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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die Handwerker der Poesie.

gewandter Ironie und einer gewissen Formbegabung. Die Technik lernen sie
von den besten Meistern des Auslandes und behalten davon, was ihr salon¬
mäßiger Realismus für deutsche Familieublätter und Monatsschriften behalten
kann. Auch sie sind Leute des Augenblicks, die alles nutzbringend verwerten,
was sie sehen, und schnell verwerten. Im Sommer machen sie sechs Wochen
lang eine Rundfahrt durch Amerika, und Weihnachten liegt schon die Novelle
da voll der tiefsten Einsicht in amerikanisches Leben. "Aktualität" ist die Losung
der modernsten dieser Poeten. Europa, d. h. Großstädte und internationale
Reiselinien, ist ihr Schauplatz und die Kreise der "Gesellschaft" ihr Feld. Da
werden Gardeoffiziere, Klubleben, Makao, Kostümfeste, Theaterpremieren durch¬
einander gemischt. Alle gesellschaftlichen Formen werden bis aufs Tüpfelchen
getreu photvgrciphirt. Leutnants müssen in Infinitiven mit Auslassungen und
Wortverstümmelungen nachlässig näseln; Briefe werden peinlich im Format ge¬
druckt, und die Adresse postmäßig genau verzeichnet; nur die Freimarke fehlt,
das Parfüm aber riecht man, denn alles soll sein echtes Parfüm haben wie
bei Zola, dessen Gerüche freilich stärker sind. Wie kurz gingen die alten Er¬
zähler über dies Formelwerk hinweg und wie scharf auf ihr Ziel los: Menschen
zu bilden. Die neuern siud aber innig überzeugt, auf der richtigen Spur zu
sein: ohne die realistischen Tüpfelchen wäre das Bild unecht, und in den treu
gemalten Äußerlichkeiten wollen sie den Geist fangen. Er entschlüpft aber.
Formale Leichtigkeit freilich und ein hübscher, spitzenreicher Stil helfen, den
Eindruck vollendeter Lebenswahrheit hervorzubringen. Und doch! Dieser viel¬
berühmten Kunst, deren alljährlich ein neues Licht von findigen Redaktionen
entdeckt wird, ihr fehlt doch das beste: die Kraft, das innerste persönliche
Leben zu erfassen und darzustellen. Alle Zurüstungen zum Feste des Lebens
sind getroffen, nur die Gäste fehlen, die davon genießen könnten.

Sie kennen Wohl gut die Neigungen, Beschäftigungen und Schwächen der
Menschen, die sie malen, und zeichnen recht hübsch ihr äußeres Gebühren und
ihre kleinen Lächerlichkeiten. In den Künsten naturgetreuer Nachahmung und
geschickter Fabrikation sind sie den guten Nachbarn vom historischen Roman
weit überlegen. Ihre Puppen haben alles: Haare und Augen, Gang und
Stimme, zum Täuschen ähnlich; und können fast alles: konversiren und tanzen;
aber so recht innerlich fühlen und handeln können sie nicht. Täuschung bleibt
doch Täuschung und wird schließlich entdeckt. Im Kernpunkte des Lebens, wo
die dichterische Schöpfung lebendig werden soll, wird der Schein offenbar. Hier
zeigt sich, was ein Gebilde von innen aufquellender Schöpferkraft ist, was ein
Flickwerk technischen Verstandes, aus Nachahmung und Beobachtung von außen
zusammengesetzt. Mancherlei muß da der Leser hinnehmen. Widernatürliche
Gefühlsäußerungen, unmögliche Handlungen an entscheidenden Lebenspunkten,
Entschlüsse, die allen früheren Charaktereigenschaften ins Gesicht schlagen; matte,
gequälte Stimmung an Stellen, wo die Wucht des innern Gefühls den echten


Die Handwerker der Poesie.

gewandter Ironie und einer gewissen Formbegabung. Die Technik lernen sie
von den besten Meistern des Auslandes und behalten davon, was ihr salon¬
mäßiger Realismus für deutsche Familieublätter und Monatsschriften behalten
kann. Auch sie sind Leute des Augenblicks, die alles nutzbringend verwerten,
was sie sehen, und schnell verwerten. Im Sommer machen sie sechs Wochen
lang eine Rundfahrt durch Amerika, und Weihnachten liegt schon die Novelle
da voll der tiefsten Einsicht in amerikanisches Leben. „Aktualität" ist die Losung
der modernsten dieser Poeten. Europa, d. h. Großstädte und internationale
Reiselinien, ist ihr Schauplatz und die Kreise der „Gesellschaft" ihr Feld. Da
werden Gardeoffiziere, Klubleben, Makao, Kostümfeste, Theaterpremieren durch¬
einander gemischt. Alle gesellschaftlichen Formen werden bis aufs Tüpfelchen
getreu photvgrciphirt. Leutnants müssen in Infinitiven mit Auslassungen und
Wortverstümmelungen nachlässig näseln; Briefe werden peinlich im Format ge¬
druckt, und die Adresse postmäßig genau verzeichnet; nur die Freimarke fehlt,
das Parfüm aber riecht man, denn alles soll sein echtes Parfüm haben wie
bei Zola, dessen Gerüche freilich stärker sind. Wie kurz gingen die alten Er¬
zähler über dies Formelwerk hinweg und wie scharf auf ihr Ziel los: Menschen
zu bilden. Die neuern siud aber innig überzeugt, auf der richtigen Spur zu
sein: ohne die realistischen Tüpfelchen wäre das Bild unecht, und in den treu
gemalten Äußerlichkeiten wollen sie den Geist fangen. Er entschlüpft aber.
Formale Leichtigkeit freilich und ein hübscher, spitzenreicher Stil helfen, den
Eindruck vollendeter Lebenswahrheit hervorzubringen. Und doch! Dieser viel¬
berühmten Kunst, deren alljährlich ein neues Licht von findigen Redaktionen
entdeckt wird, ihr fehlt doch das beste: die Kraft, das innerste persönliche
Leben zu erfassen und darzustellen. Alle Zurüstungen zum Feste des Lebens
sind getroffen, nur die Gäste fehlen, die davon genießen könnten.

Sie kennen Wohl gut die Neigungen, Beschäftigungen und Schwächen der
Menschen, die sie malen, und zeichnen recht hübsch ihr äußeres Gebühren und
ihre kleinen Lächerlichkeiten. In den Künsten naturgetreuer Nachahmung und
geschickter Fabrikation sind sie den guten Nachbarn vom historischen Roman
weit überlegen. Ihre Puppen haben alles: Haare und Augen, Gang und
Stimme, zum Täuschen ähnlich; und können fast alles: konversiren und tanzen;
aber so recht innerlich fühlen und handeln können sie nicht. Täuschung bleibt
doch Täuschung und wird schließlich entdeckt. Im Kernpunkte des Lebens, wo
die dichterische Schöpfung lebendig werden soll, wird der Schein offenbar. Hier
zeigt sich, was ein Gebilde von innen aufquellender Schöpferkraft ist, was ein
Flickwerk technischen Verstandes, aus Nachahmung und Beobachtung von außen
zusammengesetzt. Mancherlei muß da der Leser hinnehmen. Widernatürliche
Gefühlsäußerungen, unmögliche Handlungen an entscheidenden Lebenspunkten,
Entschlüsse, die allen früheren Charaktereigenschaften ins Gesicht schlagen; matte,
gequälte Stimmung an Stellen, wo die Wucht des innern Gefühls den echten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/42>, abgerufen am 15.01.2025.