Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Auf dem Stilfser Joch. Das Wort verrauscht schneller, als Sie glauben, schon in der letzten Wie wenige aber auch, die sich berufen fühlen, sind dazu auserwählt, den Sie wühlen stets mit Geschick die Schattenseiten des Bildes, und in welcher Dem Künstler steht vor der Wahl des Berufes das Urteil bewährter Meister Wer Großes will, muß auch Großes einsetzen, und der Weg zur Unsterblich¬ Wer sich von vornherein die Unsterblichkeit als Ziel setzt, wird nur selten Die Tafel wurde aufgehoben und Vroni von Harald in den Saal geführt, Grenzboten IV, 1385. zg
Auf dem Stilfser Joch. Das Wort verrauscht schneller, als Sie glauben, schon in der letzten Wie wenige aber auch, die sich berufen fühlen, sind dazu auserwählt, den Sie wühlen stets mit Geschick die Schattenseiten des Bildes, und in welcher Dem Künstler steht vor der Wahl des Berufes das Urteil bewährter Meister Wer Großes will, muß auch Großes einsetzen, und der Weg zur Unsterblich¬ Wer sich von vornherein die Unsterblichkeit als Ziel setzt, wird nur selten Die Tafel wurde aufgehoben und Vroni von Harald in den Saal geführt, Grenzboten IV, 1385. zg
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Auf dem Stilfser Joch.
Das Wort verrauscht schneller, als Sie glauben, schon in der letzten
Szene von Maria Stuart oder der Jungfrau von Orleans wird die Garderobe
zusammengesucht, und wenn der letzte Vers verhallt ist, drängt sich das Volk
an die Ausgänge, um so schnell als möglich in's Wirtshaus und an den Bier¬
tisch zu gelangen.
Wie wenige aber auch, die sich berufen fühlen, sind dazu auserwählt, den
Hervengestalten unsrer großen Dichter lebendigen Odem einzuflößen! Unglücklich,
wer sich in seinem Talent getäuscht, in seinen Hoffnungen betrogen hat, von
widrigem Geschick verfolgt, statt Johanna von Orleans oder Julia hundertmale
im Bettelstndenten und zweihnndertmale in einer Moser-Schönthanschen Posse
Abend für Abend vor dem gleichen geistesarmen Publikum auftreten muß,
Sie wühlen stets mit Geschick die Schattenseiten des Bildes, und in welcher
Kunst sind solche nicht zu finden! Sinken nicht mich die Maler zu Illustratoren
von Witzblättern und Zeitungen herab? und doch würden Sie niemand, der den
innern Ruf in sich fühlt, davon abbringen können, Maler zu werden.
Dem Künstler steht vor der Wahl des Berufes das Urteil bewährter Meister
zu Gebote, deren unparteiischen Rat er, wenn er verständig ist, einholen und be¬
folgen wird. Aber wenn Ihnen heute bei Ihrem dilettanteuhaftcn Spiele die Zu¬
hörerschaft, die Ihnen wohlwollend gesinnt ist, zujubelt, wird die Menge, die un¬
berechenbare und wankelmütige, der Sie unbekannt gegenübertreten, ebenso urteilen?
Wer Großes will, muß auch Großes einsetzen, und der Weg zur Unsterblich¬
keit ist steil und dornig.
Wer sich von vornherein die Unsterblichkeit als Ziel setzt, wird nur selten
zu ihr gelangen. In seinem Kreise bleibe jeder und thue da seine Pflicht,
dann hat er schon das Seinige zu der großen Idee der Vervollkommnung
gethan. Das große Werk setzt sich aus einzelnen kleinen Teilen zusammen.
Heute ist die Bildung so verbreitet, die Kunst so allgemein, der Wettkampf so
groß, daß sich schwerer als in frühern Zeiten der Einzelne aus der Masse
hervorhebt. Wer vor dreißig und vierzig Jahren ein Buch geschrieben und sich
ein ewiges Andenken bei den Menschen zu gründen geglaubt hat, dessen Werk
verstaubt heute in dem dunkeln Winkel eines Antiquariats. Und das Bild
manches Künstlers, den seine Zeit geschätzt hat, hängt an der Wand eines
Vierkellers, unbeachtet und vergessen. Wird es uns anders gehen? Wenn ich mir
dagegen unsern Wirt ansehe, der — wie man mir sagt — den ganzen Tag
nnr zwischen Essen und Trinken, Schlafen und Nichtsthun abwechselt, aber mit
Genugthuung auf seine blühende Kinderschaar herabsehen kann, die ihm die Gattin
in so vollkommener Weise erzieht, dann kommt es mir so vor, als ob er mehr
für die Unsterblichkeit gethan habe als viele seiner Gäste, die sich als Geistes¬
heroen schon jetzt denken oder für die Zukunft träumen.
Die Tafel wurde aufgehoben und Vroni von Harald in den Saal geführt,
in welchem die Musik zum Tanze bereits begonnen hatte.
Grenzboten IV, 1385. zg
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