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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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eben sehen, was sonst aus dir wird. Man bedenke wohl, daß keine Einzelexistenz
dieser Art für sich allein steht, sondern daß -- selbst von Weib und Kind ab¬
gesehen -- unzählige andre wirtschaftliche Verhältniße mit denen jedes Einzelnen
verflochten sind. Der Konfektionär ist meist ein ansehnlicher, nicht selten ein
großer Arbeitgeber; Handel und Wandel haben sich auf die Produkte des
bisherigen Betriebes eingerichtet; der kleinste und zweifelhafteste Gewerbsmann
ist ein Verbraucher, sowohl von Rohmaterial wie von Lebensbedürfnissen. Man
macht sich schwerlich eine Vorstellung von der Intensität und Ausdehnung des
wirtschaftlichen Krachs, den ein Arbeitsverbot an alle diese Leute zur Folge haben
würde. Aber das ist nicht alles. Bei den weitaus meisten dieser Leute war
es ja doch nicht böser Wille, daß sie gerade in diese, dem gewerblichen Gesamt-
interesse schädliche Arbeitsform hineingedrängt worden sind, sondern sie wären
vermutlich auch lieber ehrbare Juuuugsmcister als Pfuscher geworden. Ist
doch in manchen Gegenden das ordnungsmäßige gewerbliche Leben derart in
Verfall geraten, daß sich dort kein Mensch mehr darüber wundert, wenn ein
junger Bursche, der sich in irgendeiner Fabrik oder bei einem Spczialbetricbc
irgendeinen Spezialzweig notdürftig angeeignet hat, sich für "ausgelernt" hält.
Unter solchen Umständen kann man den Einzelnen nicht verantwortlich machen
und kann ihn nicht leiden lassen für Dinge, welche die ganze, eine Zeitlang
herrschend gewesene Richtung verschuldet hat. Diese ganze Masse mißglückter
Existenzen und in falscher Richtung entstandener Betriebe muß man nussterben
lassen -- es bleibt nichts andres übrig.

Aber freilich, es muß auch dafür gesorgt werden, daß sie wirklich aussterben.
Man darf die Hoffnung hege", daß die Innung sich fähig zeigen werde, alle
guten Elemente allmählich in sich aufzusaugen und in nicht ferner Zeit alles
Tüchtige, was das Gewerbe überhaupt hat, in sich darzustellen; aber ob die
Innung mich die Kraft hätte, über eine fortwährend nen sich erzeugende Masse
feindseliger Elemente in unausgesetztem Kampfe Herr zu werden und zu
bleiben, das darf billig bezweifelt werden. Soll dieser Kampf Aussicht auf
Erfolg haben, so muß endlich einmal ein Abschluß eintreten; es muß endlich
einmal heißen: wer da ist, der mag in Gottes Namen bleiben und mag sein
Leben macheu, so gut er kann; aber von jetzt an ist die Pforte für alle, welche
nicht ihren ordnungsmäßigen Eintrittspaß vorzuzeigen vermögen, geschlossen.
Dies bezweckt der beim Reichstage soeben wiederholt eingebrachte Antrag des
Abgeordneten Ackermann. Er mischt sich nicht in die Verhältnisse derer, die nun
einmal da sind, aber er zieht einen Strich: die Behörde (in oberster Instanz der
Bundesrat) soll bestimmen, in welchen Gewerben künftighin eine Niederlassung
nicht mehr ohne Befähigungsnachweis, zu welchem die gewöhnlichen Lehrlings¬
papiere genügen köunen, aber weder genügen müssen noch unerläßlich sind, soll
stattfinden dürfen, wie dies beim Hufbeschlaggewerbe schon der Fall ist. Es
ist nur die notwendige Konsequenz hiervon, daß zugleich die Art und Weise


eben sehen, was sonst aus dir wird. Man bedenke wohl, daß keine Einzelexistenz
dieser Art für sich allein steht, sondern daß — selbst von Weib und Kind ab¬
gesehen — unzählige andre wirtschaftliche Verhältniße mit denen jedes Einzelnen
verflochten sind. Der Konfektionär ist meist ein ansehnlicher, nicht selten ein
großer Arbeitgeber; Handel und Wandel haben sich auf die Produkte des
bisherigen Betriebes eingerichtet; der kleinste und zweifelhafteste Gewerbsmann
ist ein Verbraucher, sowohl von Rohmaterial wie von Lebensbedürfnissen. Man
macht sich schwerlich eine Vorstellung von der Intensität und Ausdehnung des
wirtschaftlichen Krachs, den ein Arbeitsverbot an alle diese Leute zur Folge haben
würde. Aber das ist nicht alles. Bei den weitaus meisten dieser Leute war
es ja doch nicht böser Wille, daß sie gerade in diese, dem gewerblichen Gesamt-
interesse schädliche Arbeitsform hineingedrängt worden sind, sondern sie wären
vermutlich auch lieber ehrbare Juuuugsmcister als Pfuscher geworden. Ist
doch in manchen Gegenden das ordnungsmäßige gewerbliche Leben derart in
Verfall geraten, daß sich dort kein Mensch mehr darüber wundert, wenn ein
junger Bursche, der sich in irgendeiner Fabrik oder bei einem Spczialbetricbc
irgendeinen Spezialzweig notdürftig angeeignet hat, sich für „ausgelernt" hält.
Unter solchen Umständen kann man den Einzelnen nicht verantwortlich machen
und kann ihn nicht leiden lassen für Dinge, welche die ganze, eine Zeitlang
herrschend gewesene Richtung verschuldet hat. Diese ganze Masse mißglückter
Existenzen und in falscher Richtung entstandener Betriebe muß man nussterben
lassen — es bleibt nichts andres übrig.

Aber freilich, es muß auch dafür gesorgt werden, daß sie wirklich aussterben.
Man darf die Hoffnung hege», daß die Innung sich fähig zeigen werde, alle
guten Elemente allmählich in sich aufzusaugen und in nicht ferner Zeit alles
Tüchtige, was das Gewerbe überhaupt hat, in sich darzustellen; aber ob die
Innung mich die Kraft hätte, über eine fortwährend nen sich erzeugende Masse
feindseliger Elemente in unausgesetztem Kampfe Herr zu werden und zu
bleiben, das darf billig bezweifelt werden. Soll dieser Kampf Aussicht auf
Erfolg haben, so muß endlich einmal ein Abschluß eintreten; es muß endlich
einmal heißen: wer da ist, der mag in Gottes Namen bleiben und mag sein
Leben macheu, so gut er kann; aber von jetzt an ist die Pforte für alle, welche
nicht ihren ordnungsmäßigen Eintrittspaß vorzuzeigen vermögen, geschlossen.
Dies bezweckt der beim Reichstage soeben wiederholt eingebrachte Antrag des
Abgeordneten Ackermann. Er mischt sich nicht in die Verhältnisse derer, die nun
einmal da sind, aber er zieht einen Strich: die Behörde (in oberster Instanz der
Bundesrat) soll bestimmen, in welchen Gewerben künftighin eine Niederlassung
nicht mehr ohne Befähigungsnachweis, zu welchem die gewöhnlichen Lehrlings¬
papiere genügen köunen, aber weder genügen müssen noch unerläßlich sind, soll
stattfinden dürfen, wie dies beim Hufbeschlaggewerbe schon der Fall ist. Es
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/468>, abgerufen am 15.01.2025.