Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Handwerker der Poesie. Alexis desgleichen. Auch Gustav Freytag giebt noch Menschen, wenn auch ihre Die Handwerker der Poesie. Alexis desgleichen. Auch Gustav Freytag giebt noch Menschen, wenn auch ihre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196773"/> <fw type="header" place="top"> Die Handwerker der Poesie.</fw><lb/> <p xml:id="ID_87" prev="#ID_86" next="#ID_88"> Alexis desgleichen. Auch Gustav Freytag giebt noch Menschen, wenn auch ihre<lb/> Gesichter nicht allznkräftig sind und ihre Züge in der absteigenden Ahuenreihc<lb/> sich wiederholen. Im „Etkchardt" sind wenigstens die Nebenfiguren humoristisch<lb/> und zart als zierliche Nandzeichnungen hübsch ausgeführt; auch Dcihn kann<lb/> Menschen bilden — wenn er will und sich Zeit läßt. Aber weiter! Ich will<lb/> Ebers nichts unverdient Übles nachsagen, aber in seinen archäologischen Romanen<lb/> hat er nur einmal eine Anwandlung von dichterischem Feuer gespürt, in Homo<lb/> Lulu. Im übrigen kann er als Typus einer Schaar von Nachtretern gelten,<lb/> die an dichterischem Unvermögen ihm ungefähr gleich, an technischem Geschick<lb/> meist unterlegen, die verschiednen Länder und Jahrhunderte ausbeuten. Mit<lb/> Schulexerzitieu, nach Art der „Königstochter," fängt diese mühsame Gelehrtcn-<lb/> dichtung an. Zerfahren in der Form, planlos im Aufbau, ungeschickte Verar-<lb/> beitung eines ehrwürdigen Historikers mit elleulangweiligcn Beschreibungen<lb/> gleichgiltiger Umstände, Puppen, keine Menschen, wichtigthueude kostümirte<lb/> Puppen, die im Stelzengang endloser Unterhaltungen über auserlesene Gemein¬<lb/> plätze Schulchrien reden, ein rhetorisch aufgestutzter, kraftlos glatter Stil, nichts<lb/> keck, kurz und knapp gestaltet, alles schwammig umschrieben — breitgctretner<lb/> Quark. Das einzige, was echt ist, sind unterm Text oder hinten im Anhang<lb/> gelehrte Anmerkungen, die den Leser von der Berechtigung des „Dichters" über¬<lb/> zeugen sollen, ihm aus Herodot und ägyptischer Archäologie ein Zeitbild zu<lb/> malen, „das man wohl eine Dichtung nennen darf." Aber mit der Übung<lb/> und den Honoraren wächst die Kunst, denn die Technik lernt sich so gut wie<lb/> ein Handwerk. Man lernt straffen Aufbau, spannende Situationen finden, wirk¬<lb/> same Kontraste, bewegte Zeiten voll Sturm und Drang, Leute, deren Namen<lb/> schon einen Schimmer von sich strahlen, alle die kleinen Handgriffe der Mache<lb/> lernt man — und die historische Treue giebt man nicht auf. Man bildet un¬<lb/> mögliche Worte und affektirt einen Neckenstil in der Urzeit, spricht von „Gugel,"<lb/> „Dnpfing," „Scheckeurvck" und „Lentner" wie in einer Kostümgeschichte, wenn<lb/> man vom Mittelalter schreibt, und wirft mit „Quinternen," „Nybeben," „Täm-<lb/> merlin" um sich, falls sich ein Stadtpfeifer zeigt; beruft sich bei der Schilderung<lb/> geschichtlicher Ereignisse ehrlich auf die Stadtchronik, aus der man hübsch<lb/> klingende, naive Sätze anführt, und schildert die Zurüstungen eines Gastmahls<lb/> treu nach den Angaben unverdächtiger, sachkundiger Zeitgenossen. Gelehrte Ab¬<lb/> schweifungen und humoristische Vergleichungen mit der Gegenwart dürfen uicht<lb/> fehle«?. Die Menschen sind Nebensache wie früher, weder tief noch scharf, in<lb/> verschwommenen Umrissen andern Dichtern und der Geschichte nachgcstammclt,<lb/> aber doch nach guten Vorbildern leidlich korrekt gezeichnet, geschickte Nach¬<lb/> ahmungen, die Unkundigen für echt gelten. Zu Herzen freilich geht nichts so<lb/> recht, trotz der packendsten Lagen und der gefühlvollsten Szenen. Genealogistcn<lb/> aber können über Stammbaunwerzweignngen und Fainiliengestchter belehrende<lb/> Studien anstellen, und kriminalistisch gesinnte Leute mit gutem Gedächtnis</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
Die Handwerker der Poesie.
Alexis desgleichen. Auch Gustav Freytag giebt noch Menschen, wenn auch ihre
Gesichter nicht allznkräftig sind und ihre Züge in der absteigenden Ahuenreihc
sich wiederholen. Im „Etkchardt" sind wenigstens die Nebenfiguren humoristisch
und zart als zierliche Nandzeichnungen hübsch ausgeführt; auch Dcihn kann
Menschen bilden — wenn er will und sich Zeit läßt. Aber weiter! Ich will
Ebers nichts unverdient Übles nachsagen, aber in seinen archäologischen Romanen
hat er nur einmal eine Anwandlung von dichterischem Feuer gespürt, in Homo
Lulu. Im übrigen kann er als Typus einer Schaar von Nachtretern gelten,
die an dichterischem Unvermögen ihm ungefähr gleich, an technischem Geschick
meist unterlegen, die verschiednen Länder und Jahrhunderte ausbeuten. Mit
Schulexerzitieu, nach Art der „Königstochter," fängt diese mühsame Gelehrtcn-
dichtung an. Zerfahren in der Form, planlos im Aufbau, ungeschickte Verar-
beitung eines ehrwürdigen Historikers mit elleulangweiligcn Beschreibungen
gleichgiltiger Umstände, Puppen, keine Menschen, wichtigthueude kostümirte
Puppen, die im Stelzengang endloser Unterhaltungen über auserlesene Gemein¬
plätze Schulchrien reden, ein rhetorisch aufgestutzter, kraftlos glatter Stil, nichts
keck, kurz und knapp gestaltet, alles schwammig umschrieben — breitgctretner
Quark. Das einzige, was echt ist, sind unterm Text oder hinten im Anhang
gelehrte Anmerkungen, die den Leser von der Berechtigung des „Dichters" über¬
zeugen sollen, ihm aus Herodot und ägyptischer Archäologie ein Zeitbild zu
malen, „das man wohl eine Dichtung nennen darf." Aber mit der Übung
und den Honoraren wächst die Kunst, denn die Technik lernt sich so gut wie
ein Handwerk. Man lernt straffen Aufbau, spannende Situationen finden, wirk¬
same Kontraste, bewegte Zeiten voll Sturm und Drang, Leute, deren Namen
schon einen Schimmer von sich strahlen, alle die kleinen Handgriffe der Mache
lernt man — und die historische Treue giebt man nicht auf. Man bildet un¬
mögliche Worte und affektirt einen Neckenstil in der Urzeit, spricht von „Gugel,"
„Dnpfing," „Scheckeurvck" und „Lentner" wie in einer Kostümgeschichte, wenn
man vom Mittelalter schreibt, und wirft mit „Quinternen," „Nybeben," „Täm-
merlin" um sich, falls sich ein Stadtpfeifer zeigt; beruft sich bei der Schilderung
geschichtlicher Ereignisse ehrlich auf die Stadtchronik, aus der man hübsch
klingende, naive Sätze anführt, und schildert die Zurüstungen eines Gastmahls
treu nach den Angaben unverdächtiger, sachkundiger Zeitgenossen. Gelehrte Ab¬
schweifungen und humoristische Vergleichungen mit der Gegenwart dürfen uicht
fehle«?. Die Menschen sind Nebensache wie früher, weder tief noch scharf, in
verschwommenen Umrissen andern Dichtern und der Geschichte nachgcstammclt,
aber doch nach guten Vorbildern leidlich korrekt gezeichnet, geschickte Nach¬
ahmungen, die Unkundigen für echt gelten. Zu Herzen freilich geht nichts so
recht, trotz der packendsten Lagen und der gefühlvollsten Szenen. Genealogistcn
aber können über Stammbaunwerzweignngen und Fainiliengestchter belehrende
Studien anstellen, und kriminalistisch gesinnte Leute mit gutem Gedächtnis
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