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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Handwerker der Poesie.

Dichter hinreißen würde: alles das sichere Anzeichen klügelnder Mache. Freilich,
was thun, wenn seine Menschen dem Autor nicht im Herzen lebendig sind, wenn
er sie gängeln und leiten muß, statt daß sie ihn führten und unaufhaltsam
ihrem Wesen nachgingen! Klüger find die, welche auf gefährlich intime Dinge
sich garnicht einlassen, Handlung und seelische Entwicklung hübsch in ausge-
fcchruen Gleisen halten, in denen auch unsichere Kutscher ohne Fährlichkeit fahren
können. Die hübschen Randzeichnungen, witzigen Einfälle und die Technik ihrer
klugen Kleinkunst, hoffen sie wohl, würden ihre Sächelchen schon aufputzen, daß
sie neu, eigen und lebendig aussehen. Ihnen allen fehlt energische Konzentration,
Versenkung, Ruhe und innere Folgerichtigkeit. Auch sie sind keine Dichter, son¬
dern Handwerker, von denen Goethe sagt:


Jung' und Alte, Groß und Klein
Gräßliches Gelichter!
Niemand will ein Schuster sein,
Jedermann ein Dichter.

Es Wäre ungerecht, wollten wir unter den Kunsthandwerkern die Beherrscher
des heutigen deutschen Theaters vergessen, die Lustspielfabrikanten und die
"Meister" des Saloustückes. Eine leidlich geschickte, an feinen und plumpen
Künsten und Kniffen reiche Technik müssen wir auch ihnen zugestehen, und daß
sie getreu ihrem Wahlspruche:


Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?

mit eifrigem Bemühen bedacht sind, ihr Publikum zu amüsiren. Die Lehren
der lustigen Person und des Direktors ans dem Vorspiele des "Faust," die den
Dichter dort empören, sind ihr Evangelium, obschon sie auch Dichter sein wollen.
Wie fadenscheinig handwerksmäßig aber die gesamte Kunst dieser Praktiker mit
den hohen Tantiemen ist, beweisen wieder ihre -- Menschen. Rollen, keine
Charaktere, Sachen aus zehnter Hand, uralte Masken aus dem eisernen Be¬
stände der Jahrhunderte; unglaubliche Karikaturen oder ausgeklügelte Geschöpfe,
ohne einen Funken lebendiger Kraft. Der Zuschauer freilich im Theater sieht
die Leute lebendig vor sich. Die Kunst der Schauspieler hilft aus eignen
Mitteln nach, ergänzt, putzt auf und legt Farbe, Zeichnung, Charakter und
persönliches Leben hinein, die der Dichter nicht geben konnte. Um den wahren
Wert dieser "Schöpfungen" abzuschätzen, muß man sie lesen, womöglich ohne
sie zuvor gesehen zu haben, wobei alle Überraschung und Täuschung ausge¬
schlossen ist und alles wahre poetische Leben dem empfänglichen Gemüte sich
offenbaren muß. Es ist erstaunlich, wie trocken, leblos und gemacht hier selbst
Werke von Leuten erscheinen, die, weltberühmt, ans literarischen Rang ernsthaft
Anspruch machen, wie leer selbst diejenigen ihrer Stücke sind, die auf der Bühne
flott, dramatisch und interessant erschienen und, wenigstens ein Jahrzehnt hin¬
durch, andauernde Erfolge errangen- Sucht man die dramatischen Siebensachen


Die Handwerker der Poesie.

Dichter hinreißen würde: alles das sichere Anzeichen klügelnder Mache. Freilich,
was thun, wenn seine Menschen dem Autor nicht im Herzen lebendig sind, wenn
er sie gängeln und leiten muß, statt daß sie ihn führten und unaufhaltsam
ihrem Wesen nachgingen! Klüger find die, welche auf gefährlich intime Dinge
sich garnicht einlassen, Handlung und seelische Entwicklung hübsch in ausge-
fcchruen Gleisen halten, in denen auch unsichere Kutscher ohne Fährlichkeit fahren
können. Die hübschen Randzeichnungen, witzigen Einfälle und die Technik ihrer
klugen Kleinkunst, hoffen sie wohl, würden ihre Sächelchen schon aufputzen, daß
sie neu, eigen und lebendig aussehen. Ihnen allen fehlt energische Konzentration,
Versenkung, Ruhe und innere Folgerichtigkeit. Auch sie sind keine Dichter, son¬
dern Handwerker, von denen Goethe sagt:


Jung' und Alte, Groß und Klein
Gräßliches Gelichter!
Niemand will ein Schuster sein,
Jedermann ein Dichter.

Es Wäre ungerecht, wollten wir unter den Kunsthandwerkern die Beherrscher
des heutigen deutschen Theaters vergessen, die Lustspielfabrikanten und die
„Meister" des Saloustückes. Eine leidlich geschickte, an feinen und plumpen
Künsten und Kniffen reiche Technik müssen wir auch ihnen zugestehen, und daß
sie getreu ihrem Wahlspruche:


Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?

mit eifrigem Bemühen bedacht sind, ihr Publikum zu amüsiren. Die Lehren
der lustigen Person und des Direktors ans dem Vorspiele des „Faust," die den
Dichter dort empören, sind ihr Evangelium, obschon sie auch Dichter sein wollen.
Wie fadenscheinig handwerksmäßig aber die gesamte Kunst dieser Praktiker mit
den hohen Tantiemen ist, beweisen wieder ihre — Menschen. Rollen, keine
Charaktere, Sachen aus zehnter Hand, uralte Masken aus dem eisernen Be¬
stände der Jahrhunderte; unglaubliche Karikaturen oder ausgeklügelte Geschöpfe,
ohne einen Funken lebendiger Kraft. Der Zuschauer freilich im Theater sieht
die Leute lebendig vor sich. Die Kunst der Schauspieler hilft aus eignen
Mitteln nach, ergänzt, putzt auf und legt Farbe, Zeichnung, Charakter und
persönliches Leben hinein, die der Dichter nicht geben konnte. Um den wahren
Wert dieser „Schöpfungen" abzuschätzen, muß man sie lesen, womöglich ohne
sie zuvor gesehen zu haben, wobei alle Überraschung und Täuschung ausge¬
schlossen ist und alles wahre poetische Leben dem empfänglichen Gemüte sich
offenbaren muß. Es ist erstaunlich, wie trocken, leblos und gemacht hier selbst
Werke von Leuten erscheinen, die, weltberühmt, ans literarischen Rang ernsthaft
Anspruch machen, wie leer selbst diejenigen ihrer Stücke sind, die auf der Bühne
flott, dramatisch und interessant erschienen und, wenigstens ein Jahrzehnt hin¬
durch, andauernde Erfolge errangen- Sucht man die dramatischen Siebensachen


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[0043] Die Handwerker der Poesie. Dichter hinreißen würde: alles das sichere Anzeichen klügelnder Mache. Freilich, was thun, wenn seine Menschen dem Autor nicht im Herzen lebendig sind, wenn er sie gängeln und leiten muß, statt daß sie ihn führten und unaufhaltsam ihrem Wesen nachgingen! Klüger find die, welche auf gefährlich intime Dinge sich garnicht einlassen, Handlung und seelische Entwicklung hübsch in ausge- fcchruen Gleisen halten, in denen auch unsichere Kutscher ohne Fährlichkeit fahren können. Die hübschen Randzeichnungen, witzigen Einfälle und die Technik ihrer klugen Kleinkunst, hoffen sie wohl, würden ihre Sächelchen schon aufputzen, daß sie neu, eigen und lebendig aussehen. Ihnen allen fehlt energische Konzentration, Versenkung, Ruhe und innere Folgerichtigkeit. Auch sie sind keine Dichter, son¬ dern Handwerker, von denen Goethe sagt: Jung' und Alte, Groß und Klein Gräßliches Gelichter! Niemand will ein Schuster sein, Jedermann ein Dichter. Es Wäre ungerecht, wollten wir unter den Kunsthandwerkern die Beherrscher des heutigen deutschen Theaters vergessen, die Lustspielfabrikanten und die „Meister" des Saloustückes. Eine leidlich geschickte, an feinen und plumpen Künsten und Kniffen reiche Technik müssen wir auch ihnen zugestehen, und daß sie getreu ihrem Wahlspruche: Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte, Wer machte denn der Mitwelt Spaß? mit eifrigem Bemühen bedacht sind, ihr Publikum zu amüsiren. Die Lehren der lustigen Person und des Direktors ans dem Vorspiele des „Faust," die den Dichter dort empören, sind ihr Evangelium, obschon sie auch Dichter sein wollen. Wie fadenscheinig handwerksmäßig aber die gesamte Kunst dieser Praktiker mit den hohen Tantiemen ist, beweisen wieder ihre — Menschen. Rollen, keine Charaktere, Sachen aus zehnter Hand, uralte Masken aus dem eisernen Be¬ stände der Jahrhunderte; unglaubliche Karikaturen oder ausgeklügelte Geschöpfe, ohne einen Funken lebendiger Kraft. Der Zuschauer freilich im Theater sieht die Leute lebendig vor sich. Die Kunst der Schauspieler hilft aus eignen Mitteln nach, ergänzt, putzt auf und legt Farbe, Zeichnung, Charakter und persönliches Leben hinein, die der Dichter nicht geben konnte. Um den wahren Wert dieser „Schöpfungen" abzuschätzen, muß man sie lesen, womöglich ohne sie zuvor gesehen zu haben, wobei alle Überraschung und Täuschung ausge¬ schlossen ist und alles wahre poetische Leben dem empfänglichen Gemüte sich offenbaren muß. Es ist erstaunlich, wie trocken, leblos und gemacht hier selbst Werke von Leuten erscheinen, die, weltberühmt, ans literarischen Rang ernsthaft Anspruch machen, wie leer selbst diejenigen ihrer Stücke sind, die auf der Bühne flott, dramatisch und interessant erschienen und, wenigstens ein Jahrzehnt hin¬ durch, andauernde Erfolge errangen- Sucht man die dramatischen Siebensachen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/43>, abgerufen am 15.01.2025.