Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Vie Handwerker der Poesie.

fühlend klar erkennt und in seinen Werken nachbilden kann, ist Dichter. Eines
solchen Dichters Werke nennt man billig Schöpfungen,

Von diesen Höhen müssen wir herabsteigen, wenn wir uns der Betrachtung
eines Schwarmes heutiger "Dichter" zuwenden. Nicht das zwar ist ihnen an¬
zurechnen, daß sie keine Riesen sind, wohl aber, daß ihre Erzeugnisse nicht von
fern an das Wesen der echten Dichtung streifen. Die Flut ihrer Hervorbringungen
verwirrt die Menge derart, daß sie das Verdienst echter Dichter zu würdigen
überhaupt verlernt.

Im Vorbeigehen nur sei es gesagt, daß auch der Lhriker, der auscheinend
nichts als seine eigne Persönlichkeit zu Tage fördert, Tiefblick in fremde Seelen
und Menschenkenntnis bedarf. Dichter sind die Dutzendpoeten in Goldschnitt
nicht, die in Reimen, welche die Sprache für sie dichtet, nachempfundene Sachen
aus zweiter, dritter Hand noch einmal bringen, hinter Heine und Geibel drein
von Lenz und Liebe zwitschern, grün, jung und unerfahren, weder sich selbst
kennend noch die Welt. Bestenfalls singen sie ein paar lebendige Liedchen in
einem Ton, dem einzigen, der ihr eigen ist, dünn und verklingend wie ihr Wesen.
Goethe, der größte Lyriker, war auch der weltlüudigste von früh auf, der
Menschenkenner und dämonische Menschenbeherrscher mit dem "Wvlfsblick," der
den Leuten das Herz aus dem Leibe zog.

Dringlicher ist die Not in der erzählenden Dichtung, auf deren Gebieten
mit dem Bedürfnis und der Lesewut die Zahl der "Dichter" ins Ungemessene
gewachsen ist. Zwei Mvderichtungen greifen wir heraus, deren Vertreter, bei
der Menge in höchster Gunst stehend, vou dichterischer Kunst sehr wenig, vom
Handwerk sehr viel verspüren lassen, beide bei allen Gegensätzen der Stoffe nud
Anschauungen durch einen gemeinsamen Zug der Behandlung verbunden, da
beide durch äußere Technik den Maugel an innerem poetischen Leben zu ver¬
decken suchein die realistische Erzählung aus dem modernsten Leben und den
historischen Roman, der heut mit Vorliebe in Urzeiten webt. Exakt sind beide.
Beide studiren an der Quelle und aus Quellen mit Mühe und Fleiß das Leben,
das sie schildern wollen, lind beide laufen Gefahr, über den exakten Äußerlich¬
keiten das innere Leben zu verlieren, um deswillen sie zunächst jenen Formen
nachspüren. Beide verflachen unter den Händen von Leuten, die wohl gute
Beobachter, emsige Quellenforscher, sorgsame Kleinmaler, aber nicht Dichter sind
mit innerer Schaffenskraft, die Menschcncharaktere hervortreibt. Handwerks¬
mäßige Technik tritt an Stelle der Kunst. An sich steckt wohl in der Poesie
weniger Handwerk als in andern Künsten, sinkt aber der Dichter einmal zum
Handwerk, so wird er handwerksmäßiger als die andern Künstler, in deren rein
technischer Arbeit noch ein gut Teil Mnstlerischeu Wertes steckt-

Dem historischen Roman droht diese Gefahr zunächst. Seine Begründer
nud ersten Meister hatten doch ein achtungswertes Maß dichterischer Kraft in
die Wagschale zu legen. An Walter Scott erinnern wir nur, an Willibald


Vie Handwerker der Poesie.

fühlend klar erkennt und in seinen Werken nachbilden kann, ist Dichter. Eines
solchen Dichters Werke nennt man billig Schöpfungen,

Von diesen Höhen müssen wir herabsteigen, wenn wir uns der Betrachtung
eines Schwarmes heutiger „Dichter" zuwenden. Nicht das zwar ist ihnen an¬
zurechnen, daß sie keine Riesen sind, wohl aber, daß ihre Erzeugnisse nicht von
fern an das Wesen der echten Dichtung streifen. Die Flut ihrer Hervorbringungen
verwirrt die Menge derart, daß sie das Verdienst echter Dichter zu würdigen
überhaupt verlernt.

Im Vorbeigehen nur sei es gesagt, daß auch der Lhriker, der auscheinend
nichts als seine eigne Persönlichkeit zu Tage fördert, Tiefblick in fremde Seelen
und Menschenkenntnis bedarf. Dichter sind die Dutzendpoeten in Goldschnitt
nicht, die in Reimen, welche die Sprache für sie dichtet, nachempfundene Sachen
aus zweiter, dritter Hand noch einmal bringen, hinter Heine und Geibel drein
von Lenz und Liebe zwitschern, grün, jung und unerfahren, weder sich selbst
kennend noch die Welt. Bestenfalls singen sie ein paar lebendige Liedchen in
einem Ton, dem einzigen, der ihr eigen ist, dünn und verklingend wie ihr Wesen.
Goethe, der größte Lyriker, war auch der weltlüudigste von früh auf, der
Menschenkenner und dämonische Menschenbeherrscher mit dem „Wvlfsblick," der
den Leuten das Herz aus dem Leibe zog.

Dringlicher ist die Not in der erzählenden Dichtung, auf deren Gebieten
mit dem Bedürfnis und der Lesewut die Zahl der „Dichter" ins Ungemessene
gewachsen ist. Zwei Mvderichtungen greifen wir heraus, deren Vertreter, bei
der Menge in höchster Gunst stehend, vou dichterischer Kunst sehr wenig, vom
Handwerk sehr viel verspüren lassen, beide bei allen Gegensätzen der Stoffe nud
Anschauungen durch einen gemeinsamen Zug der Behandlung verbunden, da
beide durch äußere Technik den Maugel an innerem poetischen Leben zu ver¬
decken suchein die realistische Erzählung aus dem modernsten Leben und den
historischen Roman, der heut mit Vorliebe in Urzeiten webt. Exakt sind beide.
Beide studiren an der Quelle und aus Quellen mit Mühe und Fleiß das Leben,
das sie schildern wollen, lind beide laufen Gefahr, über den exakten Äußerlich¬
keiten das innere Leben zu verlieren, um deswillen sie zunächst jenen Formen
nachspüren. Beide verflachen unter den Händen von Leuten, die wohl gute
Beobachter, emsige Quellenforscher, sorgsame Kleinmaler, aber nicht Dichter sind
mit innerer Schaffenskraft, die Menschcncharaktere hervortreibt. Handwerks¬
mäßige Technik tritt an Stelle der Kunst. An sich steckt wohl in der Poesie
weniger Handwerk als in andern Künsten, sinkt aber der Dichter einmal zum
Handwerk, so wird er handwerksmäßiger als die andern Künstler, in deren rein
technischer Arbeit noch ein gut Teil Mnstlerischeu Wertes steckt-

Dem historischen Roman droht diese Gefahr zunächst. Seine Begründer
nud ersten Meister hatten doch ein achtungswertes Maß dichterischer Kraft in
die Wagschale zu legen. An Walter Scott erinnern wir nur, an Willibald


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196772"/>
          <fw type="header" place="top"> Vie Handwerker der Poesie.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_82" prev="#ID_81"> fühlend klar erkennt und in seinen Werken nachbilden kann, ist Dichter. Eines<lb/>
solchen Dichters Werke nennt man billig Schöpfungen,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_83"> Von diesen Höhen müssen wir herabsteigen, wenn wir uns der Betrachtung<lb/>
eines Schwarmes heutiger &#x201E;Dichter" zuwenden. Nicht das zwar ist ihnen an¬<lb/>
zurechnen, daß sie keine Riesen sind, wohl aber, daß ihre Erzeugnisse nicht von<lb/>
fern an das Wesen der echten Dichtung streifen. Die Flut ihrer Hervorbringungen<lb/>
verwirrt die Menge derart, daß sie das Verdienst echter Dichter zu würdigen<lb/>
überhaupt verlernt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84"> Im Vorbeigehen nur sei es gesagt, daß auch der Lhriker, der auscheinend<lb/>
nichts als seine eigne Persönlichkeit zu Tage fördert, Tiefblick in fremde Seelen<lb/>
und Menschenkenntnis bedarf. Dichter sind die Dutzendpoeten in Goldschnitt<lb/>
nicht, die in Reimen, welche die Sprache für sie dichtet, nachempfundene Sachen<lb/>
aus zweiter, dritter Hand noch einmal bringen, hinter Heine und Geibel drein<lb/>
von Lenz und Liebe zwitschern, grün, jung und unerfahren, weder sich selbst<lb/>
kennend noch die Welt. Bestenfalls singen sie ein paar lebendige Liedchen in<lb/>
einem Ton, dem einzigen, der ihr eigen ist, dünn und verklingend wie ihr Wesen.<lb/>
Goethe, der größte Lyriker, war auch der weltlüudigste von früh auf, der<lb/>
Menschenkenner und dämonische Menschenbeherrscher mit dem &#x201E;Wvlfsblick," der<lb/>
den Leuten das Herz aus dem Leibe zog.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_85"> Dringlicher ist die Not in der erzählenden Dichtung, auf deren Gebieten<lb/>
mit dem Bedürfnis und der Lesewut die Zahl der &#x201E;Dichter" ins Ungemessene<lb/>
gewachsen ist. Zwei Mvderichtungen greifen wir heraus, deren Vertreter, bei<lb/>
der Menge in höchster Gunst stehend, vou dichterischer Kunst sehr wenig, vom<lb/>
Handwerk sehr viel verspüren lassen, beide bei allen Gegensätzen der Stoffe nud<lb/>
Anschauungen durch einen gemeinsamen Zug der Behandlung verbunden, da<lb/>
beide durch äußere Technik den Maugel an innerem poetischen Leben zu ver¬<lb/>
decken suchein die realistische Erzählung aus dem modernsten Leben und den<lb/>
historischen Roman, der heut mit Vorliebe in Urzeiten webt. Exakt sind beide.<lb/>
Beide studiren an der Quelle und aus Quellen mit Mühe und Fleiß das Leben,<lb/>
das sie schildern wollen, lind beide laufen Gefahr, über den exakten Äußerlich¬<lb/>
keiten das innere Leben zu verlieren, um deswillen sie zunächst jenen Formen<lb/>
nachspüren. Beide verflachen unter den Händen von Leuten, die wohl gute<lb/>
Beobachter, emsige Quellenforscher, sorgsame Kleinmaler, aber nicht Dichter sind<lb/>
mit innerer Schaffenskraft, die Menschcncharaktere hervortreibt. Handwerks¬<lb/>
mäßige Technik tritt an Stelle der Kunst. An sich steckt wohl in der Poesie<lb/>
weniger Handwerk als in andern Künsten, sinkt aber der Dichter einmal zum<lb/>
Handwerk, so wird er handwerksmäßiger als die andern Künstler, in deren rein<lb/>
technischer Arbeit noch ein gut Teil Mnstlerischeu Wertes steckt-</p><lb/>
          <p xml:id="ID_86" next="#ID_87"> Dem historischen Roman droht diese Gefahr zunächst. Seine Begründer<lb/>
nud ersten Meister hatten doch ein achtungswertes Maß dichterischer Kraft in<lb/>
die Wagschale zu legen.  An Walter Scott erinnern wir nur, an Willibald</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Vie Handwerker der Poesie. fühlend klar erkennt und in seinen Werken nachbilden kann, ist Dichter. Eines solchen Dichters Werke nennt man billig Schöpfungen, Von diesen Höhen müssen wir herabsteigen, wenn wir uns der Betrachtung eines Schwarmes heutiger „Dichter" zuwenden. Nicht das zwar ist ihnen an¬ zurechnen, daß sie keine Riesen sind, wohl aber, daß ihre Erzeugnisse nicht von fern an das Wesen der echten Dichtung streifen. Die Flut ihrer Hervorbringungen verwirrt die Menge derart, daß sie das Verdienst echter Dichter zu würdigen überhaupt verlernt. Im Vorbeigehen nur sei es gesagt, daß auch der Lhriker, der auscheinend nichts als seine eigne Persönlichkeit zu Tage fördert, Tiefblick in fremde Seelen und Menschenkenntnis bedarf. Dichter sind die Dutzendpoeten in Goldschnitt nicht, die in Reimen, welche die Sprache für sie dichtet, nachempfundene Sachen aus zweiter, dritter Hand noch einmal bringen, hinter Heine und Geibel drein von Lenz und Liebe zwitschern, grün, jung und unerfahren, weder sich selbst kennend noch die Welt. Bestenfalls singen sie ein paar lebendige Liedchen in einem Ton, dem einzigen, der ihr eigen ist, dünn und verklingend wie ihr Wesen. Goethe, der größte Lyriker, war auch der weltlüudigste von früh auf, der Menschenkenner und dämonische Menschenbeherrscher mit dem „Wvlfsblick," der den Leuten das Herz aus dem Leibe zog. Dringlicher ist die Not in der erzählenden Dichtung, auf deren Gebieten mit dem Bedürfnis und der Lesewut die Zahl der „Dichter" ins Ungemessene gewachsen ist. Zwei Mvderichtungen greifen wir heraus, deren Vertreter, bei der Menge in höchster Gunst stehend, vou dichterischer Kunst sehr wenig, vom Handwerk sehr viel verspüren lassen, beide bei allen Gegensätzen der Stoffe nud Anschauungen durch einen gemeinsamen Zug der Behandlung verbunden, da beide durch äußere Technik den Maugel an innerem poetischen Leben zu ver¬ decken suchein die realistische Erzählung aus dem modernsten Leben und den historischen Roman, der heut mit Vorliebe in Urzeiten webt. Exakt sind beide. Beide studiren an der Quelle und aus Quellen mit Mühe und Fleiß das Leben, das sie schildern wollen, lind beide laufen Gefahr, über den exakten Äußerlich¬ keiten das innere Leben zu verlieren, um deswillen sie zunächst jenen Formen nachspüren. Beide verflachen unter den Händen von Leuten, die wohl gute Beobachter, emsige Quellenforscher, sorgsame Kleinmaler, aber nicht Dichter sind mit innerer Schaffenskraft, die Menschcncharaktere hervortreibt. Handwerks¬ mäßige Technik tritt an Stelle der Kunst. An sich steckt wohl in der Poesie weniger Handwerk als in andern Künsten, sinkt aber der Dichter einmal zum Handwerk, so wird er handwerksmäßiger als die andern Künstler, in deren rein technischer Arbeit noch ein gut Teil Mnstlerischeu Wertes steckt- Dem historischen Roman droht diese Gefahr zunächst. Seine Begründer nud ersten Meister hatten doch ein achtungswertes Maß dichterischer Kraft in die Wagschale zu legen. An Walter Scott erinnern wir nur, an Willibald

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/38>, abgerufen am 15.01.2025.