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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Wunde empfängt. An seiner Leiche stirbt mich der Vater desselben, nachdem er
in verklärenden Glänze der anhebenden Zeit der Freiheit sein früheres Unrecht
erkannt hat.

So sehen wir denn, daß nicht nur die Erfindung im Hinblick ans die
seelischen Motive und die daraus sich ergebenden Konflikte vortrefflich ist, sondern
daß wir auch mit der Anlage und Durchführung des Planes wohl zufrieden
sein dürfen. Freilich ans einen Helden im eigentlichsten Sinne des tragischen
Dramas müssen wir auch hier verzichten. Ferdinand, der Sohn des Obersten
von Jngersleben, ist es nicht. Denn wenn auch seine That, die heimliche Ent¬
fernung aus der Festung, um den bei Prenzlau stehenden Prinzen von Hohen-
lohe herbeizurufen, eine That, hervorgegangen aus der wärmsten Vaterlandsliebe
und ausgeführt ohne Rücksicht ans die Strenge des Kriegsgesctzes wie ans die
Liebe einer zärtlichen Braut und sorgender Eltern, ihn hoch über seine Um¬
gebung und selbst diejenigen Offiziere erhebt, die gewillt sind, das Leben für
ihre Ehre und das Vaterland einzusetzen, so ist doch dies allein noch nicht im¬
stande, ihm das Wesen oder den Charakter zu verleihen, den wir mit dem
Namen eines tragischen Helden zu verbinden gewohnt sind. Sie kann dieHcrzens-
anfwallung eines noch wenig besonnenen Jünglings sein, und deshalb müßte
der Dichter Zeit haben, ihren wirklichen Wert dnrch andre Thaten von derselben
Art zu bestätigen. Mit andern Worten, sie müßte sich vor unsern Augen als
der Ausgangspunkt einer Reihe von Handlungen darstellen, die alle in konse¬
quenten Zusammenhange stehen und der Ausfluß einer in sich gefestigten und
entschlossenen Mannesseele sind. Dazu aber raubt sich der Dichter selbst die
Gelegenheit, weil er den jungen Offizier gerade von dem Schauplätze entfernt,
der in den ersten beiden Akten der Ort der Handlung ist. Auch in den fol¬
genden Alten greift Ferdinand nirgends bestimmend in den Gang des Dramas
el"; erst um Ende des dritten erscheint er wieder auf der Bühne, und da hat
er keine andre Aufgabe, als die bösen Folgen abzuwehren, welche die Flucht aus
französischer Gefangenschaft ans ihn zu ziehen droht. Ähnlich ist es im vierten
Akte. Kaum daß er der Ergreifung dnrch die Franzosen entronnen ist, so steht
er unter der furchtbaren Anklage der eignen Freunde, die Festung Küstrin einst
an die Feinde verraten zu haben. Auch hier kam: er demnach nichts thun, als
sich mit Worten verteidigen: er wäre verloren, wenn nicht Heinrich, der ihm
in der Nacht des Verrath im Hause seines Vaters Rast gegönnt und den ver¬
meintlichen Weg zum Lager Hohcnlvhes gewiesen hat, seine Unschuld bezeugen
könnte.

Aber wenn auch keine heldenhafte, so ist er doch eine durchaus sympathische
Erscheinung. Es ist schon von dem Beweggründe seines Handelns die Rede ge¬
wesen; zu diesem gesellt sich noch ein andrer. Der Dichter sagt es nicht aus¬
drücklich, aber er läßt es ahnen, und damit gewinnt er ein hohes poetisches
Moment, daß Ferdinand nicht bloß aus Liebe zum Vaterlande handelt, sondern


Wunde empfängt. An seiner Leiche stirbt mich der Vater desselben, nachdem er
in verklärenden Glänze der anhebenden Zeit der Freiheit sein früheres Unrecht
erkannt hat.

So sehen wir denn, daß nicht nur die Erfindung im Hinblick ans die
seelischen Motive und die daraus sich ergebenden Konflikte vortrefflich ist, sondern
daß wir auch mit der Anlage und Durchführung des Planes wohl zufrieden
sein dürfen. Freilich ans einen Helden im eigentlichsten Sinne des tragischen
Dramas müssen wir auch hier verzichten. Ferdinand, der Sohn des Obersten
von Jngersleben, ist es nicht. Denn wenn auch seine That, die heimliche Ent¬
fernung aus der Festung, um den bei Prenzlau stehenden Prinzen von Hohen-
lohe herbeizurufen, eine That, hervorgegangen aus der wärmsten Vaterlandsliebe
und ausgeführt ohne Rücksicht ans die Strenge des Kriegsgesctzes wie ans die
Liebe einer zärtlichen Braut und sorgender Eltern, ihn hoch über seine Um¬
gebung und selbst diejenigen Offiziere erhebt, die gewillt sind, das Leben für
ihre Ehre und das Vaterland einzusetzen, so ist doch dies allein noch nicht im¬
stande, ihm das Wesen oder den Charakter zu verleihen, den wir mit dem
Namen eines tragischen Helden zu verbinden gewohnt sind. Sie kann dieHcrzens-
anfwallung eines noch wenig besonnenen Jünglings sein, und deshalb müßte
der Dichter Zeit haben, ihren wirklichen Wert dnrch andre Thaten von derselben
Art zu bestätigen. Mit andern Worten, sie müßte sich vor unsern Augen als
der Ausgangspunkt einer Reihe von Handlungen darstellen, die alle in konse¬
quenten Zusammenhange stehen und der Ausfluß einer in sich gefestigten und
entschlossenen Mannesseele sind. Dazu aber raubt sich der Dichter selbst die
Gelegenheit, weil er den jungen Offizier gerade von dem Schauplätze entfernt,
der in den ersten beiden Akten der Ort der Handlung ist. Auch in den fol¬
genden Alten greift Ferdinand nirgends bestimmend in den Gang des Dramas
el»; erst um Ende des dritten erscheint er wieder auf der Bühne, und da hat
er keine andre Aufgabe, als die bösen Folgen abzuwehren, welche die Flucht aus
französischer Gefangenschaft ans ihn zu ziehen droht. Ähnlich ist es im vierten
Akte. Kaum daß er der Ergreifung dnrch die Franzosen entronnen ist, so steht
er unter der furchtbaren Anklage der eignen Freunde, die Festung Küstrin einst
an die Feinde verraten zu haben. Auch hier kam: er demnach nichts thun, als
sich mit Worten verteidigen: er wäre verloren, wenn nicht Heinrich, der ihm
in der Nacht des Verrath im Hause seines Vaters Rast gegönnt und den ver¬
meintlichen Weg zum Lager Hohcnlvhes gewiesen hat, seine Unschuld bezeugen
könnte.

Aber wenn auch keine heldenhafte, so ist er doch eine durchaus sympathische
Erscheinung. Es ist schon von dem Beweggründe seines Handelns die Rede ge¬
wesen; zu diesem gesellt sich noch ein andrer. Der Dichter sagt es nicht aus¬
drücklich, aber er läßt es ahnen, und damit gewinnt er ein hohes poetisches
Moment, daß Ferdinand nicht bloß aus Liebe zum Vaterlande handelt, sondern


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[0483] Wunde empfängt. An seiner Leiche stirbt mich der Vater desselben, nachdem er in verklärenden Glänze der anhebenden Zeit der Freiheit sein früheres Unrecht erkannt hat. So sehen wir denn, daß nicht nur die Erfindung im Hinblick ans die seelischen Motive und die daraus sich ergebenden Konflikte vortrefflich ist, sondern daß wir auch mit der Anlage und Durchführung des Planes wohl zufrieden sein dürfen. Freilich ans einen Helden im eigentlichsten Sinne des tragischen Dramas müssen wir auch hier verzichten. Ferdinand, der Sohn des Obersten von Jngersleben, ist es nicht. Denn wenn auch seine That, die heimliche Ent¬ fernung aus der Festung, um den bei Prenzlau stehenden Prinzen von Hohen- lohe herbeizurufen, eine That, hervorgegangen aus der wärmsten Vaterlandsliebe und ausgeführt ohne Rücksicht ans die Strenge des Kriegsgesctzes wie ans die Liebe einer zärtlichen Braut und sorgender Eltern, ihn hoch über seine Um¬ gebung und selbst diejenigen Offiziere erhebt, die gewillt sind, das Leben für ihre Ehre und das Vaterland einzusetzen, so ist doch dies allein noch nicht im¬ stande, ihm das Wesen oder den Charakter zu verleihen, den wir mit dem Namen eines tragischen Helden zu verbinden gewohnt sind. Sie kann dieHcrzens- anfwallung eines noch wenig besonnenen Jünglings sein, und deshalb müßte der Dichter Zeit haben, ihren wirklichen Wert dnrch andre Thaten von derselben Art zu bestätigen. Mit andern Worten, sie müßte sich vor unsern Augen als der Ausgangspunkt einer Reihe von Handlungen darstellen, die alle in konse¬ quenten Zusammenhange stehen und der Ausfluß einer in sich gefestigten und entschlossenen Mannesseele sind. Dazu aber raubt sich der Dichter selbst die Gelegenheit, weil er den jungen Offizier gerade von dem Schauplätze entfernt, der in den ersten beiden Akten der Ort der Handlung ist. Auch in den fol¬ genden Alten greift Ferdinand nirgends bestimmend in den Gang des Dramas el»; erst um Ende des dritten erscheint er wieder auf der Bühne, und da hat er keine andre Aufgabe, als die bösen Folgen abzuwehren, welche die Flucht aus französischer Gefangenschaft ans ihn zu ziehen droht. Ähnlich ist es im vierten Akte. Kaum daß er der Ergreifung dnrch die Franzosen entronnen ist, so steht er unter der furchtbaren Anklage der eignen Freunde, die Festung Küstrin einst an die Feinde verraten zu haben. Auch hier kam: er demnach nichts thun, als sich mit Worten verteidigen: er wäre verloren, wenn nicht Heinrich, der ihm in der Nacht des Verrath im Hause seines Vaters Rast gegönnt und den ver¬ meintlichen Weg zum Lager Hohcnlvhes gewiesen hat, seine Unschuld bezeugen könnte. Aber wenn auch keine heldenhafte, so ist er doch eine durchaus sympathische Erscheinung. Es ist schon von dem Beweggründe seines Handelns die Rede ge¬ wesen; zu diesem gesellt sich noch ein andrer. Der Dichter sagt es nicht aus¬ drücklich, aber er läßt es ahnen, und damit gewinnt er ein hohes poetisches Moment, daß Ferdinand nicht bloß aus Liebe zum Vaterlande handelt, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/483>, abgerufen am 15.01.2025.