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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Kulturärzte.

zusammen, die heute die Bühne beherrschen, man findet kaum je etwas andres
als Handwerkerarbeit, indes bessere Werke in Theaterarchiven verstanden und im
Buchhandel verkümmern.

Es ist immer schlimm, wenn die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk
sich verwischen, weil das Kunsthandwerk in die Kunst sich hinausdrängt. Denn
die Handwerker finden Absatz vor den Künstlern und vermögen, wenn sie geschickt
sind, den Bestellungen kaum zu genügen. Sie würden es wohl fertig bringen,
die Dichtkunst aus der Welt zu treiben, wenn das möglich wäre.




Kulturärzte.
von Rarl Borinski.

ulturärzte -- das ist keine Spezies, das ist die Gattung, das
sind sie alle, alle, und wenn die Bezeichnung als Schlagwort
vielleicht nicht durchgehend treffen sollte, so hat sie wenigstens
den Vorzug, erschöpfend zu sein.

Ein französischer Autor ist es, dem am Krankenbette seines

jüngsten Nvmanhelden die Erkenntnis aufgeht -- eine jener Beobachtungen, die
so glänzend das stereotype Schema und die uniforme Dürftigkeit seiner Geschichten
und Gestalten vergolden --, die Erkenntnis von der Allherrschaft des Arztes in
unserm Jahrhundert. Er sieht ihn in seiner ganzen Glorie, den modernen
Erlöser der leidenden Menschheit, den Heiligen, an den das Zeitalter glaubt,
das Orakel, an dessen Lippen es mit fiebernder Spannung hängt, den Zauberer,
von dem es sein Wohl und Wehe erwartet. Und hier haben wir zugleich das
Problem seiner Macht gelöst: am Krankenbette einer fiebernden, nervösen Zeit,
die hypochondrisch nach ihren Leiden späht, ist er geworden, was er ist, der
Allheiler, der Alldenker, der Kundige, dem nichts Menschliches verborgen, der
"Faust, der sein Gretchen geheiratet und die Luftpumpe erfunden hat," der
wirkliche und alleinige Besitzer des Steins der Weisen, der Kulturarzt.

Wer kennt ihn nicht, den Mann mit dem wohlwollend-verächtlichen Lächeln
und den selbstzufriednem, beschäftigten Angen, die dich einen wohlabgemessenen
Moment durch die goldne Brille fixiren, als wollten sie dir wie der Dr. Minxit
in Tillier's "Onkel Benjamin" auf den Kopf zu sagen, wieviel Stufen der Lebens¬
treppe du hinuntergefallen bist. Du senkst den Blick, du schämst dich deiner
Schwäche. Armer Freund! es ist nicht das Bewußtsein deiner Schwäche, das


Kulturärzte.

zusammen, die heute die Bühne beherrschen, man findet kaum je etwas andres
als Handwerkerarbeit, indes bessere Werke in Theaterarchiven verstanden und im
Buchhandel verkümmern.

Es ist immer schlimm, wenn die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk
sich verwischen, weil das Kunsthandwerk in die Kunst sich hinausdrängt. Denn
die Handwerker finden Absatz vor den Künstlern und vermögen, wenn sie geschickt
sind, den Bestellungen kaum zu genügen. Sie würden es wohl fertig bringen,
die Dichtkunst aus der Welt zu treiben, wenn das möglich wäre.




Kulturärzte.
von Rarl Borinski.

ulturärzte — das ist keine Spezies, das ist die Gattung, das
sind sie alle, alle, und wenn die Bezeichnung als Schlagwort
vielleicht nicht durchgehend treffen sollte, so hat sie wenigstens
den Vorzug, erschöpfend zu sein.

Ein französischer Autor ist es, dem am Krankenbette seines

jüngsten Nvmanhelden die Erkenntnis aufgeht — eine jener Beobachtungen, die
so glänzend das stereotype Schema und die uniforme Dürftigkeit seiner Geschichten
und Gestalten vergolden —, die Erkenntnis von der Allherrschaft des Arztes in
unserm Jahrhundert. Er sieht ihn in seiner ganzen Glorie, den modernen
Erlöser der leidenden Menschheit, den Heiligen, an den das Zeitalter glaubt,
das Orakel, an dessen Lippen es mit fiebernder Spannung hängt, den Zauberer,
von dem es sein Wohl und Wehe erwartet. Und hier haben wir zugleich das
Problem seiner Macht gelöst: am Krankenbette einer fiebernden, nervösen Zeit,
die hypochondrisch nach ihren Leiden späht, ist er geworden, was er ist, der
Allheiler, der Alldenker, der Kundige, dem nichts Menschliches verborgen, der
„Faust, der sein Gretchen geheiratet und die Luftpumpe erfunden hat," der
wirkliche und alleinige Besitzer des Steins der Weisen, der Kulturarzt.

Wer kennt ihn nicht, den Mann mit dem wohlwollend-verächtlichen Lächeln
und den selbstzufriednem, beschäftigten Angen, die dich einen wohlabgemessenen
Moment durch die goldne Brille fixiren, als wollten sie dir wie der Dr. Minxit
in Tillier's „Onkel Benjamin" auf den Kopf zu sagen, wieviel Stufen der Lebens¬
treppe du hinuntergefallen bist. Du senkst den Blick, du schämst dich deiner
Schwäche. Armer Freund! es ist nicht das Bewußtsein deiner Schwäche, das


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[0044] Kulturärzte. zusammen, die heute die Bühne beherrschen, man findet kaum je etwas andres als Handwerkerarbeit, indes bessere Werke in Theaterarchiven verstanden und im Buchhandel verkümmern. Es ist immer schlimm, wenn die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk sich verwischen, weil das Kunsthandwerk in die Kunst sich hinausdrängt. Denn die Handwerker finden Absatz vor den Künstlern und vermögen, wenn sie geschickt sind, den Bestellungen kaum zu genügen. Sie würden es wohl fertig bringen, die Dichtkunst aus der Welt zu treiben, wenn das möglich wäre. Kulturärzte. von Rarl Borinski. ulturärzte — das ist keine Spezies, das ist die Gattung, das sind sie alle, alle, und wenn die Bezeichnung als Schlagwort vielleicht nicht durchgehend treffen sollte, so hat sie wenigstens den Vorzug, erschöpfend zu sein. Ein französischer Autor ist es, dem am Krankenbette seines jüngsten Nvmanhelden die Erkenntnis aufgeht — eine jener Beobachtungen, die so glänzend das stereotype Schema und die uniforme Dürftigkeit seiner Geschichten und Gestalten vergolden —, die Erkenntnis von der Allherrschaft des Arztes in unserm Jahrhundert. Er sieht ihn in seiner ganzen Glorie, den modernen Erlöser der leidenden Menschheit, den Heiligen, an den das Zeitalter glaubt, das Orakel, an dessen Lippen es mit fiebernder Spannung hängt, den Zauberer, von dem es sein Wohl und Wehe erwartet. Und hier haben wir zugleich das Problem seiner Macht gelöst: am Krankenbette einer fiebernden, nervösen Zeit, die hypochondrisch nach ihren Leiden späht, ist er geworden, was er ist, der Allheiler, der Alldenker, der Kundige, dem nichts Menschliches verborgen, der „Faust, der sein Gretchen geheiratet und die Luftpumpe erfunden hat," der wirkliche und alleinige Besitzer des Steins der Weisen, der Kulturarzt. Wer kennt ihn nicht, den Mann mit dem wohlwollend-verächtlichen Lächeln und den selbstzufriednem, beschäftigten Angen, die dich einen wohlabgemessenen Moment durch die goldne Brille fixiren, als wollten sie dir wie der Dr. Minxit in Tillier's „Onkel Benjamin" auf den Kopf zu sagen, wieviel Stufen der Lebens¬ treppe du hinuntergefallen bist. Du senkst den Blick, du schämst dich deiner Schwäche. Armer Freund! es ist nicht das Bewußtsein deiner Schwäche, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/44>, abgerufen am 15.01.2025.