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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Worders Macbeth - Vorlesungen.

Weil wir eben von einer poetischen Kühnheit Shakespeares sprechen, die
Werber als solche nicht gelten lassen will, berühren wir gleich eine andre, welche
die Gestaltung der Lady Macbeth betrifft. Werber sagt (S. 254) ganz richtig:
"Man hat immer mir den moralischen Charakter der Lady im Auge und läßt
den wichtigeren, der jenen erst erklärt, außer Acht, nämlich ihren poetischen
Charakter. Der aber besteht darin: daß sie, jedem sonstigen Interesse fremd,
einzig das Weib Macbeths ist und nur als dieses ihrer Gesamtheit nach in
Betracht kommt -- nur deu einen Gesichtspunkt bietend, im übrigen verschattet,
und für alles weitere stumm. Der Dichter hat sie aus der Rippe Macbeths
geschaffen, und sie dadurch zu einem Unikum unter den tragischen Frauengestalten
gemacht. Das erkennen, heißt sie verstehen----Sie ist so ehrgeizig für Macbeth,
wie er für sich. Sein Verlangen nach der Krone ist nicht stärker, als das
ihrige darnach, daß er sie trage -- er und sie als sein Weib mit ihm. Die
eine und selbe Ehrsucht wirkt hier als die eines Paares mit doppelter
Stärke, und in der Frau, weil sie der Leidenschaft des Gatte" dient, fanatisch."
Soweit wäre alles richtig. Wenn aber Rümelin (Shakespearestndien, S. 87)
bemerkt: "Das Verhalten der Lady vor der That und nach derselben scheint
dem psychologischen Gesetz der Stetigkeit und Unveränderlichkeit des wesentlichen
Charakters, das auch Shakespeare im allgemeinen, wiewohl mit manchen Aus¬
nahmen festhält, zu widersprechen. Es wird hier dem Gewissen eine magische
und dämonische, nicht eine psychologisch begreifbare Wirkung beigelegt" u. s. w.,
so ist dies zwar ein Irrtum, aber ein leicht entschuldbarer. Denn in der That
hat Shakespeare in der Gestaltung der Lady sich eines sehr abgekürzten Ver¬
fahrens bedient. Statt die Entwicklung des Weibes zur Furie ausführlich dar¬
zustellen, deutet er sie in folgenden Versen bloß an:


Kommt, ihr Geister, die
Ihr Mordgedanken dient, entweiht mich hier --
Und füllt mich an, vom Schöpf zur Zeh', randvoll,
Mit wildester Grausamkeit! macht dick mein Blut;
Verstopft Zugang und Weg der frommen Scheu,
Dahl keine reuige Regung der Natur
Den finstern Vorsatz lahm' und Friede" halte
Zwischen der That und ihm!
Legt euch an meine Fraueubriist' und findet
Statt Milch nur Galt', ihr mordenden Gehilfen,
Wo ihr auch weilt als unsichtbare Gefolge
Menschlicher Frevelthat!.. . Komm, dichte Nacht,
Und wickle dich in braunsten Höllenqualen,
Daß nicht mein scharfer Dolch die Wunde sehe,
Der Himmel nicht durch deinen Vorhang blicke
Und rufe: halt! halt!")


*) Nach der von Werber mitgeteilten Übersetzung Otto Gildemeisters. Die andern
Zitate nach Schlegel-Tieck.
Worders Macbeth - Vorlesungen.

Weil wir eben von einer poetischen Kühnheit Shakespeares sprechen, die
Werber als solche nicht gelten lassen will, berühren wir gleich eine andre, welche
die Gestaltung der Lady Macbeth betrifft. Werber sagt (S. 254) ganz richtig:
„Man hat immer mir den moralischen Charakter der Lady im Auge und läßt
den wichtigeren, der jenen erst erklärt, außer Acht, nämlich ihren poetischen
Charakter. Der aber besteht darin: daß sie, jedem sonstigen Interesse fremd,
einzig das Weib Macbeths ist und nur als dieses ihrer Gesamtheit nach in
Betracht kommt — nur deu einen Gesichtspunkt bietend, im übrigen verschattet,
und für alles weitere stumm. Der Dichter hat sie aus der Rippe Macbeths
geschaffen, und sie dadurch zu einem Unikum unter den tragischen Frauengestalten
gemacht. Das erkennen, heißt sie verstehen----Sie ist so ehrgeizig für Macbeth,
wie er für sich. Sein Verlangen nach der Krone ist nicht stärker, als das
ihrige darnach, daß er sie trage — er und sie als sein Weib mit ihm. Die
eine und selbe Ehrsucht wirkt hier als die eines Paares mit doppelter
Stärke, und in der Frau, weil sie der Leidenschaft des Gatte» dient, fanatisch."
Soweit wäre alles richtig. Wenn aber Rümelin (Shakespearestndien, S. 87)
bemerkt: „Das Verhalten der Lady vor der That und nach derselben scheint
dem psychologischen Gesetz der Stetigkeit und Unveränderlichkeit des wesentlichen
Charakters, das auch Shakespeare im allgemeinen, wiewohl mit manchen Aus¬
nahmen festhält, zu widersprechen. Es wird hier dem Gewissen eine magische
und dämonische, nicht eine psychologisch begreifbare Wirkung beigelegt" u. s. w.,
so ist dies zwar ein Irrtum, aber ein leicht entschuldbarer. Denn in der That
hat Shakespeare in der Gestaltung der Lady sich eines sehr abgekürzten Ver¬
fahrens bedient. Statt die Entwicklung des Weibes zur Furie ausführlich dar¬
zustellen, deutet er sie in folgenden Versen bloß an:


Kommt, ihr Geister, die
Ihr Mordgedanken dient, entweiht mich hier —
Und füllt mich an, vom Schöpf zur Zeh', randvoll,
Mit wildester Grausamkeit! macht dick mein Blut;
Verstopft Zugang und Weg der frommen Scheu,
Dahl keine reuige Regung der Natur
Den finstern Vorsatz lahm' und Friede» halte
Zwischen der That und ihm!
Legt euch an meine Fraueubriist' und findet
Statt Milch nur Galt', ihr mordenden Gehilfen,
Wo ihr auch weilt als unsichtbare Gefolge
Menschlicher Frevelthat!.. . Komm, dichte Nacht,
Und wickle dich in braunsten Höllenqualen,
Daß nicht mein scharfer Dolch die Wunde sehe,
Der Himmel nicht durch deinen Vorhang blicke
Und rufe: halt! halt!")


*) Nach der von Werber mitgeteilten Übersetzung Otto Gildemeisters. Die andern
Zitate nach Schlegel-Tieck.
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[0592] Worders Macbeth - Vorlesungen. Weil wir eben von einer poetischen Kühnheit Shakespeares sprechen, die Werber als solche nicht gelten lassen will, berühren wir gleich eine andre, welche die Gestaltung der Lady Macbeth betrifft. Werber sagt (S. 254) ganz richtig: „Man hat immer mir den moralischen Charakter der Lady im Auge und läßt den wichtigeren, der jenen erst erklärt, außer Acht, nämlich ihren poetischen Charakter. Der aber besteht darin: daß sie, jedem sonstigen Interesse fremd, einzig das Weib Macbeths ist und nur als dieses ihrer Gesamtheit nach in Betracht kommt — nur deu einen Gesichtspunkt bietend, im übrigen verschattet, und für alles weitere stumm. Der Dichter hat sie aus der Rippe Macbeths geschaffen, und sie dadurch zu einem Unikum unter den tragischen Frauengestalten gemacht. Das erkennen, heißt sie verstehen----Sie ist so ehrgeizig für Macbeth, wie er für sich. Sein Verlangen nach der Krone ist nicht stärker, als das ihrige darnach, daß er sie trage — er und sie als sein Weib mit ihm. Die eine und selbe Ehrsucht wirkt hier als die eines Paares mit doppelter Stärke, und in der Frau, weil sie der Leidenschaft des Gatte» dient, fanatisch." Soweit wäre alles richtig. Wenn aber Rümelin (Shakespearestndien, S. 87) bemerkt: „Das Verhalten der Lady vor der That und nach derselben scheint dem psychologischen Gesetz der Stetigkeit und Unveränderlichkeit des wesentlichen Charakters, das auch Shakespeare im allgemeinen, wiewohl mit manchen Aus¬ nahmen festhält, zu widersprechen. Es wird hier dem Gewissen eine magische und dämonische, nicht eine psychologisch begreifbare Wirkung beigelegt" u. s. w., so ist dies zwar ein Irrtum, aber ein leicht entschuldbarer. Denn in der That hat Shakespeare in der Gestaltung der Lady sich eines sehr abgekürzten Ver¬ fahrens bedient. Statt die Entwicklung des Weibes zur Furie ausführlich dar¬ zustellen, deutet er sie in folgenden Versen bloß an: Kommt, ihr Geister, die Ihr Mordgedanken dient, entweiht mich hier — Und füllt mich an, vom Schöpf zur Zeh', randvoll, Mit wildester Grausamkeit! macht dick mein Blut; Verstopft Zugang und Weg der frommen Scheu, Dahl keine reuige Regung der Natur Den finstern Vorsatz lahm' und Friede» halte Zwischen der That und ihm! Legt euch an meine Fraueubriist' und findet Statt Milch nur Galt', ihr mordenden Gehilfen, Wo ihr auch weilt als unsichtbare Gefolge Menschlicher Frevelthat!.. . Komm, dichte Nacht, Und wickle dich in braunsten Höllenqualen, Daß nicht mein scharfer Dolch die Wunde sehe, Der Himmel nicht durch deinen Vorhang blicke Und rufe: halt! halt!") *) Nach der von Werber mitgeteilten Übersetzung Otto Gildemeisters. Die andern Zitate nach Schlegel-Tieck.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/592>, abgerufen am 15.01.2025.