Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Werders Macbeth-Vorlesungen. Jeder, der lesen kann, wird einsehen, daß mit diesem Monolog der Dichter nur Aber freilich, Werber hat auch da eine ganz eigne Ansicht, er, der bei Ich hab' gesäugt und weiß, so folgert Werber -- indem er gleichzeitig sich als den Entdecker dieser wichtigen Grenzboten IV. 188S. 74
Werders Macbeth-Vorlesungen. Jeder, der lesen kann, wird einsehen, daß mit diesem Monolog der Dichter nur Aber freilich, Werber hat auch da eine ganz eigne Ansicht, er, der bei Ich hab' gesäugt und weiß, so folgert Werber — indem er gleichzeitig sich als den Entdecker dieser wichtigen Grenzboten IV. 188S. 74
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Werders Macbeth-Vorlesungen.
Jeder, der lesen kann, wird einsehen, daß mit diesem Monolog der Dichter nur
die Abbreviatur eines Entwicklungsganges gegeben hat. Es wäre auch eine un¬
künstlerische Wiederholung der Darstellung des Prozesses gewesen, den Macbeth
vor unsern Augen im Kampfe mit seinem Gewissen durchmacht, wenn Shake¬
speare auch den der Lady gleich breit ausgeführt hätte. Werber aber erklärt
diese kurze Andeutung (aus der der Dichter einmal selbst durch den Mund
seiner Gestalt spricht) für die Darstellung des Prozesses selbst und fügt hinzu:
„Das ist ja der Triumph Shakespeares, daß er die Lady so, in dieser extremsten
Weise, ihren Entschluß fassen läßt, denn nur so, kraft dieser Überspannung,
kann sie, kann sie ihn fassen." Aber diese Erklärung setzt ja schon die Kenntnis
der ganzen Gestalt der Lady voraus, also das erst zu erklärende, und den
Monolog spricht sie bei ihrem ersten Auftreten. „Das gerade ist ihr Unterschied
gegen Macbeth, der zu diesem Entschluß sich nicht vermittelst der Exaltation zu
erschwingen braucht, sondern dem er hö-us pwaso zur Hand ist."' So? Und
warum spricht er gleich von der Versuchung, „deren entsetzliches Bild sein Haar
aufsträubt, sodaß sein festes Herz ganz unnatürlich an seine Nippen schlägt?"
wozu bedürfte es dann der Überredung durch die Lady? der vielen Gewissens-
skrupel?
Aber freilich, Werber hat auch da eine ganz eigne Ansicht, er, der bei
Shakespeare das Gras wachsen hört, hört auch Macbeths Reden mit ganz
andern Ohren als wir übrigen Sterblichen. Ausdrücklich versichert er: „Das
Stück fängt ganz unmittelbar an; kein Prozeß liegt davor, von dem die
Handlung cibhinge, nichts, was sie aus der Vergangenheit her in sich aufzu¬
nehmen Hütte. Alles, worauf es ankommt, macht sich vor unsern Augen" (S. 9).
Und dann wieder: „ Augenblicks darum steht das äußerste, die Mordthat, vor
seiner Seele; aus seinem Herzen und Willen allein. Nicht in der Verkündigung
der Hexen liegt sie; nicht ihr Werk ist sie, sondern Seins, sein eigenstes. So
also hebt er für uns an. So unmittelbar aus der dünnen losen Asche, aus der
sie bis dahin uns angeglimmt, leckt die höllische Flamme hervor, die in seiner
Seele brennt, und leuchtet uns in sein Inneres hinein" (S. 25). Als er aber
dann zu der Stelle kommt, wo die Lady, in ihrem Bestreben, Macbeth aufzu¬
stacheln, schließt:
Ich hab' gesäugt und weiß,
Wie süß es ist, ein liebes Kind zu niihren —
Ich hätt' ihm, wie eS mir ins Ange lachte,
Die Brust gerissen aus den weichen Kiefern,
Sein Hirn zerschmettert, hätt' ich so geschworen,,
Wie du ans dies!
so folgert Werber — indem er gleichzeitig sich als den Entdecker dieser wichtigen
Stelle preist — aus dem „geschworen haben," daß die Lady ihrem Gatten vorführt,
daß Macbeth schon vor dem Stücke den Plan zum Königsmorde gehabt habe.
Grenzboten IV. 188S. 74
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