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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Von diesen Kindern zu treyncn, denen sein Abschied nur den herbsten Schmerz
hätte verursachen können. Auch glänzten in der Frühlingssonne die krystallnen
Kuppen der Berge so zauberhaft, daß Harald uoch gedachte, auch während der
Sommerszeit auf der Höhe zu bleiben und alle weitern Entschlüsse aufzuschieben,
bis es wieder Winter würde.

Es war an einem schönen Frühjahrstage noch nicht spät am Mittage, als
sich die gewohnten Gäste um den Tisch des Hauses versammelt hatten. Die meisten
freuten sich des wiedererwachten Frühlings und sprachen davon, wie, wenn der Weg
fortan frei bliebe, wieder fremde Menschen ihrer schönen Bergwelt zugeführt werdeu
würden; denn während sonst die Kinder der Natur gegen ihre Reize abgestumpft
werden, hat die Reiselust, welche die Bewohner der Städte in die Berge sührt, auch
in den einfachen Bergbewohnern die Liebe zu den Schönheiten der Natur geweckt
und rege gemacht. Alle fühlten sich von der Last des schweren Winters befreit
und gedachten der schönen Tage, deren Eintritt nunmehr begonnen habe. Nur
der greise Giuseppe schüttelte bei diesen Reden sein Haupt und wies auf das
steile Horn der dium al 5Ponäi>> llmgA, welches, von einer grauen Wolke um¬
lagert, unter seiner schweren Schneelast zu wanken schien. Wenn der Schnee
nicht allmählich wegschmilzt, sagte er, sondern bei der großen Hitze plötzlich weich
wird, so bedarf es nur eines einzigen Sturmwindes, um die ganze sxcmäa lunssci.
bis zur voocg, nisi IZr-Mio zu verschütten. Wir sollen nicht zu früh jubeln,
wer weiß, welch schweres Stück Arbeit uns noch bevorsteht, ehe wir mit guter
Zuversicht melden können, daß der Weg von Bormio bis Trafoi ohne Furcht
befahren werden kann. Doch die andern ließen sich in ihren heitern Reden durch
diese Warnung nicht beirren, sondern es flüsterte wohl der eine dem andern zu,
daß der c^xo schon alt zu werden beginne, und da er selber ins Wanken gerate,
mich das Gleiche von den Bergriesen glaube.

Die Fröhlichkeit am Tische zu Santa Maria dauerte jedoch keine halbe
Stunde, da erhob sich von der L!iirm her die schwarze Wolke zu einem Unwetter;
es begann ein heftiger Sturmwind, der das Haus selbst in seinen Grundvesten
zu erschüttern drohte.

Wenn sich nur niemand durch die letzten schönen Tage hat verleiten lassen,
den Weg von unten herauf zu nehmen, klagte Nina, und Rosina fügte hinzu.-
Ja, das Wetter war jetzt schön genug und dn hat es gewiß jemand gewagt,
zumal da die Handelsleute in Tirano wissen, daß unsre Vorräte bald zu
Ende sind.

Die rottlzri machten sich mit ihrem viipo auf, um deu Weg zu durch¬
schweifen, und nahmen ihre.Hunde mit; auch Harald schloß sich ihnen trotz der
Bitten Ninas an. Sie gingen zu vieren von der cNckomMi, al "xonä^ IrmgA ab¬
wärts, indem sie sich hart an den Felsen hielte" und vorsichtig, fast geräuschlos
auftraten, um keine Schneemasse ins Wanken zu bringen; sie zogen über die
Galerie der Addabrücke des VA Viotti hinaus und bogen gerade in eine der


Von diesen Kindern zu treyncn, denen sein Abschied nur den herbsten Schmerz
hätte verursachen können. Auch glänzten in der Frühlingssonne die krystallnen
Kuppen der Berge so zauberhaft, daß Harald uoch gedachte, auch während der
Sommerszeit auf der Höhe zu bleiben und alle weitern Entschlüsse aufzuschieben,
bis es wieder Winter würde.

Es war an einem schönen Frühjahrstage noch nicht spät am Mittage, als
sich die gewohnten Gäste um den Tisch des Hauses versammelt hatten. Die meisten
freuten sich des wiedererwachten Frühlings und sprachen davon, wie, wenn der Weg
fortan frei bliebe, wieder fremde Menschen ihrer schönen Bergwelt zugeführt werdeu
würden; denn während sonst die Kinder der Natur gegen ihre Reize abgestumpft
werden, hat die Reiselust, welche die Bewohner der Städte in die Berge sührt, auch
in den einfachen Bergbewohnern die Liebe zu den Schönheiten der Natur geweckt
und rege gemacht. Alle fühlten sich von der Last des schweren Winters befreit
und gedachten der schönen Tage, deren Eintritt nunmehr begonnen habe. Nur
der greise Giuseppe schüttelte bei diesen Reden sein Haupt und wies auf das
steile Horn der dium al 5Ponäi>> llmgA, welches, von einer grauen Wolke um¬
lagert, unter seiner schweren Schneelast zu wanken schien. Wenn der Schnee
nicht allmählich wegschmilzt, sagte er, sondern bei der großen Hitze plötzlich weich
wird, so bedarf es nur eines einzigen Sturmwindes, um die ganze sxcmäa lunssci.
bis zur voocg, nisi IZr-Mio zu verschütten. Wir sollen nicht zu früh jubeln,
wer weiß, welch schweres Stück Arbeit uns noch bevorsteht, ehe wir mit guter
Zuversicht melden können, daß der Weg von Bormio bis Trafoi ohne Furcht
befahren werden kann. Doch die andern ließen sich in ihren heitern Reden durch
diese Warnung nicht beirren, sondern es flüsterte wohl der eine dem andern zu,
daß der c^xo schon alt zu werden beginne, und da er selber ins Wanken gerate,
mich das Gleiche von den Bergriesen glaube.

Die Fröhlichkeit am Tische zu Santa Maria dauerte jedoch keine halbe
Stunde, da erhob sich von der L!iirm her die schwarze Wolke zu einem Unwetter;
es begann ein heftiger Sturmwind, der das Haus selbst in seinen Grundvesten
zu erschüttern drohte.

Wenn sich nur niemand durch die letzten schönen Tage hat verleiten lassen,
den Weg von unten herauf zu nehmen, klagte Nina, und Rosina fügte hinzu.-
Ja, das Wetter war jetzt schön genug und dn hat es gewiß jemand gewagt,
zumal da die Handelsleute in Tirano wissen, daß unsre Vorräte bald zu
Ende sind.

Die rottlzri machten sich mit ihrem viipo auf, um deu Weg zu durch¬
schweifen, und nahmen ihre.Hunde mit; auch Harald schloß sich ihnen trotz der
Bitten Ninas an. Sie gingen zu vieren von der cNckomMi, al «xonä^ IrmgA ab¬
wärts, indem sie sich hart an den Felsen hielte» und vorsichtig, fast geräuschlos
auftraten, um keine Schneemasse ins Wanken zu bringen; sie zogen über die
Galerie der Addabrücke des VA Viotti hinaus und bogen gerade in eine der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/542>, abgerufen am 15.01.2025.