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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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bezeichnet wird, in welcher das Recht zum Gewerbebetriebe auf bestimmte Ge-
werbszweige verwandter oder in Beziehung zu einander stehender Art beschränkt
werden soll. Ist dieser Antrag angenommen, so ist der Weg für die weitere
Entwicklung klar vorgezeichnet. Dann muß der Tag kommen, wo sowohl die
nicht handwerksmäßigen wie die ungenügend ausgebildeten Elemente bis auf
geringe Reste ausgestorben sind, und man darf hoffen, daß bis dahin einerseits
die Innungen sich fähig gezeigt haben werden, etwas zu leisten und ins¬
besondre die Sympathien aller bessern Gewerbsgenossen zu gewinnen, anderseits
aber auch die außer der Innung gebliebenen tüchtigen Handwerksmeister doch
in Höheren Grade als heute von innungsmäßigen Ideen erfüllt und vom Zwange
der Parteianschanungen befreit sein werden. Dann wird die Zeit gekommen sein,
den letzten entscheidenden Schritt zu thun und zur obligatorischen Innung zu
gelangen. Wer also die letztere will, der mache es nicht, wie es verrttckterweise
so viele Handwerker machen: über die Konservativen schimpfen, weil dieselben
immer noch die obligatorische Innung nicht gebracht haben, dann aber aus Ärger
hierüber liberal wählen -- sondern der helfe die obligatorische Innung für die
Zukunft ermöglichen, indem er für Annahme des Antrags Ackermann wirkt.

Man kann, es ist wahr, diesem Antrage eins entgegenhalten: er komme zu
schnell. Dies trifft von dem nämlichen Gesichtspunkte ans zu, von dein ans
man auch sagen kann, der Lehrlingsabsatz zu 100o sei uicht oder noch nicht
erforderlich gewesen, und überhaupt müsse man jetzt einmal für einige Zeit alles
den Handwerkern oder den Innungen selbst überlassen. Man kann nämlich
mit einigem Rechte sagen, daß doch alle Gesetze und Einrichtungen nichts
helfen, sobald unter den Handwerkern der Geist der Solidarität und der Unter¬
ordnung unter das Gcsnmtinteresse, sowie nicht minder der Geist thatkräftigen,
zeitgemäßen Vorgehens uicht vorhanden ist, und daß man, indem man fort¬
während die Gesetzgebungsmaschine in Thätigkeit setze und nicht zunächst einmal
die Handwerker dazu kommen lasse, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen, in den
Handwerkern statt des Geistes zeitgemäßer praktischer Thätigkeit den Geist des
Sichverlassens auf die Gesetzgebung und des fortwährenden impotenten Schreiens
uach neuen Einrichtungen, nach weiterer gesetzlicher Hilfe, nach Entgegenbringen
dessen vou außen, was sie von innen (in der doch einzig lebenskräftigen Weise)
nicht zu schaffen vermögen, großziehe. Hieran würde entschieden etwas Wahres
sein. Aber auch diejenigen Leute, die in Gedankenlosigkeit und Unkenntnis immer
nur nach der obligatorischen Innung schreien, haben in ihrer Art Recht und
können sich auf einen Gesichtspunkt stützen, den man als berechtigt anerkennen
muß. Das Handwerk, und in ihm ganz besonders der innungsmäßige Zusammen¬
halt, ist nun einmal auf eine Weise heruntergekommen, daß es der stärksten Mittel
bedarf, um diese zwiespältige, abhängige, mutlose Masse überhaupt wieder in Be¬
wegung bringen zu können. Man wage es, sich die Wahrheit einzugestehen: die
große Mehrzahl unsrer heutigen kleinen Handwerker hat weder von der Gewerbe-


bezeichnet wird, in welcher das Recht zum Gewerbebetriebe auf bestimmte Ge-
werbszweige verwandter oder in Beziehung zu einander stehender Art beschränkt
werden soll. Ist dieser Antrag angenommen, so ist der Weg für die weitere
Entwicklung klar vorgezeichnet. Dann muß der Tag kommen, wo sowohl die
nicht handwerksmäßigen wie die ungenügend ausgebildeten Elemente bis auf
geringe Reste ausgestorben sind, und man darf hoffen, daß bis dahin einerseits
die Innungen sich fähig gezeigt haben werden, etwas zu leisten und ins¬
besondre die Sympathien aller bessern Gewerbsgenossen zu gewinnen, anderseits
aber auch die außer der Innung gebliebenen tüchtigen Handwerksmeister doch
in Höheren Grade als heute von innungsmäßigen Ideen erfüllt und vom Zwange
der Parteianschanungen befreit sein werden. Dann wird die Zeit gekommen sein,
den letzten entscheidenden Schritt zu thun und zur obligatorischen Innung zu
gelangen. Wer also die letztere will, der mache es nicht, wie es verrttckterweise
so viele Handwerker machen: über die Konservativen schimpfen, weil dieselben
immer noch die obligatorische Innung nicht gebracht haben, dann aber aus Ärger
hierüber liberal wählen — sondern der helfe die obligatorische Innung für die
Zukunft ermöglichen, indem er für Annahme des Antrags Ackermann wirkt.

Man kann, es ist wahr, diesem Antrage eins entgegenhalten: er komme zu
schnell. Dies trifft von dem nämlichen Gesichtspunkte ans zu, von dein ans
man auch sagen kann, der Lehrlingsabsatz zu 100o sei uicht oder noch nicht
erforderlich gewesen, und überhaupt müsse man jetzt einmal für einige Zeit alles
den Handwerkern oder den Innungen selbst überlassen. Man kann nämlich
mit einigem Rechte sagen, daß doch alle Gesetze und Einrichtungen nichts
helfen, sobald unter den Handwerkern der Geist der Solidarität und der Unter¬
ordnung unter das Gcsnmtinteresse, sowie nicht minder der Geist thatkräftigen,
zeitgemäßen Vorgehens uicht vorhanden ist, und daß man, indem man fort¬
während die Gesetzgebungsmaschine in Thätigkeit setze und nicht zunächst einmal
die Handwerker dazu kommen lasse, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen, in den
Handwerkern statt des Geistes zeitgemäßer praktischer Thätigkeit den Geist des
Sichverlassens auf die Gesetzgebung und des fortwährenden impotenten Schreiens
uach neuen Einrichtungen, nach weiterer gesetzlicher Hilfe, nach Entgegenbringen
dessen vou außen, was sie von innen (in der doch einzig lebenskräftigen Weise)
nicht zu schaffen vermögen, großziehe. Hieran würde entschieden etwas Wahres
sein. Aber auch diejenigen Leute, die in Gedankenlosigkeit und Unkenntnis immer
nur nach der obligatorischen Innung schreien, haben in ihrer Art Recht und
können sich auf einen Gesichtspunkt stützen, den man als berechtigt anerkennen
muß. Das Handwerk, und in ihm ganz besonders der innungsmäßige Zusammen¬
halt, ist nun einmal auf eine Weise heruntergekommen, daß es der stärksten Mittel
bedarf, um diese zwiespältige, abhängige, mutlose Masse überhaupt wieder in Be¬
wegung bringen zu können. Man wage es, sich die Wahrheit einzugestehen: die
große Mehrzahl unsrer heutigen kleinen Handwerker hat weder von der Gewerbe-


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[0469] bezeichnet wird, in welcher das Recht zum Gewerbebetriebe auf bestimmte Ge- werbszweige verwandter oder in Beziehung zu einander stehender Art beschränkt werden soll. Ist dieser Antrag angenommen, so ist der Weg für die weitere Entwicklung klar vorgezeichnet. Dann muß der Tag kommen, wo sowohl die nicht handwerksmäßigen wie die ungenügend ausgebildeten Elemente bis auf geringe Reste ausgestorben sind, und man darf hoffen, daß bis dahin einerseits die Innungen sich fähig gezeigt haben werden, etwas zu leisten und ins¬ besondre die Sympathien aller bessern Gewerbsgenossen zu gewinnen, anderseits aber auch die außer der Innung gebliebenen tüchtigen Handwerksmeister doch in Höheren Grade als heute von innungsmäßigen Ideen erfüllt und vom Zwange der Parteianschanungen befreit sein werden. Dann wird die Zeit gekommen sein, den letzten entscheidenden Schritt zu thun und zur obligatorischen Innung zu gelangen. Wer also die letztere will, der mache es nicht, wie es verrttckterweise so viele Handwerker machen: über die Konservativen schimpfen, weil dieselben immer noch die obligatorische Innung nicht gebracht haben, dann aber aus Ärger hierüber liberal wählen — sondern der helfe die obligatorische Innung für die Zukunft ermöglichen, indem er für Annahme des Antrags Ackermann wirkt. Man kann, es ist wahr, diesem Antrage eins entgegenhalten: er komme zu schnell. Dies trifft von dem nämlichen Gesichtspunkte ans zu, von dein ans man auch sagen kann, der Lehrlingsabsatz zu 100o sei uicht oder noch nicht erforderlich gewesen, und überhaupt müsse man jetzt einmal für einige Zeit alles den Handwerkern oder den Innungen selbst überlassen. Man kann nämlich mit einigem Rechte sagen, daß doch alle Gesetze und Einrichtungen nichts helfen, sobald unter den Handwerkern der Geist der Solidarität und der Unter¬ ordnung unter das Gcsnmtinteresse, sowie nicht minder der Geist thatkräftigen, zeitgemäßen Vorgehens uicht vorhanden ist, und daß man, indem man fort¬ während die Gesetzgebungsmaschine in Thätigkeit setze und nicht zunächst einmal die Handwerker dazu kommen lasse, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen, in den Handwerkern statt des Geistes zeitgemäßer praktischer Thätigkeit den Geist des Sichverlassens auf die Gesetzgebung und des fortwährenden impotenten Schreiens uach neuen Einrichtungen, nach weiterer gesetzlicher Hilfe, nach Entgegenbringen dessen vou außen, was sie von innen (in der doch einzig lebenskräftigen Weise) nicht zu schaffen vermögen, großziehe. Hieran würde entschieden etwas Wahres sein. Aber auch diejenigen Leute, die in Gedankenlosigkeit und Unkenntnis immer nur nach der obligatorischen Innung schreien, haben in ihrer Art Recht und können sich auf einen Gesichtspunkt stützen, den man als berechtigt anerkennen muß. Das Handwerk, und in ihm ganz besonders der innungsmäßige Zusammen¬ halt, ist nun einmal auf eine Weise heruntergekommen, daß es der stärksten Mittel bedarf, um diese zwiespältige, abhängige, mutlose Masse überhaupt wieder in Be¬ wegung bringen zu können. Man wage es, sich die Wahrheit einzugestehen: die große Mehrzahl unsrer heutigen kleinen Handwerker hat weder von der Gewerbe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/469>, abgerufen am 15.01.2025.