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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Ans dem Stilfser Joch-

Häuptlingen der anonymen Briefstellerin auf Wahrheit beruhten, Vroni für
immer verloren war, denn sie wurde zu stolz fein, um mit Schmach bedeckt in
das väterliche Haus zurttckzukchreu. Sicherlich würde sie einer solchen Rückkehr
den Tod vorziehen. Und so war das Ende der ganzen Beratung, daß die
schwer Getroffnen den Schlag des Schicksals hinnehmen mußten, ohne irgend¬
einen Schritt dagegen thun zu können. So frei war die That Vronis gewesen,
daß sie den Ihrigen keine andre Wahl ließ, als den Zwang, sie gewähren zu lassen,
und so mußte auch Harald dem zusammengebrochueu Vater geloben, die Spuren
der Geliebten nie zu verfolgen.

Noch an demselben Tage verließ Vronis Vater die Residenz und zog sich
allein und mit seinen Büchern auf ein Landgut im fernen Ostpreußen zurück,
das er bisher verpachtet gehabt hatte. In dem dürftigen Herrenhause überließ ihm
der lithauische Pächetr eine Schlaf- und eine Wohnstube, die trotz ihrer Enge
den alten Mann mit seinem großen Kummer umfassen konnten. Der Hausstand
in Berlin wurde aufgelöst, und die jugendlichen Verbrecher wurden mit einer
erheblichen Unterstützungssumme der öffentlichen Armenpflege zurückgegeben. Da
Keller und Harald übereingekommen waren, daß sie einander nur schreiben
wollten, wenn eine Nachricht voll Vroni eintreffen würde, und diese Voraus¬
setzung sich nicht erfüllte, so blieben sie beide für einander verschollen.

Selbstverständlich machte das Verschwinden Vronis in der Residenz großes
Aufsehen, und die skandalsüchtigen Blätter ließen die Gelegenheit nicht vorüber¬
gehen, um das ihrer würdige Publikum eine Zeit lang mit der pikanten Ge¬
schichte zu unterhalten. Und gerade diejenigen Zeitungen, deren Redakteure in
dem Kellerschen Hause als gut empfangene Gäste ein- und ausgingen, brachten,
da sie ja am besten unterrichtet waren, die meisten Details. Sie lohnten die
genossene Gastfreundschaft, indem sie mit beißendem Sarkasmus plötzlich das
ganze Hauswesen eines wenn auch in seinen Anschauungen wunderlichen, doch
immer ehrenwerten und, wenn auch von falschen Idealen, doch immerhin von
Idealen geleiteten Mannes dem Spotte des großen und kleinen Pöbels preisgaben.
Harald konnte noch froh sein, daß sein Verhältnis zu Vroni sein stilles Ge¬
heimnis geblieben war und er nichts gethan hatte, wodurch die Zuckungen seines
durchbohrten Herzens andern offenbar geworden wären. Aber wenn er schon
seinem ganzen Naturell nach keine Neigung für das öffentliche Leben hatte, bei
diesem Gebahren derjenigen, welche sich als Vertreter der öffentlichen Meinung
aufspielten, erfaßte ihn ein tiefer Ekel. Gerade als am Leipziger Platze der
Hauptschandartikel ausgerufen wurde, traf Harald auf einem notwendigen Wege
zu seinem Bankier wieder einmal mit Hettner zusammen, und er konnte es nicht
vermeiden, daß dieser auf die Kellersche Katastrophe zu sprechen kam. Als nun
auch Harald des edelsten Unwillens voll seinem Ingrimm gegen dieses Gebahren
der Presse Lust machte, erwiederte der Rechtsanwalt: Was willst du? Wir haben
sehr ernste Strafbestimmungen gegen die Verletzung des Hausrechts, und sogar


Ans dem Stilfser Joch-

Häuptlingen der anonymen Briefstellerin auf Wahrheit beruhten, Vroni für
immer verloren war, denn sie wurde zu stolz fein, um mit Schmach bedeckt in
das väterliche Haus zurttckzukchreu. Sicherlich würde sie einer solchen Rückkehr
den Tod vorziehen. Und so war das Ende der ganzen Beratung, daß die
schwer Getroffnen den Schlag des Schicksals hinnehmen mußten, ohne irgend¬
einen Schritt dagegen thun zu können. So frei war die That Vronis gewesen,
daß sie den Ihrigen keine andre Wahl ließ, als den Zwang, sie gewähren zu lassen,
und so mußte auch Harald dem zusammengebrochueu Vater geloben, die Spuren
der Geliebten nie zu verfolgen.

Noch an demselben Tage verließ Vronis Vater die Residenz und zog sich
allein und mit seinen Büchern auf ein Landgut im fernen Ostpreußen zurück,
das er bisher verpachtet gehabt hatte. In dem dürftigen Herrenhause überließ ihm
der lithauische Pächetr eine Schlaf- und eine Wohnstube, die trotz ihrer Enge
den alten Mann mit seinem großen Kummer umfassen konnten. Der Hausstand
in Berlin wurde aufgelöst, und die jugendlichen Verbrecher wurden mit einer
erheblichen Unterstützungssumme der öffentlichen Armenpflege zurückgegeben. Da
Keller und Harald übereingekommen waren, daß sie einander nur schreiben
wollten, wenn eine Nachricht voll Vroni eintreffen würde, und diese Voraus¬
setzung sich nicht erfüllte, so blieben sie beide für einander verschollen.

Selbstverständlich machte das Verschwinden Vronis in der Residenz großes
Aufsehen, und die skandalsüchtigen Blätter ließen die Gelegenheit nicht vorüber¬
gehen, um das ihrer würdige Publikum eine Zeit lang mit der pikanten Ge¬
schichte zu unterhalten. Und gerade diejenigen Zeitungen, deren Redakteure in
dem Kellerschen Hause als gut empfangene Gäste ein- und ausgingen, brachten,
da sie ja am besten unterrichtet waren, die meisten Details. Sie lohnten die
genossene Gastfreundschaft, indem sie mit beißendem Sarkasmus plötzlich das
ganze Hauswesen eines wenn auch in seinen Anschauungen wunderlichen, doch
immer ehrenwerten und, wenn auch von falschen Idealen, doch immerhin von
Idealen geleiteten Mannes dem Spotte des großen und kleinen Pöbels preisgaben.
Harald konnte noch froh sein, daß sein Verhältnis zu Vroni sein stilles Ge¬
heimnis geblieben war und er nichts gethan hatte, wodurch die Zuckungen seines
durchbohrten Herzens andern offenbar geworden wären. Aber wenn er schon
seinem ganzen Naturell nach keine Neigung für das öffentliche Leben hatte, bei
diesem Gebahren derjenigen, welche sich als Vertreter der öffentlichen Meinung
aufspielten, erfaßte ihn ein tiefer Ekel. Gerade als am Leipziger Platze der
Hauptschandartikel ausgerufen wurde, traf Harald auf einem notwendigen Wege
zu seinem Bankier wieder einmal mit Hettner zusammen, und er konnte es nicht
vermeiden, daß dieser auf die Kellersche Katastrophe zu sprechen kam. Als nun
auch Harald des edelsten Unwillens voll seinem Ingrimm gegen dieses Gebahren
der Presse Lust machte, erwiederte der Rechtsanwalt: Was willst du? Wir haben
sehr ernste Strafbestimmungen gegen die Verletzung des Hausrechts, und sogar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/456>, abgerufen am 15.01.2025.