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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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zählungen, denn sie hatten nicht bloß dafür zu sorgen, daß die Kunststraße ans
dem Joche in gutem Zustande erhalten blieb, sondern sie waren auch verpflichtet,
wenn es nicht geradezu unmöglich war, Rundgänge zu machen und etwaigen
Verunglückten Hilfe zu bringen. Das galt freilich nicht sowohl in der Winters¬
zeit, denn in dieser konnte sich von keiner Seite des Berges irgend jemand auf
die Höhe wagen. Anders aber war es, wenn der Schnee zu schmelzen anfing
und das Frühjahr allmählich auch die steile Höhe des Stclvio erklomm, nach¬
dem es unten die Thäler längst mit frischem Grün und Blumen geschmückt und
oft schon so viel da unten ausgegeben und gespendet hatte, daß von seinen
Gaben für die Höhen nur "och wenig übrig blieb; bloß die Sonne brachte der
Frühling auch mit ihrer ganzen Kraft in die Höhe mit. Da täuschte oft das
gute Wetter des einen Tages die Voraussicht für den andern und veranlaßte
wohl einmal einen armen Hvlzknecht von Gvmagvi oder Trafoi, sich um Arbeit
nach Bormio zu begeben, oder einen Handelsmann, daß er seine Waaren aus
dem gesegneten Veltliu hinauf in die Kantonieren oder über die österreichische
Grenze schaffen wollte. Da überraschte den armen Fußgänger nicht selten un¬
vermutet ein Umschlag deS Wetters; Wege, die vierundzwanzig Stunden vorher
wie das Parkett eines Schlosses glatt und geebnet schienen, wurden von herab¬
stürzenden Gießbächen aufgerissen, Felsstücke stürzten herab, Lawinen ballten
sich zusammen, und oft mußte der unglückliche Reisende sein Wagnis mit dem
Leben büßen. Um diese Zeit machten die rvtwri mit großen Bcrnhardiner-
hnnden ihre Spaziergänge und entrissen den Einen oder den Andern dein
drohenden Tode.

Diese braven Männer, welche nicht selten den größten Teil des Jahres
vergessen und abgeschieden in ihren armseligen Hütten zubrachten, flößten
unserm Freunde eine ganz besondre Achtung und Zuneigung ein; er stand bald
mit ihnen ans so vertrautem Fuße, daß er sie ans ihren Gängen oft be¬
gleitete, ja er nahm dann und wann, schon um sich eine körperlich kräfti¬
gende Bewegung zu schaffen, an ihren anstrengenden Arbeiten teil. Wenn
Harald bei ihnen hätte bleiben wollen, sie würden ihn sicherlich zu ihrem Capo
gewühlt haben, und ihr gegenwärtiges Haupt Giuseppe von der o-urto" lo.rü. all
"P0NÄÄ lunga. würde neidlos seine Würde zu Gunsten des ihnen liebgewvrdnen
Fremden niedergelegt haben. Freilich war diese Winde nicht ohne schwere Mühe,
denn gerade dieser LMiwmvra. lag die Aufsicht über die hingestreckte Halde ob,
die um Wegen und Unfällen schwierigste und gefährlichste Gegend, die sich von
Santa Maria etwa eine Stunde abwärts zog. (Schluß folgt.)




zählungen, denn sie hatten nicht bloß dafür zu sorgen, daß die Kunststraße ans
dem Joche in gutem Zustande erhalten blieb, sondern sie waren auch verpflichtet,
wenn es nicht geradezu unmöglich war, Rundgänge zu machen und etwaigen
Verunglückten Hilfe zu bringen. Das galt freilich nicht sowohl in der Winters¬
zeit, denn in dieser konnte sich von keiner Seite des Berges irgend jemand auf
die Höhe wagen. Anders aber war es, wenn der Schnee zu schmelzen anfing
und das Frühjahr allmählich auch die steile Höhe des Stclvio erklomm, nach¬
dem es unten die Thäler längst mit frischem Grün und Blumen geschmückt und
oft schon so viel da unten ausgegeben und gespendet hatte, daß von seinen
Gaben für die Höhen nur »och wenig übrig blieb; bloß die Sonne brachte der
Frühling auch mit ihrer ganzen Kraft in die Höhe mit. Da täuschte oft das
gute Wetter des einen Tages die Voraussicht für den andern und veranlaßte
wohl einmal einen armen Hvlzknecht von Gvmagvi oder Trafoi, sich um Arbeit
nach Bormio zu begeben, oder einen Handelsmann, daß er seine Waaren aus
dem gesegneten Veltliu hinauf in die Kantonieren oder über die österreichische
Grenze schaffen wollte. Da überraschte den armen Fußgänger nicht selten un¬
vermutet ein Umschlag deS Wetters; Wege, die vierundzwanzig Stunden vorher
wie das Parkett eines Schlosses glatt und geebnet schienen, wurden von herab¬
stürzenden Gießbächen aufgerissen, Felsstücke stürzten herab, Lawinen ballten
sich zusammen, und oft mußte der unglückliche Reisende sein Wagnis mit dem
Leben büßen. Um diese Zeit machten die rvtwri mit großen Bcrnhardiner-
hnnden ihre Spaziergänge und entrissen den Einen oder den Andern dein
drohenden Tode.

Diese braven Männer, welche nicht selten den größten Teil des Jahres
vergessen und abgeschieden in ihren armseligen Hütten zubrachten, flößten
unserm Freunde eine ganz besondre Achtung und Zuneigung ein; er stand bald
mit ihnen ans so vertrautem Fuße, daß er sie ans ihren Gängen oft be¬
gleitete, ja er nahm dann und wann, schon um sich eine körperlich kräfti¬
gende Bewegung zu schaffen, an ihren anstrengenden Arbeiten teil. Wenn
Harald bei ihnen hätte bleiben wollen, sie würden ihn sicherlich zu ihrem Capo
gewühlt haben, und ihr gegenwärtiges Haupt Giuseppe von der o-urto» lo.rü. all
«P0NÄÄ lunga. würde neidlos seine Würde zu Gunsten des ihnen liebgewvrdnen
Fremden niedergelegt haben. Freilich war diese Winde nicht ohne schwere Mühe,
denn gerade dieser LMiwmvra. lag die Aufsicht über die hingestreckte Halde ob,
die um Wegen und Unfällen schwierigste und gefährlichste Gegend, die sich von
Santa Maria etwa eine Stunde abwärts zog. (Schluß folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/510>, abgerufen am 15.01.2025.