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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Auf dem Stilfser Joch.

Wie tief beklage ich Ihren Irrtum, verehrtes Fräulein! Wie sehr Sie es
auch verneinen, so kennen Sie doch das Leben nicht und den Kampf, den es
gerade den Besten bereitet. Hier würde der Mann oft unterliegen müssen, wenn
er nicht eine treue Bundesgenossin an der Frau Hütte, mit der er Rat und
Meinung austauscht, die ihm da tragen hilft, wo sie auch nicht thätig eingreifen
kann, deren freundliches Wort die Falten aus seiner Stirn streicht, deren Lächeln
dem Verzagten neuen Mut und Zuversicht einflößt, die nicht seine Gespielin,
sondern, wie deutsches Recht und deutsche Sitte es fordert, seine Genossin ist.

Das mag sehr idhllisch sein, und Sie sind Künstler genug, um ein solches
Idyll auch ohne Farben in verlockender Gestalt auszuschmücken. Aber wir müssen
doch auch jeder Individualität gerecht werden. Es mag die Mehrzahl der
Mädchen für einen solche" Beruf passen und in ihm ihr Glück finden, aber
man muß doch auch andern Raum gönnen, die ans dem engern Kreise in die
Weite streben und den Drang in sich fühlen, für größere Zwecke zu wirken.
Da sehe ich uun freilich, daß in unsern Tagen, wo die Männer mit Eifersucht
alle Plätze besetzt halten, für die Frauen kein andrer größerer Wirkungskreis
gegeben ist als die Schaubühne.

Sie sind noch viel zu sehr, mein bestes Fräulein, von den Idealen Schillers
befangen, um sich von der Bühne ans einen großen und veredelnden Einfluß
auf das Volk zu denken. Aber schon Goethe, der dem Theater um vieles näher
stand als sein mehr idealer Freund, gab zuletzt im Zorn und Unwillen die
undankbare Aufgabe, eine Musteranstalt zu schaffen, auf. Ich will uicht davon
reden, mit welche" Intriguen und Eifersüchteleien hinter jenen Brettern, welche
die Welt bedeuten, gekämpft wird, und wie große Enttäuschungen gerade diejenigen
erleben, welche, von dem Inhalt des Dichterwerkes ergriffen, dnrch den Schein
der Darstellung sich verlocken ließen und Schauspieler wurden. Aber längst ist
die Zeit vorüber, in welcher von der Bühne aus auf die Sitten und die Bil¬
dung des Volkes gewirkt wurde, und für diese Zeit ist auch heute eine Aufer¬
stehung nicht mehr möglich. Heute wird Wissen und Tugend an den Beispielen
unsrer großen Männer in den Hörsälen der Schulen, aus den Büchern und
aus unserm reich bewegten öffentlichen Leben geschöpft -- ich lasse dabei einmal
die Kanzel aus meiner Betrachtung --, dagegen geht man heute in's Theater,
niemals um zu lernen, selten um sich zu erholen, aber immer um sich zu Ver¬
gnügen.

Doch auch um sich zu begeistern und sich aus dem gemeinen Wust des Lebens
zu den höchsten Idealen zu erheben. Wie ist derjenige glücklich zu preisen, an
dessen Munde Hunderte von Zuhörern herzklopfend lauschen, an dessen Mienen
ihre Blicke hängen! Die Menge so zu leiten, erscheint mir eine würdige Aufgabe,
und wer sie ganz und in Wahrheit erfüllt, der darf sich nicht nur zu den Besten
seiner Zeit rechnen, der wird auch noch von der dankbaren Nachwelt mit Ehren
genannt werden.


Auf dem Stilfser Joch.

Wie tief beklage ich Ihren Irrtum, verehrtes Fräulein! Wie sehr Sie es
auch verneinen, so kennen Sie doch das Leben nicht und den Kampf, den es
gerade den Besten bereitet. Hier würde der Mann oft unterliegen müssen, wenn
er nicht eine treue Bundesgenossin an der Frau Hütte, mit der er Rat und
Meinung austauscht, die ihm da tragen hilft, wo sie auch nicht thätig eingreifen
kann, deren freundliches Wort die Falten aus seiner Stirn streicht, deren Lächeln
dem Verzagten neuen Mut und Zuversicht einflößt, die nicht seine Gespielin,
sondern, wie deutsches Recht und deutsche Sitte es fordert, seine Genossin ist.

Das mag sehr idhllisch sein, und Sie sind Künstler genug, um ein solches
Idyll auch ohne Farben in verlockender Gestalt auszuschmücken. Aber wir müssen
doch auch jeder Individualität gerecht werden. Es mag die Mehrzahl der
Mädchen für einen solche» Beruf passen und in ihm ihr Glück finden, aber
man muß doch auch andern Raum gönnen, die ans dem engern Kreise in die
Weite streben und den Drang in sich fühlen, für größere Zwecke zu wirken.
Da sehe ich uun freilich, daß in unsern Tagen, wo die Männer mit Eifersucht
alle Plätze besetzt halten, für die Frauen kein andrer größerer Wirkungskreis
gegeben ist als die Schaubühne.

Sie sind noch viel zu sehr, mein bestes Fräulein, von den Idealen Schillers
befangen, um sich von der Bühne ans einen großen und veredelnden Einfluß
auf das Volk zu denken. Aber schon Goethe, der dem Theater um vieles näher
stand als sein mehr idealer Freund, gab zuletzt im Zorn und Unwillen die
undankbare Aufgabe, eine Musteranstalt zu schaffen, auf. Ich will uicht davon
reden, mit welche« Intriguen und Eifersüchteleien hinter jenen Brettern, welche
die Welt bedeuten, gekämpft wird, und wie große Enttäuschungen gerade diejenigen
erleben, welche, von dem Inhalt des Dichterwerkes ergriffen, dnrch den Schein
der Darstellung sich verlocken ließen und Schauspieler wurden. Aber längst ist
die Zeit vorüber, in welcher von der Bühne aus auf die Sitten und die Bil¬
dung des Volkes gewirkt wurde, und für diese Zeit ist auch heute eine Aufer¬
stehung nicht mehr möglich. Heute wird Wissen und Tugend an den Beispielen
unsrer großen Männer in den Hörsälen der Schulen, aus den Büchern und
aus unserm reich bewegten öffentlichen Leben geschöpft — ich lasse dabei einmal
die Kanzel aus meiner Betrachtung —, dagegen geht man heute in's Theater,
niemals um zu lernen, selten um sich zu erholen, aber immer um sich zu Ver¬
gnügen.

Doch auch um sich zu begeistern und sich aus dem gemeinen Wust des Lebens
zu den höchsten Idealen zu erheben. Wie ist derjenige glücklich zu preisen, an
dessen Munde Hunderte von Zuhörern herzklopfend lauschen, an dessen Mienen
ihre Blicke hängen! Die Menge so zu leiten, erscheint mir eine würdige Aufgabe,
und wer sie ganz und in Wahrheit erfüllt, der darf sich nicht nur zu den Besten
seiner Zeit rechnen, der wird auch noch von der dankbaren Nachwelt mit Ehren
genannt werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/304>, abgerufen am 15.01.2025.