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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Gin Jesuit über Goethe.

Am schlimmsten kommt natürlich bei diesem Splitterrichter das Verhältnis
zu Frau von Stein weg und alle diejenigen, die es der Wahrheit gemäß dar¬
gestellt haben. Vaumgartner hält sich mir gegenüber nicht an meine neuesten Dar¬
stellungen, sondern an eine Äußerung, die ich vor mehr als zwanzig Jahren bei
andrer Gelegenheit gethan, „dieses mystische Verhältnis habe an die äußerste
Grenze des Erlaubten gestreift, ohne eigentlich sittenlos zu sein." Diese Bemerkung
empört ihn so, daß er die glühende Schale sittlicher Entrüstung über mich und
Goethe ausgießt, dem er alle Sünden, die er in seinem phantastischen Groll
sich summirt hat, kapuzinermäßig vorhält, um zu beweisen, daß ein solcher
Mensch unmöglich in dem vertraulichen Verhältnisse die Reinheit und Heiligkeit
des Herzens habe bewahren können, wie sie selbst die Heiligen bei aller Wach¬
samkeit als eine große Gnade von Gott erfleht hätten. Jeder vernünftige
Mensch wisse, daß von der Gefahr unreiner Liebe nur die Flucht vor der Gelegen¬
heit retten könne. Ich bedaure, daß Vaumgartner die Heiligengeschichten so
schlecht kennt und sich von einem Laien sagen lassen muß, daß dort die Be¬
siegung der stärksten sinnlichen Versuchungen gar keine Seltenheit ist. Die Ver¬
suchungen des heiligen Antonius stellte man selbst in Weimar schon im Februar
1776, nicht, wie Vaumgartner berichtet, auf dem Theater, sondern auf einer
Redoute dar. Aber nicht bloß Heilige haben solche Versuchungen siegreich be¬
standen, und kennte Vaumgartner Goethe besser, als sein Haß es ihm möglich
macht, Goethes starke Entsagungskraft könnte ihm kein Geheimnis geblieben sein.
Wie armselig muß sein Glaube sein, wenn er behauptet, eine solche Besiegung
der gierigen Leidenschaft überstiege alles bisher Dagewesene, wäre ein Wunder.
Ja er läßt sich zu dem geschmacklosen Ausrufe hinreißen: „Heinrich Düntzer!
mir graues vor dir!" Diese Gretchenstimme des von Haß und Groll geschwol¬
lenen Jesuiteupaters, der mich schon in den Krallen des Satans sieht, ist ur¬
komisch. Doch wenden wir uns von dieser Komödie wieder zur Sache, so hat
Vaumgartner meine aus dem Zusammenhang gerissenen Worte zu seinem Zwecke
verändert; er läßt mich sagen, Goethe habe „zehn Jahre lang an den äußersten
Grenzen des Erlaubten herumgeschmachtet." Ich sprach nur vom Jahre 1776,
und meine Behauptung war gegen eine Äußerung Gruppes gerichtet; später
beruhigte sich der ungestüme Drang, und seit dem Jahre 1781 erfreuten sich
die Liebenden des Glückes reinsten Vertrauens und innigster Anhänglichkeit,
ohne sich eines Vergehens gegen die Heiligkeit der Ehe schuldig gemacht zu
haben. Wozu sich ein Jesuitenpater im Angesichts der gebildeten Welt hinreißen
lassen kann, zeigt die Äußerung: „Weit entfernt über Düntzers persönliche
Schuld oder Unschuld richten zu wollen, darüber mag er Gott Rede stehen."
Ich hoffe mein redliches Streben im Dienste der Wissenschaft vor dem Gotte
der Wahrheit besser verantworten zu können, als der Jesuit seine gewissenlose
Entstellung inküorsin eoolosms Zlormin. Doch noch einige Blumen möchten
wir aus diesem verzauberten Garten pflücken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/332>, abgerufen am 24.01.2025.