiebt, darin besteht die
tragische Größe des Charakters." Werber hebt dabei mit Nachdruck hervor,
daß vor ihm kein einziger Shakespeareforscher Macbeths Gestalt so aufgefaßt
und auf die Tiefe und Innigkeit der Leiden hingewiesen habe, wodurch sie allein
zu der poetischen Wirkung gelange, die man ihr zuerkennt. Darin irrt er. Wir
finden eine Stelle in Otto Ludwigs Shakespearestudien (S. 170), die wesentlich
die gleiche Auffassung vorzeichnet. „Daß Macbeths Leidenschaft diese entsetzliche
Stärke hat jnümlich: die schändliche That, die er verüben will, auch nur etwas,
auch nur vor sich selbst zu verschleiern), das bringt in uns zugleich ein Gefühl
wie von Bewunderung dieser Stärke und doch von Mitleid hervor für dies so
tief moralisch empfindende Gemüt, daß solche Leidenschaft es doch hinreißt. Hier
ist das Geheimnis des wahrhaft Tragischen: daß der Held in seinem Unrecht
zugleich imposant und mitlciderweckend, in dem Unrechte, das er selber thut,
erscheint, da er dieses doch mehr zu leiden scheint in seinem Thun, als es thuend.
Durch solche Schuld gewinnt er nun erst eine Innerlichkeit, eine Geschichte der
Seele, die ihn über das Marionettenhafte hinaus und in den Schoß unsrer
Teilnahme hebt."
Werber hat über dem Charakter Macbeths eine ganze Metaphysik auf¬
gebaut; aber die Eigentümlichkeiten seiner Individualität hat er doch uicht er¬
schöpft. Das visionäre Element in Maebeth, welches Fr. Th. Bischer hervor¬
gehoben hat, hat Werber ganz übersehen. Die Phantasie Macbeths ist aber
ein sehr bemerkenswerter Zug in seiner Persönlichkeit. Was wäre ein Ehr¬
geiziger ohne Phantasie? Der Held, der nichts fürchtet, selbst Gespenstern
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