Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Zur Verbesserung des Strafverfahrens, Amtsrichter die Befugnis, ehe er der Klage des Amtsanwalts Folge giebt, Zum Schlüsse sei gestattet, einen mehr in der Theorie als in der praktischen Zur Verbesserung des Strafverfahrens, Amtsrichter die Befugnis, ehe er der Klage des Amtsanwalts Folge giebt, Zum Schlüsse sei gestattet, einen mehr in der Theorie als in der praktischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197258"/> <fw type="header" place="top"> Zur Verbesserung des Strafverfahrens,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1662" prev="#ID_1661"> Amtsrichter die Befugnis, ehe er der Klage des Amtsanwalts Folge giebt,<lb/> weitere Erhebungen zu besserer Aufklärung der Sache selbst zu veranstalten,<lb/> also eine Untersnchuugsthätigkeit zu entwickeln, ohne daß man hiervon ein Be¬<lb/> denken gegen seine Unbefangenheit abgeleitet hätte. Erscheint aber ausnahms¬<lb/> weise einmal, namentlich in Fällen, welche nach der gesetzlichen Regel in land¬<lb/> gerichtliche Zuständigkeit fallen würden und nur auf Grund der besondern<lb/> Bestimmungen des Z 76 des Gerichtsverfassnngsgesetzes dem Schöffengericht<lb/> überwiesen werden, eine Vertretung der Anklage in der Hauptverhandlung des<lb/> Schöffengerichts wünschenswert, oder liegen Bedenken gegen die Unbefangenheit<lb/> des Amtsrichters vor, so stünde nichts im Wege, einen Beamten der Staats¬<lb/> anwaltschaft beizuziehen oder die Aburteilung einem andern Amtsrichter als dem<lb/> in der Untersuchung der Sache thätig gewesenen zu übertragen. Die Vereinigung<lb/> von zwei Amtsrichtern an einem und demselben Gerichtssitze ist ja auch aus<lb/> andern Gründen dringend anzustreben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1663" next="#ID_1664"> Zum Schlüsse sei gestattet, einen mehr in der Theorie als in der praktischen<lb/> Anwendung bedeutsamen Punkt zu berühren. Aus der Thatsache, daß es eine<lb/> Möglichkeit nicht giebt, einen Beschuldigten zu Rede und Antwort über die<lb/> Beschuldigung zu zwingen, hat sich der anscheinend unantastbare Lehrsatz aus¬<lb/> gebildet, daß es für den Beschuldigten auch keine Verpflichtung, sich zu ver¬<lb/> antworten, gebe. Eine Rechtspflicht, welche nicht erzwingbar ist, kann aber<lb/> darum doch als Rechtspflicht bestehen; ans der Unmöglichkeit, den Beschuldigten<lb/> zur Verantwortung zu zwingen, folgt unsers Erachtens weiter nichts als die<lb/> Unstatthaftigkeit, einen Zwang anzuwenden. Dagegen erscheint es wohl nur<lb/> folgerichtig, daß der, welcher gegen ein Rechtsgebot gefehlt hat, von Rechts¬<lb/> wegen auch gehalten ist, sich deshalb zu verantworten. Zwar ist ein Beschul¬<lb/> digter der Gesetzesverletzung uur verdächtig und nicht überführt, allein wenn er<lb/> nicht beschuldigt wäre, würde er schon vermöge der allgemeinen Zengnispflicht<lb/> Rede zu stehen haben; auch wird der Staat wohl berechtigt sein, jemand, der<lb/> durch die hierzu berufenen Behörden einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, die<lb/> Pflicht aufzuerlegen, auf die Beschuldigung sich zu erklären. Dies allein scheint anch<lb/> dem gemeinen Verstände zu entsprechen. Die Erfahrung zeigt wenigstens, daß die<lb/> Beschuldigten die nach der Vorschrift des 8 136 der Strafprozeßordnung an sie zu<lb/> richtende Einleitungsfrage, ob sie etwas auf die Beschuldigung erwiedern wollen,<lb/> regelmäßig nicht verstehen; sie halten es für so selbstverständlich, daß sie sich<lb/> auf die Beschuldigung zu verantworten haben, oder haben so sehr das Be¬<lb/> dürfnis, dies zu thun, daß sie nicht begreifen, wie man sie erst frage, ob sie es<lb/> auch wollen. Überdies macht es einen dem Ansehen des Gerichts wenig förder¬<lb/> lichen Eindruck, wenn ein Beschuldigter, und sei er auch ein offenkundig schwerer<lb/> Verbrecher, erst über sein Belieben, sich auszusprechen, befragt wird, während<lb/> doch das öffentliche Gewissen, das schwergekränkte Rechtsgefühl, eine Verant¬<lb/> wortung von ihm dringend verlangt. Es läßt sich auch wahrnehmen, daß jene</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0524]
Zur Verbesserung des Strafverfahrens,
Amtsrichter die Befugnis, ehe er der Klage des Amtsanwalts Folge giebt,
weitere Erhebungen zu besserer Aufklärung der Sache selbst zu veranstalten,
also eine Untersnchuugsthätigkeit zu entwickeln, ohne daß man hiervon ein Be¬
denken gegen seine Unbefangenheit abgeleitet hätte. Erscheint aber ausnahms¬
weise einmal, namentlich in Fällen, welche nach der gesetzlichen Regel in land¬
gerichtliche Zuständigkeit fallen würden und nur auf Grund der besondern
Bestimmungen des Z 76 des Gerichtsverfassnngsgesetzes dem Schöffengericht
überwiesen werden, eine Vertretung der Anklage in der Hauptverhandlung des
Schöffengerichts wünschenswert, oder liegen Bedenken gegen die Unbefangenheit
des Amtsrichters vor, so stünde nichts im Wege, einen Beamten der Staats¬
anwaltschaft beizuziehen oder die Aburteilung einem andern Amtsrichter als dem
in der Untersuchung der Sache thätig gewesenen zu übertragen. Die Vereinigung
von zwei Amtsrichtern an einem und demselben Gerichtssitze ist ja auch aus
andern Gründen dringend anzustreben.
Zum Schlüsse sei gestattet, einen mehr in der Theorie als in der praktischen
Anwendung bedeutsamen Punkt zu berühren. Aus der Thatsache, daß es eine
Möglichkeit nicht giebt, einen Beschuldigten zu Rede und Antwort über die
Beschuldigung zu zwingen, hat sich der anscheinend unantastbare Lehrsatz aus¬
gebildet, daß es für den Beschuldigten auch keine Verpflichtung, sich zu ver¬
antworten, gebe. Eine Rechtspflicht, welche nicht erzwingbar ist, kann aber
darum doch als Rechtspflicht bestehen; ans der Unmöglichkeit, den Beschuldigten
zur Verantwortung zu zwingen, folgt unsers Erachtens weiter nichts als die
Unstatthaftigkeit, einen Zwang anzuwenden. Dagegen erscheint es wohl nur
folgerichtig, daß der, welcher gegen ein Rechtsgebot gefehlt hat, von Rechts¬
wegen auch gehalten ist, sich deshalb zu verantworten. Zwar ist ein Beschul¬
digter der Gesetzesverletzung uur verdächtig und nicht überführt, allein wenn er
nicht beschuldigt wäre, würde er schon vermöge der allgemeinen Zengnispflicht
Rede zu stehen haben; auch wird der Staat wohl berechtigt sein, jemand, der
durch die hierzu berufenen Behörden einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, die
Pflicht aufzuerlegen, auf die Beschuldigung sich zu erklären. Dies allein scheint anch
dem gemeinen Verstände zu entsprechen. Die Erfahrung zeigt wenigstens, daß die
Beschuldigten die nach der Vorschrift des 8 136 der Strafprozeßordnung an sie zu
richtende Einleitungsfrage, ob sie etwas auf die Beschuldigung erwiedern wollen,
regelmäßig nicht verstehen; sie halten es für so selbstverständlich, daß sie sich
auf die Beschuldigung zu verantworten haben, oder haben so sehr das Be¬
dürfnis, dies zu thun, daß sie nicht begreifen, wie man sie erst frage, ob sie es
auch wollen. Überdies macht es einen dem Ansehen des Gerichts wenig förder¬
lichen Eindruck, wenn ein Beschuldigter, und sei er auch ein offenkundig schwerer
Verbrecher, erst über sein Belieben, sich auszusprechen, befragt wird, während
doch das öffentliche Gewissen, das schwergekränkte Rechtsgefühl, eine Verant¬
wortung von ihm dringend verlangt. Es läßt sich auch wahrnehmen, daß jene
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