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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Nebenbuhlerschaften am Balkan.

an wir das letztemal über den Stand der Dinge in Bulgarien
berichteten, hat sich ein vollständiger Umschwung desselben voll¬
zogen. Das siegreiche Vorgehen der Serben gegen Sofia kam
nach einigen Tagen zum Stehen, und die Kämpfe bei Slivnitza
endigten mit einem Rückzüge des Jiwasionsheeres und einer Ver¬
folgung desselben bis auf serbischen Boden. Die anfangs als sehr wenig kriegs¬
tüchtig angesehenen Bulgaren stiegen durch ihre Leistungen Tag für Tag in
der Achtung der Zuschauer des Kampfes und erwiesen sich schließlich als ihren
Gegnern nicht nur gewachsen, sondern überlegen. Sie erstürmten zuletzt sogar
die serbische Grenzstadt Pirol und würden vermutlich jetzt schon das größere
Risch genommen haben, wenn nicht in letzter Stunde die benachbarte Großmacht
für König Milan, den frühern Bedränger, den jetzigen Hartbedrängtcn, einge¬
treten wäre und durch ein Huos sg'v ihn vor weitern Niederlagen geschützt
hätte. I'smxoi-g. inne-uiwr; selten hat sich in den letzten Jahren dieses Wort
so schnell und so gründlich verwirklicht als an der Stellung, welche die beiden
Nebenbuhler zueinander einnehmen. Für Fernstehende nahm sichs fast wie ein
Wunder aus, bis man sich über die Ursachen des Mißgeschickes der Serben
klar wurde. Sie hatten den Gegner unterschätzt und ihn darum mit unzu¬
reichenden Kräften und nicht genügend vorbereitet angegriffen, ihre Generale
hatten Moltke etwas abgesehen und seine Strategie nachahmen wollen, hatten
aber nicht das Zeug dazu gehabt, nicht das Genie und nicht das Material,
mit dem er siegte und siegen mußte. Die Nachahmung wurde zur Nachäffung,
die mit einer argen Niederlage endigte: statt die Bulgaren mit ihrem Fürsten
zu erdrücken, hob man sie in der Achtung der öffentlichen Meinung und verhalf
ihnen zu einer Heldenglorie, die, mag sie, näher betrachtet, auch nur halb von


Grenzboten IV. 188S. 64


Nebenbuhlerschaften am Balkan.

an wir das letztemal über den Stand der Dinge in Bulgarien
berichteten, hat sich ein vollständiger Umschwung desselben voll¬
zogen. Das siegreiche Vorgehen der Serben gegen Sofia kam
nach einigen Tagen zum Stehen, und die Kämpfe bei Slivnitza
endigten mit einem Rückzüge des Jiwasionsheeres und einer Ver¬
folgung desselben bis auf serbischen Boden. Die anfangs als sehr wenig kriegs¬
tüchtig angesehenen Bulgaren stiegen durch ihre Leistungen Tag für Tag in
der Achtung der Zuschauer des Kampfes und erwiesen sich schließlich als ihren
Gegnern nicht nur gewachsen, sondern überlegen. Sie erstürmten zuletzt sogar
die serbische Grenzstadt Pirol und würden vermutlich jetzt schon das größere
Risch genommen haben, wenn nicht in letzter Stunde die benachbarte Großmacht
für König Milan, den frühern Bedränger, den jetzigen Hartbedrängtcn, einge¬
treten wäre und durch ein Huos sg'v ihn vor weitern Niederlagen geschützt
hätte. I'smxoi-g. inne-uiwr; selten hat sich in den letzten Jahren dieses Wort
so schnell und so gründlich verwirklicht als an der Stellung, welche die beiden
Nebenbuhler zueinander einnehmen. Für Fernstehende nahm sichs fast wie ein
Wunder aus, bis man sich über die Ursachen des Mißgeschickes der Serben
klar wurde. Sie hatten den Gegner unterschätzt und ihn darum mit unzu¬
reichenden Kräften und nicht genügend vorbereitet angegriffen, ihre Generale
hatten Moltke etwas abgesehen und seine Strategie nachahmen wollen, hatten
aber nicht das Zeug dazu gehabt, nicht das Genie und nicht das Material,
mit dem er siegte und siegen mußte. Die Nachahmung wurde zur Nachäffung,
die mit einer argen Niederlage endigte: statt die Bulgaren mit ihrem Fürsten
zu erdrücken, hob man sie in der Achtung der öffentlichen Meinung und verhalf
ihnen zu einer Heldenglorie, die, mag sie, näher betrachtet, auch nur halb von


Grenzboten IV. 188S. 64
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[0513] [Abbildung] Nebenbuhlerschaften am Balkan. an wir das letztemal über den Stand der Dinge in Bulgarien berichteten, hat sich ein vollständiger Umschwung desselben voll¬ zogen. Das siegreiche Vorgehen der Serben gegen Sofia kam nach einigen Tagen zum Stehen, und die Kämpfe bei Slivnitza endigten mit einem Rückzüge des Jiwasionsheeres und einer Ver¬ folgung desselben bis auf serbischen Boden. Die anfangs als sehr wenig kriegs¬ tüchtig angesehenen Bulgaren stiegen durch ihre Leistungen Tag für Tag in der Achtung der Zuschauer des Kampfes und erwiesen sich schließlich als ihren Gegnern nicht nur gewachsen, sondern überlegen. Sie erstürmten zuletzt sogar die serbische Grenzstadt Pirol und würden vermutlich jetzt schon das größere Risch genommen haben, wenn nicht in letzter Stunde die benachbarte Großmacht für König Milan, den frühern Bedränger, den jetzigen Hartbedrängtcn, einge¬ treten wäre und durch ein Huos sg'v ihn vor weitern Niederlagen geschützt hätte. I'smxoi-g. inne-uiwr; selten hat sich in den letzten Jahren dieses Wort so schnell und so gründlich verwirklicht als an der Stellung, welche die beiden Nebenbuhler zueinander einnehmen. Für Fernstehende nahm sichs fast wie ein Wunder aus, bis man sich über die Ursachen des Mißgeschickes der Serben klar wurde. Sie hatten den Gegner unterschätzt und ihn darum mit unzu¬ reichenden Kräften und nicht genügend vorbereitet angegriffen, ihre Generale hatten Moltke etwas abgesehen und seine Strategie nachahmen wollen, hatten aber nicht das Zeug dazu gehabt, nicht das Genie und nicht das Material, mit dem er siegte und siegen mußte. Die Nachahmung wurde zur Nachäffung, die mit einer argen Niederlage endigte: statt die Bulgaren mit ihrem Fürsten zu erdrücken, hob man sie in der Achtung der öffentlichen Meinung und verhalf ihnen zu einer Heldenglorie, die, mag sie, näher betrachtet, auch nur halb von Grenzboten IV. 188S. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/513>, abgerufen am 15.01.2025.