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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser Hoch-

dem Spitzbuben gegenüber muß die Polizei sich hüten, seinen Hausfrieden zu ver¬
letzen, und oft genug geht aus diesem Grunde, zum Schaden der ehrlichen Leute,
der Verbrecher, über unsre schönen Einrichtungen spottend, frei aus. Aber wenn
es sich um das Privatleben handelt, um die ehelichen Verhältnisse, um Be¬
ziehungen zu Kindern und nahen Angehörigen, um alle jene idealen Güter,
die dem Einzelnen teurer sind als sein Haus, dann läßt es unsre Gesetzgebung
zu, daß ein Journalist, ohne Auftrag, ohne Ermächtigung, ohne Recht, bloß
weil er Journalist ist oder als Reporter seinen Groschen für die Zeile ver¬
dienen will, die Schwelle unsers häuslichen Herdes überschreite, das intimste
Leben durchforsche, die Handlungen und Gewohnheiten einer ganzen Familie
und eines Einzelnen der Öffentlichkeit übergebe und dem Übelwollen und Spott
der Menge aussetze.

Und giebt es denn kein Mittel, sich dagegen zu schützen? Soll unser
mächtiger Staat machtlos sein gegen die Räuber der Ehre?

So lange die Menge der ehrlichen Leute sich von der Phrase der Preß-
freiheit blenden läßt, so lange kann auch die weiseste Regierung kein Mittel
finden.

Aber es giebt doch noch Gerichte, welche den Abschreiber der Ehre zu be¬
strafen wissen.

Klage nur, und du wirst den Leuten keinen größern Gefallen erweisen. Ich
habe die Artikel genau verfolgt und verpflichte mich, in jedem ein Dutzend der
gröbsten Beleidigungen nachzuweisen. Aber wenn Papa Keller klagen wollte,
dann käme ein Dutzend geld- und reklamegieriger Advokaten, welche für den
Angeklagten den Beweis der Wahrheit antreten würden. Die Gerichte aber lassen
diesen leider nur zu oft zu, und daun wird alles, was in der Presse geschrieben
war, noch einmal vor das Forum der Öffentlichkeit gezogen und dein guter Name
aufs neue durch den Kot gezerrt. Bestenfalls tritt eine Verurteilung zu ein
Paar Mark Geldbuße oder zu ein paar Tagen Haft ein, und alsdann ist durch
das herrliche Institut der Sitzredakteure dafür gesorgt, daß ein armer Dienst¬
mann gegen Entgelt die Zeit abbrummen muß, während sich der Artikelschrciber
bei Julitz oder Dressel mästet.

Ja dann sind unsre Zustände schlimmer als unter den Hottentotten, bei
denen der Verletzte sich wenigstens selbst Recht verschaffen kann.

Ich wage nicht zu widersprechen, lieber Harald, aber tröste dich, wir beide
können es nicht besser machen. Doch gehab dich wohl, ich muß die Pferdebahn
besteigen, um uach Moabit in den Justizpalast zu kommen, wo ich im Dienste
jener Gerechtigkeit die Grundsätze zu vertreten habe, die ich eben tadelte. Aber
Was kann der Einzelne, wenn "Hödur" blind ist? II kaut vivro.




Grenzboten IV. 1835.Ü7
Auf dem Stilfser Hoch-

dem Spitzbuben gegenüber muß die Polizei sich hüten, seinen Hausfrieden zu ver¬
letzen, und oft genug geht aus diesem Grunde, zum Schaden der ehrlichen Leute,
der Verbrecher, über unsre schönen Einrichtungen spottend, frei aus. Aber wenn
es sich um das Privatleben handelt, um die ehelichen Verhältnisse, um Be¬
ziehungen zu Kindern und nahen Angehörigen, um alle jene idealen Güter,
die dem Einzelnen teurer sind als sein Haus, dann läßt es unsre Gesetzgebung
zu, daß ein Journalist, ohne Auftrag, ohne Ermächtigung, ohne Recht, bloß
weil er Journalist ist oder als Reporter seinen Groschen für die Zeile ver¬
dienen will, die Schwelle unsers häuslichen Herdes überschreite, das intimste
Leben durchforsche, die Handlungen und Gewohnheiten einer ganzen Familie
und eines Einzelnen der Öffentlichkeit übergebe und dem Übelwollen und Spott
der Menge aussetze.

Und giebt es denn kein Mittel, sich dagegen zu schützen? Soll unser
mächtiger Staat machtlos sein gegen die Räuber der Ehre?

So lange die Menge der ehrlichen Leute sich von der Phrase der Preß-
freiheit blenden läßt, so lange kann auch die weiseste Regierung kein Mittel
finden.

Aber es giebt doch noch Gerichte, welche den Abschreiber der Ehre zu be¬
strafen wissen.

Klage nur, und du wirst den Leuten keinen größern Gefallen erweisen. Ich
habe die Artikel genau verfolgt und verpflichte mich, in jedem ein Dutzend der
gröbsten Beleidigungen nachzuweisen. Aber wenn Papa Keller klagen wollte,
dann käme ein Dutzend geld- und reklamegieriger Advokaten, welche für den
Angeklagten den Beweis der Wahrheit antreten würden. Die Gerichte aber lassen
diesen leider nur zu oft zu, und daun wird alles, was in der Presse geschrieben
war, noch einmal vor das Forum der Öffentlichkeit gezogen und dein guter Name
aufs neue durch den Kot gezerrt. Bestenfalls tritt eine Verurteilung zu ein
Paar Mark Geldbuße oder zu ein paar Tagen Haft ein, und alsdann ist durch
das herrliche Institut der Sitzredakteure dafür gesorgt, daß ein armer Dienst¬
mann gegen Entgelt die Zeit abbrummen muß, während sich der Artikelschrciber
bei Julitz oder Dressel mästet.

Ja dann sind unsre Zustände schlimmer als unter den Hottentotten, bei
denen der Verletzte sich wenigstens selbst Recht verschaffen kann.

Ich wage nicht zu widersprechen, lieber Harald, aber tröste dich, wir beide
können es nicht besser machen. Doch gehab dich wohl, ich muß die Pferdebahn
besteigen, um uach Moabit in den Justizpalast zu kommen, wo ich im Dienste
jener Gerechtigkeit die Grundsätze zu vertreten habe, die ich eben tadelte. Aber
Was kann der Einzelne, wenn „Hödur" blind ist? II kaut vivro.




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[0457] Auf dem Stilfser Hoch- dem Spitzbuben gegenüber muß die Polizei sich hüten, seinen Hausfrieden zu ver¬ letzen, und oft genug geht aus diesem Grunde, zum Schaden der ehrlichen Leute, der Verbrecher, über unsre schönen Einrichtungen spottend, frei aus. Aber wenn es sich um das Privatleben handelt, um die ehelichen Verhältnisse, um Be¬ ziehungen zu Kindern und nahen Angehörigen, um alle jene idealen Güter, die dem Einzelnen teurer sind als sein Haus, dann läßt es unsre Gesetzgebung zu, daß ein Journalist, ohne Auftrag, ohne Ermächtigung, ohne Recht, bloß weil er Journalist ist oder als Reporter seinen Groschen für die Zeile ver¬ dienen will, die Schwelle unsers häuslichen Herdes überschreite, das intimste Leben durchforsche, die Handlungen und Gewohnheiten einer ganzen Familie und eines Einzelnen der Öffentlichkeit übergebe und dem Übelwollen und Spott der Menge aussetze. Und giebt es denn kein Mittel, sich dagegen zu schützen? Soll unser mächtiger Staat machtlos sein gegen die Räuber der Ehre? So lange die Menge der ehrlichen Leute sich von der Phrase der Preß- freiheit blenden läßt, so lange kann auch die weiseste Regierung kein Mittel finden. Aber es giebt doch noch Gerichte, welche den Abschreiber der Ehre zu be¬ strafen wissen. Klage nur, und du wirst den Leuten keinen größern Gefallen erweisen. Ich habe die Artikel genau verfolgt und verpflichte mich, in jedem ein Dutzend der gröbsten Beleidigungen nachzuweisen. Aber wenn Papa Keller klagen wollte, dann käme ein Dutzend geld- und reklamegieriger Advokaten, welche für den Angeklagten den Beweis der Wahrheit antreten würden. Die Gerichte aber lassen diesen leider nur zu oft zu, und daun wird alles, was in der Presse geschrieben war, noch einmal vor das Forum der Öffentlichkeit gezogen und dein guter Name aufs neue durch den Kot gezerrt. Bestenfalls tritt eine Verurteilung zu ein Paar Mark Geldbuße oder zu ein paar Tagen Haft ein, und alsdann ist durch das herrliche Institut der Sitzredakteure dafür gesorgt, daß ein armer Dienst¬ mann gegen Entgelt die Zeit abbrummen muß, während sich der Artikelschrciber bei Julitz oder Dressel mästet. Ja dann sind unsre Zustände schlimmer als unter den Hottentotten, bei denen der Verletzte sich wenigstens selbst Recht verschaffen kann. Ich wage nicht zu widersprechen, lieber Harald, aber tröste dich, wir beide können es nicht besser machen. Doch gehab dich wohl, ich muß die Pferdebahn besteigen, um uach Moabit in den Justizpalast zu kommen, wo ich im Dienste jener Gerechtigkeit die Grundsätze zu vertreten habe, die ich eben tadelte. Aber Was kann der Einzelne, wenn „Hödur" blind ist? II kaut vivro. Grenzboten IV. 1835.Ü7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/457>, abgerufen am 15.01.2025.