Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfser Joch. rakterisirt. Mein Schwiegervater klagt beständig darüber, wie wenig die Statt aller Antwort nahm Harald das Tuch, mit welchem die Staffelei Diesen Bitten vermochte Harald nicht zu widerstehen, und er ging sofort Auf dem Stilfser Joch. rakterisirt. Mein Schwiegervater klagt beständig darüber, wie wenig die Statt aller Antwort nahm Harald das Tuch, mit welchem die Staffelei Diesen Bitten vermochte Harald nicht zu widerstehen, und er ging sofort <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197194"/> <fw type="header" place="top"> Auf dem Stilfser Joch.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1474" prev="#ID_1473"> rakterisirt. Mein Schwiegervater klagt beständig darüber, wie wenig die<lb/> Künstler den Geist der Zeit zu erfassen verstünden, oder wenn er sich milder<lb/> ausdrückt, wie spurlos dieser Geist an ihnen vorübergehe, wie sie ihre Gegen¬<lb/> stände entweder den gesuchtesten und oft ungewöhnlichsten Ereignissen der Ver¬<lb/> gangenheit entnehmen oder, abgesehen von den Schlachten- und Landschaftsmalern,<lb/> sich an die kleinen Vorwürfe spießbürgerlichen Lebens halten. Es ist ja ähnlich<lb/> in der Literatur; in einer Zeit, die Deutschlands jahrhundertelang erträumte Ein¬<lb/> heit errungen hat, die den Kampf der sozialen Gegensätze zu schlichten versucht,<lb/> füttern uns die Dichter mit altägyptischen, römischen, mittelalterlichen, an den<lb/> Haaren herbeigeholten Stoffen. Von dem Menschen der Gegenwart, von seinem<lb/> Ringen in einer sich neu bildenden Gesellschaft ist nie die Rede; die Losung<lb/> solcher Probleme müssen wir uns jenseits der Vogesen holen, und das mag<lb/> außer andern Gründen es erklären, weswegen der französische Roman in so<lb/> großer Blüte steht. Wenn einmal ein späterer Forscher, lieber Freund, lediglich<lb/> aus deu Bildern Ihrer Kollegen einen Rückschluß auf unsre Kultur machen<lb/> müßte, so würde er glauben, daß, abgesehen von dem Schlachtengetümmel, unser<lb/> ganzes Leben sich in stilvollen Interieurs, Bauernhütten, Tiroler Jagdgeschichten<lb/> und sonstigen kleinen Vorkommnissen abgespielt habe. Kein Forscher würde es<lb/> den Werken dieser Künstler ansehen, daß sie in einem Jahrhundert gelebt, in<lb/> welchem das politische wie das wirtschaftliche Leben die größte Umwälzung er¬<lb/> fahren haben, wo Presse, Vereine und Parlament den Mittelpunkt der staat¬<lb/> lichen Bewegung bilden. Es würde mir deshalb eine außerordentliche Freude<lb/> verursachen, wenn ich dem alten Herrn einmal beweisen könnte, daß seine<lb/> gewiß sehr richtige Idee auch einmal von einem tüchtigen Künstler in die<lb/> Wirklichkeit umgesetzt worden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1475"> Statt aller Antwort nahm Harald das Tuch, mit welchem die Staffelei<lb/> verhängt war, herunter und zeigte dem Grafen den Entwurf zu seiner Volks¬<lb/> versammlung, zu jenem Bilde, das er in der Zeit seiner Bedrängnis begonnen<lb/> hatte, aber noch niemals hatte vollenden können und an dem seit Jahr und Tag<lb/> nichts mehr gefördert war. Der Graf war von diesem EntWurfe ganz entzückt<lb/> und freute sich, in Harald den Künstler gefunden zu haben, der von selbst auf<lb/> den eben zum Ausdruck gelangten Gedanken gekommen war. Er bat den Maler<lb/> inständigst, ihm dieses Bild für seinen Schwiegervater zu vollenden und die<lb/> Arbeit unverzüglich fortzusetzen, damit das Bild bis zum fünfzehnten August,<lb/> dem bevorstehenden Geburtstage, fertig würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1476" next="#ID_1477"> Diesen Bitten vermochte Harald nicht zu widerstehen, und er ging sofort<lb/> an das Werk, das er mit aller Zuneigung für den Besteller in der sorgsamsten<lb/> Weise förderte. Er war so fleißig, daß er an nichts andres dachte, und zu<lb/> seiner Genugthuung vermochte er schon im Anfang August mit dem Grafen<lb/> Klodwig auf das Gut des Schwiegervaters zu reisen und das Bild während<lb/> der Abwesenheit desselben aufzustellen. Das ausgeführte Werk erhielt den vollen<lb/> Beifall des kunstsinnigen Bestellers, der in diesem Bilde seine Gedanken nicht<lb/> nur verwirklicht, sondern übertroffen fand. Schon die Beleuchtung übte auf<lb/> den Beschauer einen eigentümlichen Reiz; ein dichtgefüllter großer Saal, durch<lb/> dessen trübe Luft das matte Gaslicht durchdrang.' Es war der Augenblick ge¬<lb/> wählt, in welchem der Redner ein zündendes Schlagwort in die Menge ge¬<lb/> schleudert hatte, dessen verschiedne, vielartige Wirkung in der Zuhörerschaft zum<lb/> Ausdruck gelangte. In den Einen sprach sich die Zustimmung zu den Worten<lb/> des Redners in ihren verschiedensten Abstufungen aus, sie that sich von der kühlen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0460]
Auf dem Stilfser Joch.
rakterisirt. Mein Schwiegervater klagt beständig darüber, wie wenig die
Künstler den Geist der Zeit zu erfassen verstünden, oder wenn er sich milder
ausdrückt, wie spurlos dieser Geist an ihnen vorübergehe, wie sie ihre Gegen¬
stände entweder den gesuchtesten und oft ungewöhnlichsten Ereignissen der Ver¬
gangenheit entnehmen oder, abgesehen von den Schlachten- und Landschaftsmalern,
sich an die kleinen Vorwürfe spießbürgerlichen Lebens halten. Es ist ja ähnlich
in der Literatur; in einer Zeit, die Deutschlands jahrhundertelang erträumte Ein¬
heit errungen hat, die den Kampf der sozialen Gegensätze zu schlichten versucht,
füttern uns die Dichter mit altägyptischen, römischen, mittelalterlichen, an den
Haaren herbeigeholten Stoffen. Von dem Menschen der Gegenwart, von seinem
Ringen in einer sich neu bildenden Gesellschaft ist nie die Rede; die Losung
solcher Probleme müssen wir uns jenseits der Vogesen holen, und das mag
außer andern Gründen es erklären, weswegen der französische Roman in so
großer Blüte steht. Wenn einmal ein späterer Forscher, lieber Freund, lediglich
aus deu Bildern Ihrer Kollegen einen Rückschluß auf unsre Kultur machen
müßte, so würde er glauben, daß, abgesehen von dem Schlachtengetümmel, unser
ganzes Leben sich in stilvollen Interieurs, Bauernhütten, Tiroler Jagdgeschichten
und sonstigen kleinen Vorkommnissen abgespielt habe. Kein Forscher würde es
den Werken dieser Künstler ansehen, daß sie in einem Jahrhundert gelebt, in
welchem das politische wie das wirtschaftliche Leben die größte Umwälzung er¬
fahren haben, wo Presse, Vereine und Parlament den Mittelpunkt der staat¬
lichen Bewegung bilden. Es würde mir deshalb eine außerordentliche Freude
verursachen, wenn ich dem alten Herrn einmal beweisen könnte, daß seine
gewiß sehr richtige Idee auch einmal von einem tüchtigen Künstler in die
Wirklichkeit umgesetzt worden ist.
Statt aller Antwort nahm Harald das Tuch, mit welchem die Staffelei
verhängt war, herunter und zeigte dem Grafen den Entwurf zu seiner Volks¬
versammlung, zu jenem Bilde, das er in der Zeit seiner Bedrängnis begonnen
hatte, aber noch niemals hatte vollenden können und an dem seit Jahr und Tag
nichts mehr gefördert war. Der Graf war von diesem EntWurfe ganz entzückt
und freute sich, in Harald den Künstler gefunden zu haben, der von selbst auf
den eben zum Ausdruck gelangten Gedanken gekommen war. Er bat den Maler
inständigst, ihm dieses Bild für seinen Schwiegervater zu vollenden und die
Arbeit unverzüglich fortzusetzen, damit das Bild bis zum fünfzehnten August,
dem bevorstehenden Geburtstage, fertig würde.
Diesen Bitten vermochte Harald nicht zu widerstehen, und er ging sofort
an das Werk, das er mit aller Zuneigung für den Besteller in der sorgsamsten
Weise förderte. Er war so fleißig, daß er an nichts andres dachte, und zu
seiner Genugthuung vermochte er schon im Anfang August mit dem Grafen
Klodwig auf das Gut des Schwiegervaters zu reisen und das Bild während
der Abwesenheit desselben aufzustellen. Das ausgeführte Werk erhielt den vollen
Beifall des kunstsinnigen Bestellers, der in diesem Bilde seine Gedanken nicht
nur verwirklicht, sondern übertroffen fand. Schon die Beleuchtung übte auf
den Beschauer einen eigentümlichen Reiz; ein dichtgefüllter großer Saal, durch
dessen trübe Luft das matte Gaslicht durchdrang.' Es war der Augenblick ge¬
wählt, in welchem der Redner ein zündendes Schlagwort in die Menge ge¬
schleudert hatte, dessen verschiedne, vielartige Wirkung in der Zuhörerschaft zum
Ausdruck gelangte. In den Einen sprach sich die Zustimmung zu den Worten
des Redners in ihren verschiedensten Abstufungen aus, sie that sich von der kühlen
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