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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Gbst- nud Weinbau in Deutschland.

und zu Beginn des Jahrhunderts kam (last., not Jo^se) auch noch der große
Kriegsfürst Napoleon, schlug hier seine Schlachten von Soltau, Bergfriede,
Preußisch-Eylau, Heilsberg und Friedland und machte das Land zu einem
Haupt-Dnrchzugsgebiete für seinen Zug nach Rußland. Es ist ein wahres
Wunder, wenn noch eine Anzahl von alten gutsherrlichen Familien alle diese
Stürme (bei denen das schlimmste manchmal in Dingen liegt, von denen die
Geschichte nicht spricht und nichts weiß) überstanden hat; der ganze Wohlstand
des Landes und ebenso auch der Städte, unzählige male in Grund und Boden
vernichtet, hat stets ganz von neuem wieder aufgebaut werden müssen. So kann
man auch hier wohl sagen, daß jetzt erst sür Ost- und Westpreußen Zeiten
wiederkehren, wie die des Winrich von Kniprode -- etwas nach den Tagen des
großen Woldemar -- gewesen sein mögen.

Zum frohen, verfeinerten Lebensgenusse und zu der Neigung, um sich her
auch dein Schönheitssinne und tausend kleinen Annehmlichkeiten des Daseins
ihr Recht werden zu lassen, gehört aber staatliche und nationale Sicherheit; es
gehört dazu das Bewußtsein, daß es sich auch lohnt, für die Zukunft zu sorgen
und zu schaffen. Dieses Bewußtsein hatte der Deutsche bis vor kurzem nicht
und konnte es nicht haben. Wohl gab es einige Teile Deutschlands, die aus
verschiednen Gründen den Kriegsverwüstungen der vergangnen Jahrhunderte
weniger als die meisten sonstigen Teile ausgesetzt gewesen sind, und andre,
deren natürliche Üppigkeit so groß ist, daß selbst nach den schrecklichsten Leiden
Land und Volk bald wieder emporblühten. Aber man täusche sich nicht darüber,
daß nicht der Nordosten allein es ist, der ein erfreulicheres Bild bieten könnte
und sollte. Auch in Süddeutschland und am Rhein ist der lähmende Druck
der frühern politischen Verhältnisse noch vielfach zu verspüren, und speziell
Obst- und Weinbau sind auch hier noch lange nicht so entwickelt, wie dies zu
verlangen wäre. Ganz Deutschland reibt sich gleichsam jetzt erst die Augen aus
und beginnt erst wieder, sich auf seine Natur und seine Eigenart zu besinnen
Nach allen Überlieferungen ist unser Volk, und zwar gerade das Landvolk -- das
heute in den meisten Gegenden gemütlich so verkümmerte -- in erster Reihe,
ein fröhliches, zu Scherz und muntern Spiel überaus geneigtes gewesen. Ebenso
wissen wir, daß es kein abenteuerlustigeres, wanderfreudigeres, zur See und in
fernen Landen unternehmenderes Volk gegeben hat als das unsrige; das trüb¬
selige Kapitel unsrer heutigen Auswanderung bildet ja nur einen Nachklang
hiervon. Und endlich beweist die wunderbare Mannichfaltigkeit in den Produkten
des Wein-, Obst- und Gemüsegartens, deren das deutsche Mittelalter sich schon
rühmen durfte -- zehren wir doch heute noch von dem Abhub des damaligen
Reichtums --, daß der nämliche einerseits gewerbfleißige und thätige, anderseits
aber auch tiefsinnige, erfinderische und vorwärtsstrebende Geist, der in den Hand¬
werkern der mittelalterlichen Städte lebte, auch auf dem Lande nicht gefehlt
haben kann. Wie blühte die Bienenzucht, wie waren überall die sonnigen Ab-


Gbst- nud Weinbau in Deutschland.

und zu Beginn des Jahrhunderts kam (last., not Jo^se) auch noch der große
Kriegsfürst Napoleon, schlug hier seine Schlachten von Soltau, Bergfriede,
Preußisch-Eylau, Heilsberg und Friedland und machte das Land zu einem
Haupt-Dnrchzugsgebiete für seinen Zug nach Rußland. Es ist ein wahres
Wunder, wenn noch eine Anzahl von alten gutsherrlichen Familien alle diese
Stürme (bei denen das schlimmste manchmal in Dingen liegt, von denen die
Geschichte nicht spricht und nichts weiß) überstanden hat; der ganze Wohlstand
des Landes und ebenso auch der Städte, unzählige male in Grund und Boden
vernichtet, hat stets ganz von neuem wieder aufgebaut werden müssen. So kann
man auch hier wohl sagen, daß jetzt erst sür Ost- und Westpreußen Zeiten
wiederkehren, wie die des Winrich von Kniprode — etwas nach den Tagen des
großen Woldemar — gewesen sein mögen.

Zum frohen, verfeinerten Lebensgenusse und zu der Neigung, um sich her
auch dein Schönheitssinne und tausend kleinen Annehmlichkeiten des Daseins
ihr Recht werden zu lassen, gehört aber staatliche und nationale Sicherheit; es
gehört dazu das Bewußtsein, daß es sich auch lohnt, für die Zukunft zu sorgen
und zu schaffen. Dieses Bewußtsein hatte der Deutsche bis vor kurzem nicht
und konnte es nicht haben. Wohl gab es einige Teile Deutschlands, die aus
verschiednen Gründen den Kriegsverwüstungen der vergangnen Jahrhunderte
weniger als die meisten sonstigen Teile ausgesetzt gewesen sind, und andre,
deren natürliche Üppigkeit so groß ist, daß selbst nach den schrecklichsten Leiden
Land und Volk bald wieder emporblühten. Aber man täusche sich nicht darüber,
daß nicht der Nordosten allein es ist, der ein erfreulicheres Bild bieten könnte
und sollte. Auch in Süddeutschland und am Rhein ist der lähmende Druck
der frühern politischen Verhältnisse noch vielfach zu verspüren, und speziell
Obst- und Weinbau sind auch hier noch lange nicht so entwickelt, wie dies zu
verlangen wäre. Ganz Deutschland reibt sich gleichsam jetzt erst die Augen aus
und beginnt erst wieder, sich auf seine Natur und seine Eigenart zu besinnen
Nach allen Überlieferungen ist unser Volk, und zwar gerade das Landvolk — das
heute in den meisten Gegenden gemütlich so verkümmerte — in erster Reihe,
ein fröhliches, zu Scherz und muntern Spiel überaus geneigtes gewesen. Ebenso
wissen wir, daß es kein abenteuerlustigeres, wanderfreudigeres, zur See und in
fernen Landen unternehmenderes Volk gegeben hat als das unsrige; das trüb¬
selige Kapitel unsrer heutigen Auswanderung bildet ja nur einen Nachklang
hiervon. Und endlich beweist die wunderbare Mannichfaltigkeit in den Produkten
des Wein-, Obst- und Gemüsegartens, deren das deutsche Mittelalter sich schon
rühmen durfte — zehren wir doch heute noch von dem Abhub des damaligen
Reichtums —, daß der nämliche einerseits gewerbfleißige und thätige, anderseits
aber auch tiefsinnige, erfinderische und vorwärtsstrebende Geist, der in den Hand¬
werkern der mittelalterlichen Städte lebte, auch auf dem Lande nicht gefehlt
haben kann. Wie blühte die Bienenzucht, wie waren überall die sonnigen Ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/30>, abgerufen am 15.01.2025.