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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Friedrich der Große und Gottsched.

Vorschrift als eine sogenannte nur instruktionelle keineswegs pünktlich beobachtet
wird; der Richter, der oft genug erfahre" hat, seine Frage werde doch nicht
verstanden, unterläßt sie. Dies spricht aber nur umsomehr dafür, sie als gesetz¬
liche Vorschrift zu streichen und etwa durch eine Frage des Inhalts, wie der Be¬
schuldigte sich zu verantworten wisse, zu ersetzen. Zur Verhütung einer Mi߬
deutung wird es kaum der Verwahrung bedürfen, daß hiermit nun und nimmer¬
mehr einem Jnqniriren alten Stils, das einen unwürdigen und unstatthaften
geistigen Zwang enthielt, das Wort geredet sein soll.

Wir sind nicht sicher, ob unsre Wünsche und Vorschläge nicht vielleicht
den Schein auf sich laden, als ob sie in dem einen oder andern Punkte zu einem
Rückschritt auf eine als überwanden betrachtete Stufe des Verfahrens führen
würden. Wenn man aber in der vermeintlich folgerechten Anwendung un¬
anfechtbarer Grundsätze über die Grenzen ihrer Anwendbarkeit hinausge¬
schritten und hierdurch mit den Verhältnissen und Anforderungen des Lebens in
Widerspruch geraten ist, so bedeutet auch ein Rückgriff auf bewährtes Frühere
einen Fortschritt.




Friedrich der Große und Gottsched,

er könnte nicht die berühmte Unterredung Friedrichs des Großen
mit Gellert in Leipzig (1760)? Eine Begegnung zwischen dem
größten deutschen Könige' und dem volkstümlichsten, bei Hoch und
Niedrig verehrten und geliebten -- oder, wie man heute leider sagen
muß, verehrt und geliebt gewesenen -- deutschen Schriftsteller seiner
Zeit, eine anheimelnde friedliche Szene mitten im Getöse der Waffen, ein Ge¬
spräch, in welchem überdies die vielumstrittene Stellung Friedrichs des Großen
zur deutschen Literatur gestreift wird, und dies alles mit dramatischer Lebendig¬
keit vorgeführt und eingekleidet in den Reiz der schlichten, reinen, klaren Gellertschen
Prosa -- ist es ein Wunder, daß dieses kleine Kabinetstttck immer und immer
wieder abgedruckt und fast in alle unsre Lesebücher für die reifere Jugend als
Musterstück aufgenommen worden ist?

Viel weniger bekannt geworden, selbst in Fachkreisen, weiteren Kreisen aber
bisher wohl gänzlich unbekannt geblieben sind die Unterredungen, die der große
König, ebenfalls während des siebenjährigen Krieges (1757) mit Gellerts Anti¬
poden in Leipzig, dem allmächtigen Diktator der deutschen Literatur, mit Gott¬
sched geführt hat. Und doch sind sie in ihrer Art nicht minder charakteristisch,


Friedrich der Große und Gottsched.

Vorschrift als eine sogenannte nur instruktionelle keineswegs pünktlich beobachtet
wird; der Richter, der oft genug erfahre» hat, seine Frage werde doch nicht
verstanden, unterläßt sie. Dies spricht aber nur umsomehr dafür, sie als gesetz¬
liche Vorschrift zu streichen und etwa durch eine Frage des Inhalts, wie der Be¬
schuldigte sich zu verantworten wisse, zu ersetzen. Zur Verhütung einer Mi߬
deutung wird es kaum der Verwahrung bedürfen, daß hiermit nun und nimmer¬
mehr einem Jnqniriren alten Stils, das einen unwürdigen und unstatthaften
geistigen Zwang enthielt, das Wort geredet sein soll.

Wir sind nicht sicher, ob unsre Wünsche und Vorschläge nicht vielleicht
den Schein auf sich laden, als ob sie in dem einen oder andern Punkte zu einem
Rückschritt auf eine als überwanden betrachtete Stufe des Verfahrens führen
würden. Wenn man aber in der vermeintlich folgerechten Anwendung un¬
anfechtbarer Grundsätze über die Grenzen ihrer Anwendbarkeit hinausge¬
schritten und hierdurch mit den Verhältnissen und Anforderungen des Lebens in
Widerspruch geraten ist, so bedeutet auch ein Rückgriff auf bewährtes Frühere
einen Fortschritt.




Friedrich der Große und Gottsched,

er könnte nicht die berühmte Unterredung Friedrichs des Großen
mit Gellert in Leipzig (1760)? Eine Begegnung zwischen dem
größten deutschen Könige' und dem volkstümlichsten, bei Hoch und
Niedrig verehrten und geliebten — oder, wie man heute leider sagen
muß, verehrt und geliebt gewesenen — deutschen Schriftsteller seiner
Zeit, eine anheimelnde friedliche Szene mitten im Getöse der Waffen, ein Ge¬
spräch, in welchem überdies die vielumstrittene Stellung Friedrichs des Großen
zur deutschen Literatur gestreift wird, und dies alles mit dramatischer Lebendig¬
keit vorgeführt und eingekleidet in den Reiz der schlichten, reinen, klaren Gellertschen
Prosa — ist es ein Wunder, daß dieses kleine Kabinetstttck immer und immer
wieder abgedruckt und fast in alle unsre Lesebücher für die reifere Jugend als
Musterstück aufgenommen worden ist?

Viel weniger bekannt geworden, selbst in Fachkreisen, weiteren Kreisen aber
bisher wohl gänzlich unbekannt geblieben sind die Unterredungen, die der große
König, ebenfalls während des siebenjährigen Krieges (1757) mit Gellerts Anti¬
poden in Leipzig, dem allmächtigen Diktator der deutschen Literatur, mit Gott¬
sched geführt hat. Und doch sind sie in ihrer Art nicht minder charakteristisch,


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[0525] Friedrich der Große und Gottsched. Vorschrift als eine sogenannte nur instruktionelle keineswegs pünktlich beobachtet wird; der Richter, der oft genug erfahre» hat, seine Frage werde doch nicht verstanden, unterläßt sie. Dies spricht aber nur umsomehr dafür, sie als gesetz¬ liche Vorschrift zu streichen und etwa durch eine Frage des Inhalts, wie der Be¬ schuldigte sich zu verantworten wisse, zu ersetzen. Zur Verhütung einer Mi߬ deutung wird es kaum der Verwahrung bedürfen, daß hiermit nun und nimmer¬ mehr einem Jnqniriren alten Stils, das einen unwürdigen und unstatthaften geistigen Zwang enthielt, das Wort geredet sein soll. Wir sind nicht sicher, ob unsre Wünsche und Vorschläge nicht vielleicht den Schein auf sich laden, als ob sie in dem einen oder andern Punkte zu einem Rückschritt auf eine als überwanden betrachtete Stufe des Verfahrens führen würden. Wenn man aber in der vermeintlich folgerechten Anwendung un¬ anfechtbarer Grundsätze über die Grenzen ihrer Anwendbarkeit hinausge¬ schritten und hierdurch mit den Verhältnissen und Anforderungen des Lebens in Widerspruch geraten ist, so bedeutet auch ein Rückgriff auf bewährtes Frühere einen Fortschritt. Friedrich der Große und Gottsched, er könnte nicht die berühmte Unterredung Friedrichs des Großen mit Gellert in Leipzig (1760)? Eine Begegnung zwischen dem größten deutschen Könige' und dem volkstümlichsten, bei Hoch und Niedrig verehrten und geliebten — oder, wie man heute leider sagen muß, verehrt und geliebt gewesenen — deutschen Schriftsteller seiner Zeit, eine anheimelnde friedliche Szene mitten im Getöse der Waffen, ein Ge¬ spräch, in welchem überdies die vielumstrittene Stellung Friedrichs des Großen zur deutschen Literatur gestreift wird, und dies alles mit dramatischer Lebendig¬ keit vorgeführt und eingekleidet in den Reiz der schlichten, reinen, klaren Gellertschen Prosa — ist es ein Wunder, daß dieses kleine Kabinetstttck immer und immer wieder abgedruckt und fast in alle unsre Lesebücher für die reifere Jugend als Musterstück aufgenommen worden ist? Viel weniger bekannt geworden, selbst in Fachkreisen, weiteren Kreisen aber bisher wohl gänzlich unbekannt geblieben sind die Unterredungen, die der große König, ebenfalls während des siebenjährigen Krieges (1757) mit Gellerts Anti¬ poden in Leipzig, dem allmächtigen Diktator der deutschen Literatur, mit Gott¬ sched geführt hat. Und doch sind sie in ihrer Art nicht minder charakteristisch,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/525>, abgerufen am 15.01.2025.