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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Nebenbuhlerschaften am Balkan.

ihnen selbst verdient sein, nicht verfehlen wird, ihre Stellung überhaupt, nicht
bloß Serbien gegenüber, für die nächste Zukunft wesentlich günstiger zu gestalten.

Wiederholt haben wir darauf hingewiesen, daß, wie schon lange, so auch
jetzt, wichtigere und gefährlichere Nebenbuhlerschaften als die der Serben und
Bulgaren auf der Balkanhalbinsel bestehen, und wenn dieselben in der letzten
Zeit fast nur unterirdisch gegeneinander wirkten, so traten sie in den jüngsten
Tagen wiederholt deutlich zu Tage. Es ist das Streben Rußlands, Österreichs
und Englands nach Einfluß auf die Balkanvölker, von dem wir sprechen, und
die Thatsachen, durch welche sich dieses Streben äußerte, sind die Sendung des
Grafen Khevenhüller an den Fürsten Alexander, der Tagesbefehl des Zaren
in Bezug auf die bulgarische Armee und die Vereitelung der Konferenz von
Konstantinopel durch die englische Politik.

Die Großmacht, welche den siegreich auf serbisches Gebiet vorgedrungenen
Bulgaren Halt gebot, war Österreich, von dem wir allerdings mit Bestimmtheit
annehmen müssen, daß es hier nicht allein, sondern im Einklange mit den beiden
andern Kaisermächten sprach. Sein Abgesandter, Graf Khevenhüller, traf spät
auf dem Kriegsschauplatze ein, kurz vor der Stunde, in der Fürst Alexander
sich Pirols bemächtigte, aber als er kam, sprach er in energischen Worten seines
Auftraggebers "Bis hierher und nicht weiter" aus. Die bulgarischen Behörden
in Sofia hatten, sei es durch ein bloßes Versehen, sei es aus Rücksichtslosigkeit,
den dortigen diplomatischen Agenten die ihnen zugesandten chisfrirten Depeschen
vorenthalten und so die Wirksamkeit derselben in Betreff des Krieges ins Stocken
gebracht. Wahrscheinlich sollte das Hindernis dem Sieger Zeit verschaffen, sich
Pirols zu bemächtigen und so den Einbruch der Serben durch einen Einbruch in
serbisches Gebiet und eine Okkupation desselben wettzumachen. Andernfalls würde
das Verlangen der Mächte, die Streitenden sollten einen Waffenstillstand ab¬
schließen, dem Fürsten Alexander drei Tage früher ausgesprochen worden sein.
So aber erhielt es der österreichische Gesandte erst nach der Einnahme Pirols.
Er trug es aber dann dem Fürsten nicht bloß vor, sondern empfahl seine An¬
nahme auch damit, daß er hinzufügte, wenn die Bulgaren weiter vorrückten,
würde der Kaiser Franz Josef seine Truppen die serbische Greuze überschreiten
lassen, und dann könnte der Fall eintreten, daß die Bulgaren nicht mehr bloß
den Serben, sondern auch den Österreichern gegenüberstünden. Übrigens sei der
Ruf und die militärische Ehre des Fürsten durch dessen letzte Erfolge nunmehr
hinreichend gewahrt. So war denn Österreich bereit, den Serbenkönig, der mit
seiner Zulassung den Nachbar angegriffen hatte, jetzt, wo er seinerseits in Ge¬
fahr war, zu unterstützen. Dieses Auftreten fand im rechten Augenblicke statt.
Österreich gebot den Kriegführenden nicht bloß in seinem, sondern auch im Namen
der andern Großmächte mit Einschluß Rußlands Ruhe. Die Drohung, welche
dem Gebote Beachtung verschaffte, ist vielleicht nicht autorisire gewesen durch
die Kollektiverklürung der Vertreter dieser Mächte in Belgrad, aber sie hat un-


Nebenbuhlerschaften am Balkan.

ihnen selbst verdient sein, nicht verfehlen wird, ihre Stellung überhaupt, nicht
bloß Serbien gegenüber, für die nächste Zukunft wesentlich günstiger zu gestalten.

Wiederholt haben wir darauf hingewiesen, daß, wie schon lange, so auch
jetzt, wichtigere und gefährlichere Nebenbuhlerschaften als die der Serben und
Bulgaren auf der Balkanhalbinsel bestehen, und wenn dieselben in der letzten
Zeit fast nur unterirdisch gegeneinander wirkten, so traten sie in den jüngsten
Tagen wiederholt deutlich zu Tage. Es ist das Streben Rußlands, Österreichs
und Englands nach Einfluß auf die Balkanvölker, von dem wir sprechen, und
die Thatsachen, durch welche sich dieses Streben äußerte, sind die Sendung des
Grafen Khevenhüller an den Fürsten Alexander, der Tagesbefehl des Zaren
in Bezug auf die bulgarische Armee und die Vereitelung der Konferenz von
Konstantinopel durch die englische Politik.

Die Großmacht, welche den siegreich auf serbisches Gebiet vorgedrungenen
Bulgaren Halt gebot, war Österreich, von dem wir allerdings mit Bestimmtheit
annehmen müssen, daß es hier nicht allein, sondern im Einklange mit den beiden
andern Kaisermächten sprach. Sein Abgesandter, Graf Khevenhüller, traf spät
auf dem Kriegsschauplatze ein, kurz vor der Stunde, in der Fürst Alexander
sich Pirols bemächtigte, aber als er kam, sprach er in energischen Worten seines
Auftraggebers „Bis hierher und nicht weiter" aus. Die bulgarischen Behörden
in Sofia hatten, sei es durch ein bloßes Versehen, sei es aus Rücksichtslosigkeit,
den dortigen diplomatischen Agenten die ihnen zugesandten chisfrirten Depeschen
vorenthalten und so die Wirksamkeit derselben in Betreff des Krieges ins Stocken
gebracht. Wahrscheinlich sollte das Hindernis dem Sieger Zeit verschaffen, sich
Pirols zu bemächtigen und so den Einbruch der Serben durch einen Einbruch in
serbisches Gebiet und eine Okkupation desselben wettzumachen. Andernfalls würde
das Verlangen der Mächte, die Streitenden sollten einen Waffenstillstand ab¬
schließen, dem Fürsten Alexander drei Tage früher ausgesprochen worden sein.
So aber erhielt es der österreichische Gesandte erst nach der Einnahme Pirols.
Er trug es aber dann dem Fürsten nicht bloß vor, sondern empfahl seine An¬
nahme auch damit, daß er hinzufügte, wenn die Bulgaren weiter vorrückten,
würde der Kaiser Franz Josef seine Truppen die serbische Greuze überschreiten
lassen, und dann könnte der Fall eintreten, daß die Bulgaren nicht mehr bloß
den Serben, sondern auch den Österreichern gegenüberstünden. Übrigens sei der
Ruf und die militärische Ehre des Fürsten durch dessen letzte Erfolge nunmehr
hinreichend gewahrt. So war denn Österreich bereit, den Serbenkönig, der mit
seiner Zulassung den Nachbar angegriffen hatte, jetzt, wo er seinerseits in Ge¬
fahr war, zu unterstützen. Dieses Auftreten fand im rechten Augenblicke statt.
Österreich gebot den Kriegführenden nicht bloß in seinem, sondern auch im Namen
der andern Großmächte mit Einschluß Rußlands Ruhe. Die Drohung, welche
dem Gebote Beachtung verschaffte, ist vielleicht nicht autorisire gewesen durch
die Kollektiverklürung der Vertreter dieser Mächte in Belgrad, aber sie hat un-


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[0514] Nebenbuhlerschaften am Balkan. ihnen selbst verdient sein, nicht verfehlen wird, ihre Stellung überhaupt, nicht bloß Serbien gegenüber, für die nächste Zukunft wesentlich günstiger zu gestalten. Wiederholt haben wir darauf hingewiesen, daß, wie schon lange, so auch jetzt, wichtigere und gefährlichere Nebenbuhlerschaften als die der Serben und Bulgaren auf der Balkanhalbinsel bestehen, und wenn dieselben in der letzten Zeit fast nur unterirdisch gegeneinander wirkten, so traten sie in den jüngsten Tagen wiederholt deutlich zu Tage. Es ist das Streben Rußlands, Österreichs und Englands nach Einfluß auf die Balkanvölker, von dem wir sprechen, und die Thatsachen, durch welche sich dieses Streben äußerte, sind die Sendung des Grafen Khevenhüller an den Fürsten Alexander, der Tagesbefehl des Zaren in Bezug auf die bulgarische Armee und die Vereitelung der Konferenz von Konstantinopel durch die englische Politik. Die Großmacht, welche den siegreich auf serbisches Gebiet vorgedrungenen Bulgaren Halt gebot, war Österreich, von dem wir allerdings mit Bestimmtheit annehmen müssen, daß es hier nicht allein, sondern im Einklange mit den beiden andern Kaisermächten sprach. Sein Abgesandter, Graf Khevenhüller, traf spät auf dem Kriegsschauplatze ein, kurz vor der Stunde, in der Fürst Alexander sich Pirols bemächtigte, aber als er kam, sprach er in energischen Worten seines Auftraggebers „Bis hierher und nicht weiter" aus. Die bulgarischen Behörden in Sofia hatten, sei es durch ein bloßes Versehen, sei es aus Rücksichtslosigkeit, den dortigen diplomatischen Agenten die ihnen zugesandten chisfrirten Depeschen vorenthalten und so die Wirksamkeit derselben in Betreff des Krieges ins Stocken gebracht. Wahrscheinlich sollte das Hindernis dem Sieger Zeit verschaffen, sich Pirols zu bemächtigen und so den Einbruch der Serben durch einen Einbruch in serbisches Gebiet und eine Okkupation desselben wettzumachen. Andernfalls würde das Verlangen der Mächte, die Streitenden sollten einen Waffenstillstand ab¬ schließen, dem Fürsten Alexander drei Tage früher ausgesprochen worden sein. So aber erhielt es der österreichische Gesandte erst nach der Einnahme Pirols. Er trug es aber dann dem Fürsten nicht bloß vor, sondern empfahl seine An¬ nahme auch damit, daß er hinzufügte, wenn die Bulgaren weiter vorrückten, würde der Kaiser Franz Josef seine Truppen die serbische Greuze überschreiten lassen, und dann könnte der Fall eintreten, daß die Bulgaren nicht mehr bloß den Serben, sondern auch den Österreichern gegenüberstünden. Übrigens sei der Ruf und die militärische Ehre des Fürsten durch dessen letzte Erfolge nunmehr hinreichend gewahrt. So war denn Österreich bereit, den Serbenkönig, der mit seiner Zulassung den Nachbar angegriffen hatte, jetzt, wo er seinerseits in Ge¬ fahr war, zu unterstützen. Dieses Auftreten fand im rechten Augenblicke statt. Österreich gebot den Kriegführenden nicht bloß in seinem, sondern auch im Namen der andern Großmächte mit Einschluß Rußlands Ruhe. Die Drohung, welche dem Gebote Beachtung verschaffte, ist vielleicht nicht autorisire gewesen durch die Kollektiverklürung der Vertreter dieser Mächte in Belgrad, aber sie hat un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/514>, abgerufen am 15.01.2025.