Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.gegen den argen König Milmi um Hilfe an. Wenn man sich in Sofia wirklich gegen den argen König Milmi um Hilfe an. Wenn man sich in Sofia wirklich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197185"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1439" prev="#ID_1438" next="#ID_1440"> gegen den argen König Milmi um Hilfe an. Wenn man sich in Sofia wirklich<lb/> einbildet, Europa werde den Bulgaren gegen das Einschreiten der Serben bei¬<lb/> stehen, so wird diese Hoffnung schwerlich in Erfüllung gehen. Auch von der<lb/> Pforte hat die bulgarische Negierung keine Hilfe zu hoffen. Dieselbe hat zwar<lb/> endlich auf deren Ruf nach Hilfe geantwortet, aber in einer Weise, die für<lb/> die Serben günstiger lautet als für deren Gegner. Wenn die Serben ihren<lb/> Einmarsch in Bulgarien nicht als Antastung türkischen Gebietes, sondern als<lb/> den Versuch, einen türkischen Vasallen zur Raison zu bringen, der sich gegen<lb/> seinen Lehnsherrn empört hat, betrachtet wissen wollen, so scheint man das in<lb/> Konstantinopel zwar nicht offen zu billigen, aber vorläufig stillschweigend dulden<lb/> zu wollen. Enthält sich der König Milan, wie Freunde ihm raten, zunächst<lb/> deutlicher Erklärungen, daß er den Zweck im Auge hat, ein Stück von Bul¬<lb/> garien zu erobern und dauernd zu behalten, so wird man ihn vermutlich bis<lb/> auf weiteres in Bulgarien gewähren lassen. Nachdem sich die Bulgaren gegen<lb/> ihn als unbequeme Nachbarn benommen, die serbische Grenzbevölkerung ge¬<lb/> schädigt, radikale und dynastische Gegner des Königs beschützt und unterstützt<lb/> und schließlich durch die Annexion Ostrumeliens die nationale Zukunft Serbiens<lb/> gefährdet haben, ist es nicht unbegreiflich, wenn Milan ein Recht zu haben<lb/> meint, sich zuvörderst dadurch gegen weitere Übergriffe sicher zu stellen, daß er<lb/> sich ein möglichst großes Stück bulgarischen Gebietes nimmt, um es so lange als<lb/> Faustpfand zu behalten, bis die Angelegenheit der bulgarischen Union in einem<lb/> mit dem serbischen Interesse vereinbaren Sinne, d. h. durch die Rückkehr zu<lb/> den Bestimmungen von 1878, also durch Beseitigung des völkerrechtswidrigen<lb/> Großbulgarien, erledigt ist. Gelänge das der Konferenz in Konstantinopel nicht,<lb/> so würde Serbiens Wächterrolle weiter notwendig erscheinen und mit ihr die<lb/> Okkupation des etwa eroberten bulgarischen Gebietes. Unterwürfe sich dagegen<lb/> Bulgarien nunmehr der Pforte und erkannte es den ersten Artikel des Berliner<lb/> Vertrages in allen Punkten ohne Ausnahme an, so wäre jene Wächterrolle<lb/> Serbieus nicht mehr erforderlich, und dasselbe müßte logisch erweise dann mich<lb/> die Okkupation aufgeben, zufrieden, einen Vertrag wieder zur Geltung gebracht<lb/> zu haben, den die Großmächte mit ihren Namen unterzeichneten. Natürlich<lb/> glauben wir aber nicht, daß Serbien im Ernste diese Logik vor Augen hat, wir<lb/> nehmen vielmehr als selbstverständlich an, daß es nicht für die Großmächte und<lb/> die Pforte allein gearbeitet und Menschen und Geld geopfert haben, sondern<lb/> einen anständigen Lohn dafür beanspruchen wird, daß es die bulgarischen Vertrags¬<lb/> brecher und Verletzer der Rechte des Sultans zu Paaren getrieben und zu ihrer<lb/> Pflicht zurückgeführt hat, und darin, in der Befriedigung der Ansprüche Ser¬<lb/> biens auf Lohn und Entschädigung, liegt heutzutage die Hauptschwierigkeit der<lb/> Lage. Dürfte die Pforte dem Angstrufe aus Sofia folgen und Ostrumelien<lb/> mit den Balkanpässen militärisch besetzen, so ließe sich Serbien wohl durch eine<lb/> mäßige Grenzberichtigung zufriedenstellen. Daß der Sultan zu einem Ein¬<lb/> märsche in Ostrumelien und zur Wiederherstellung der frühern Ordnung dort<lb/> an sich die Macht hätte, ist nicht zu bezweifeln; denn es stehen ihm jetzt hierzu<lb/> in Rumelien und Macedonien mehr Streitkräfte zur Verfügung, als für diese<lb/> Aufgabe genügen würden. Indes besteht der Widerstand gewisser Mächte gegen<lb/> den Gedanken, diese Aufgabe der Türkei zu übertragen, fort. So aber ist es<lb/> nicht unwahrscheinlich, daß die letztere es gern gesehen hat, als Serbien die<lb/> Niederwerfung der bulgarischen Rebellen übernahm, zumal da dieses in Konstan-<lb/> tinopel erklärt zu haben scheint, es denke bei seinem Kriegszuge nicht an das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0451]
gegen den argen König Milmi um Hilfe an. Wenn man sich in Sofia wirklich
einbildet, Europa werde den Bulgaren gegen das Einschreiten der Serben bei¬
stehen, so wird diese Hoffnung schwerlich in Erfüllung gehen. Auch von der
Pforte hat die bulgarische Negierung keine Hilfe zu hoffen. Dieselbe hat zwar
endlich auf deren Ruf nach Hilfe geantwortet, aber in einer Weise, die für
die Serben günstiger lautet als für deren Gegner. Wenn die Serben ihren
Einmarsch in Bulgarien nicht als Antastung türkischen Gebietes, sondern als
den Versuch, einen türkischen Vasallen zur Raison zu bringen, der sich gegen
seinen Lehnsherrn empört hat, betrachtet wissen wollen, so scheint man das in
Konstantinopel zwar nicht offen zu billigen, aber vorläufig stillschweigend dulden
zu wollen. Enthält sich der König Milan, wie Freunde ihm raten, zunächst
deutlicher Erklärungen, daß er den Zweck im Auge hat, ein Stück von Bul¬
garien zu erobern und dauernd zu behalten, so wird man ihn vermutlich bis
auf weiteres in Bulgarien gewähren lassen. Nachdem sich die Bulgaren gegen
ihn als unbequeme Nachbarn benommen, die serbische Grenzbevölkerung ge¬
schädigt, radikale und dynastische Gegner des Königs beschützt und unterstützt
und schließlich durch die Annexion Ostrumeliens die nationale Zukunft Serbiens
gefährdet haben, ist es nicht unbegreiflich, wenn Milan ein Recht zu haben
meint, sich zuvörderst dadurch gegen weitere Übergriffe sicher zu stellen, daß er
sich ein möglichst großes Stück bulgarischen Gebietes nimmt, um es so lange als
Faustpfand zu behalten, bis die Angelegenheit der bulgarischen Union in einem
mit dem serbischen Interesse vereinbaren Sinne, d. h. durch die Rückkehr zu
den Bestimmungen von 1878, also durch Beseitigung des völkerrechtswidrigen
Großbulgarien, erledigt ist. Gelänge das der Konferenz in Konstantinopel nicht,
so würde Serbiens Wächterrolle weiter notwendig erscheinen und mit ihr die
Okkupation des etwa eroberten bulgarischen Gebietes. Unterwürfe sich dagegen
Bulgarien nunmehr der Pforte und erkannte es den ersten Artikel des Berliner
Vertrages in allen Punkten ohne Ausnahme an, so wäre jene Wächterrolle
Serbieus nicht mehr erforderlich, und dasselbe müßte logisch erweise dann mich
die Okkupation aufgeben, zufrieden, einen Vertrag wieder zur Geltung gebracht
zu haben, den die Großmächte mit ihren Namen unterzeichneten. Natürlich
glauben wir aber nicht, daß Serbien im Ernste diese Logik vor Augen hat, wir
nehmen vielmehr als selbstverständlich an, daß es nicht für die Großmächte und
die Pforte allein gearbeitet und Menschen und Geld geopfert haben, sondern
einen anständigen Lohn dafür beanspruchen wird, daß es die bulgarischen Vertrags¬
brecher und Verletzer der Rechte des Sultans zu Paaren getrieben und zu ihrer
Pflicht zurückgeführt hat, und darin, in der Befriedigung der Ansprüche Ser¬
biens auf Lohn und Entschädigung, liegt heutzutage die Hauptschwierigkeit der
Lage. Dürfte die Pforte dem Angstrufe aus Sofia folgen und Ostrumelien
mit den Balkanpässen militärisch besetzen, so ließe sich Serbien wohl durch eine
mäßige Grenzberichtigung zufriedenstellen. Daß der Sultan zu einem Ein¬
märsche in Ostrumelien und zur Wiederherstellung der frühern Ordnung dort
an sich die Macht hätte, ist nicht zu bezweifeln; denn es stehen ihm jetzt hierzu
in Rumelien und Macedonien mehr Streitkräfte zur Verfügung, als für diese
Aufgabe genügen würden. Indes besteht der Widerstand gewisser Mächte gegen
den Gedanken, diese Aufgabe der Türkei zu übertragen, fort. So aber ist es
nicht unwahrscheinlich, daß die letztere es gern gesehen hat, als Serbien die
Niederwerfung der bulgarischen Rebellen übernahm, zumal da dieses in Konstan-
tinopel erklärt zu haben scheint, es denke bei seinem Kriegszuge nicht an das
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |