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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die obligatorische Innung.

daß ähnliche Erleichterungen gegenüber den Leuten Platz greifen, die ein
"Handwerk" nur als Kaufleute und Kapitalisten mit gemieteten Arbeitern be¬
treiben, deren sozialpolitische Funktion also recht eigentlich darin besteht, das
Handwerk von innen heraus aufzulösen. Was sollen diese Leute in der Innung?
Sie konnten und würden ihre Zulassung oder ihren erzwungenen Eintritt zu
nichts anderm benutzen als zur verzweifeltsten Bekämpfung aller der Maßregeln,
welche die Innung zur Ausführung ihrer innungsmäßigen Zwecke ergreifen
würde: zur Überwachung der einzelnen Geschäftsbetriebe und Beeinflussung
derselben in einem, dem fachgewerblichen Gesamtinteresse dienlichen Sinne, zur
sachgemäßer Behandlung der^ Geselleuangelegenheiten unter steter Scheidung
des Gesellen von den bloßen Lohnarbeitern, zur Pflege des Lehrlingswesens
als einer in erster Linie nicht den betreffenden Lehrmeister, sondern das Gc-
samtgewerbe angehenden Sache, endlich zur Wahrnehmung der Jnnungs-
interesscn in dem vorstehend angedeuteten Sinne nach außen. Alle diese Dinge
sind ja dem Konfektionär wie Gift und Oppcrmcnt; gerade das bildet ja das
Wesen seines Betriebes, daß er sich um solche altmodische Rücksichten nicht zu
bekümmern braucht und nicht bekümmern will, und die ganze Art seines Ge¬
werbebetriebes ist nnr dadurch möglich geworden, daß er dies nicht braucht.
Er könnte also nnr als geborner Feind alles spezifischen Innungswesens, aller
der Zwecke, um deretwillen die Innung da ist, in die Innung treten. Das
hätte nun vielleicht wenig zu bedeuten, wenn er in der Innung allein stünde;
aber alle dem Jnnungsgedanken innerlich abgeneigten und nun doch in die Innung
hineingezwnngencn Elemente würden ja auf seiner Seite stehen! Alle Submissions¬
meister, alle Unternehmer von Gefängnis- und Zuchthausarbeit, alle Ausbeuter
der Lehrlinge als bloßer "jugendlicher Arbeiter," alle in die Idee^unbeschrünkter
Freiheit des Gewerbebetriebes verrannten, wenn auch sonst vielleicht ganz achtuugs-
wcrten Meister, alle Pfuscher und Lumpen, alle die Helden des freien und leichten
Überganges von einem Gewerbe ins andre, alle die endlich, die mit freudigem
Herzen der Tendenz folgen, welche den Handwerksmeister zum Händler und ge¬
legentlichen Flicker macht -- alle diese Leute siud jn die natürlichen Bundes¬
genossen des Konfektionärs, und es kann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen,
daß sie, einstweilen wenigstens, und weitaus in den meisten Fällen die Majorität
bilden werden! Und in einer solchen "Innung" soll sich nun ein gesundes
gewerbliches Leben entfalten?

Nicht minder unmöglich ist es aber, allen den Leuten, welche die Innung
nicht als berechtigte Mitglieder aufnehmen will oder kann, die Arbeit zu ver¬
bieten. Es ist eine alte Regel, daß man kein Gesetz rückwirkend machen kann;
wer im Vertrauen auf eine zu Recht bestehende gesetzliche Einrichtung sich
etablirt hat und nun in seiner Weise sich durchsieben zu schlagen sucht,
dem kann man nicht sagen: jetzt leiden wir es nicht mehr, daß du in dieser
Weise arbeitest, und wenn du nicht Jnnungsmeister werden kannst, so mußt du


Die obligatorische Innung.

daß ähnliche Erleichterungen gegenüber den Leuten Platz greifen, die ein
„Handwerk" nur als Kaufleute und Kapitalisten mit gemieteten Arbeitern be¬
treiben, deren sozialpolitische Funktion also recht eigentlich darin besteht, das
Handwerk von innen heraus aufzulösen. Was sollen diese Leute in der Innung?
Sie konnten und würden ihre Zulassung oder ihren erzwungenen Eintritt zu
nichts anderm benutzen als zur verzweifeltsten Bekämpfung aller der Maßregeln,
welche die Innung zur Ausführung ihrer innungsmäßigen Zwecke ergreifen
würde: zur Überwachung der einzelnen Geschäftsbetriebe und Beeinflussung
derselben in einem, dem fachgewerblichen Gesamtinteresse dienlichen Sinne, zur
sachgemäßer Behandlung der^ Geselleuangelegenheiten unter steter Scheidung
des Gesellen von den bloßen Lohnarbeitern, zur Pflege des Lehrlingswesens
als einer in erster Linie nicht den betreffenden Lehrmeister, sondern das Gc-
samtgewerbe angehenden Sache, endlich zur Wahrnehmung der Jnnungs-
interesscn in dem vorstehend angedeuteten Sinne nach außen. Alle diese Dinge
sind ja dem Konfektionär wie Gift und Oppcrmcnt; gerade das bildet ja das
Wesen seines Betriebes, daß er sich um solche altmodische Rücksichten nicht zu
bekümmern braucht und nicht bekümmern will, und die ganze Art seines Ge¬
werbebetriebes ist nnr dadurch möglich geworden, daß er dies nicht braucht.
Er könnte also nnr als geborner Feind alles spezifischen Innungswesens, aller
der Zwecke, um deretwillen die Innung da ist, in die Innung treten. Das
hätte nun vielleicht wenig zu bedeuten, wenn er in der Innung allein stünde;
aber alle dem Jnnungsgedanken innerlich abgeneigten und nun doch in die Innung
hineingezwnngencn Elemente würden ja auf seiner Seite stehen! Alle Submissions¬
meister, alle Unternehmer von Gefängnis- und Zuchthausarbeit, alle Ausbeuter
der Lehrlinge als bloßer „jugendlicher Arbeiter," alle in die Idee^unbeschrünkter
Freiheit des Gewerbebetriebes verrannten, wenn auch sonst vielleicht ganz achtuugs-
wcrten Meister, alle Pfuscher und Lumpen, alle die Helden des freien und leichten
Überganges von einem Gewerbe ins andre, alle die endlich, die mit freudigem
Herzen der Tendenz folgen, welche den Handwerksmeister zum Händler und ge¬
legentlichen Flicker macht — alle diese Leute siud jn die natürlichen Bundes¬
genossen des Konfektionärs, und es kann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen,
daß sie, einstweilen wenigstens, und weitaus in den meisten Fällen die Majorität
bilden werden! Und in einer solchen „Innung" soll sich nun ein gesundes
gewerbliches Leben entfalten?

Nicht minder unmöglich ist es aber, allen den Leuten, welche die Innung
nicht als berechtigte Mitglieder aufnehmen will oder kann, die Arbeit zu ver¬
bieten. Es ist eine alte Regel, daß man kein Gesetz rückwirkend machen kann;
wer im Vertrauen auf eine zu Recht bestehende gesetzliche Einrichtung sich
etablirt hat und nun in seiner Weise sich durchsieben zu schlagen sucht,
dem kann man nicht sagen: jetzt leiden wir es nicht mehr, daß du in dieser
Weise arbeitest, und wenn du nicht Jnnungsmeister werden kannst, so mußt du


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[0467] Die obligatorische Innung. daß ähnliche Erleichterungen gegenüber den Leuten Platz greifen, die ein „Handwerk" nur als Kaufleute und Kapitalisten mit gemieteten Arbeitern be¬ treiben, deren sozialpolitische Funktion also recht eigentlich darin besteht, das Handwerk von innen heraus aufzulösen. Was sollen diese Leute in der Innung? Sie konnten und würden ihre Zulassung oder ihren erzwungenen Eintritt zu nichts anderm benutzen als zur verzweifeltsten Bekämpfung aller der Maßregeln, welche die Innung zur Ausführung ihrer innungsmäßigen Zwecke ergreifen würde: zur Überwachung der einzelnen Geschäftsbetriebe und Beeinflussung derselben in einem, dem fachgewerblichen Gesamtinteresse dienlichen Sinne, zur sachgemäßer Behandlung der^ Geselleuangelegenheiten unter steter Scheidung des Gesellen von den bloßen Lohnarbeitern, zur Pflege des Lehrlingswesens als einer in erster Linie nicht den betreffenden Lehrmeister, sondern das Gc- samtgewerbe angehenden Sache, endlich zur Wahrnehmung der Jnnungs- interesscn in dem vorstehend angedeuteten Sinne nach außen. Alle diese Dinge sind ja dem Konfektionär wie Gift und Oppcrmcnt; gerade das bildet ja das Wesen seines Betriebes, daß er sich um solche altmodische Rücksichten nicht zu bekümmern braucht und nicht bekümmern will, und die ganze Art seines Ge¬ werbebetriebes ist nnr dadurch möglich geworden, daß er dies nicht braucht. Er könnte also nnr als geborner Feind alles spezifischen Innungswesens, aller der Zwecke, um deretwillen die Innung da ist, in die Innung treten. Das hätte nun vielleicht wenig zu bedeuten, wenn er in der Innung allein stünde; aber alle dem Jnnungsgedanken innerlich abgeneigten und nun doch in die Innung hineingezwnngencn Elemente würden ja auf seiner Seite stehen! Alle Submissions¬ meister, alle Unternehmer von Gefängnis- und Zuchthausarbeit, alle Ausbeuter der Lehrlinge als bloßer „jugendlicher Arbeiter," alle in die Idee^unbeschrünkter Freiheit des Gewerbebetriebes verrannten, wenn auch sonst vielleicht ganz achtuugs- wcrten Meister, alle Pfuscher und Lumpen, alle die Helden des freien und leichten Überganges von einem Gewerbe ins andre, alle die endlich, die mit freudigem Herzen der Tendenz folgen, welche den Handwerksmeister zum Händler und ge¬ legentlichen Flicker macht — alle diese Leute siud jn die natürlichen Bundes¬ genossen des Konfektionärs, und es kann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß sie, einstweilen wenigstens, und weitaus in den meisten Fällen die Majorität bilden werden! Und in einer solchen „Innung" soll sich nun ein gesundes gewerbliches Leben entfalten? Nicht minder unmöglich ist es aber, allen den Leuten, welche die Innung nicht als berechtigte Mitglieder aufnehmen will oder kann, die Arbeit zu ver¬ bieten. Es ist eine alte Regel, daß man kein Gesetz rückwirkend machen kann; wer im Vertrauen auf eine zu Recht bestehende gesetzliche Einrichtung sich etablirt hat und nun in seiner Weise sich durchsieben zu schlagen sucht, dem kann man nicht sagen: jetzt leiden wir es nicht mehr, daß du in dieser Weise arbeitest, und wenn du nicht Jnnungsmeister werden kannst, so mußt du

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/467>, abgerufen am 15.01.2025.