Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.wein- und Obstbau in Deutschland. hänge in Weingärten verwandelt! Wahrlich, wenn damals die Seidenraupe Nun giebt es aber garnichts, was eine gemütliche Luft und Neigung zur wein- und Obstbau in Deutschland. hänge in Weingärten verwandelt! Wahrlich, wenn damals die Seidenraupe Nun giebt es aber garnichts, was eine gemütliche Luft und Neigung zur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196765"/> <fw type="header" place="top"> wein- und Obstbau in Deutschland.</fw><lb/> <p xml:id="ID_66" prev="#ID_65"> hänge in Weingärten verwandelt! Wahrlich, wenn damals die Seidenraupe<lb/> nach Deutschland gebracht worden wäre — wir brauchten heute keine Seiden¬<lb/> stoffe aus Italien und Frankreich zu beziehen. Denn ist es nicht standhaften<lb/> und einsichtigen Züchtern gelungen, in der Gegend von Berlin heute noch die<lb/> blühendsten Maulbeerpflanzungen und Seidenraupenzüchtereicn zu erhalten?<lb/> An der Gemütsbeschaffenheit liegt es, wenn es in dem einen Falle zahlreichen<lb/> Menschen, ja ganzen Ständen und Bevölkerungsklassen der Mühe wert scheint,<lb/> unausgesetzt kleine, sorgfältige Beobachtungen zu machen und Tag für Tag<lb/> tausend mühsame, wenn auch scheinbar unbedeutende Arbeiten zu thun und Vor¬<lb/> kehrungen zu treffen, und wenn diese Leute dann selbst bei nnr geringem oder<lb/> erst sehr allmählich sich herausstellendem Gewinn an dem Erfolge Frende haben,<lb/> während im andern Falle achselzuckend gezweifelt wird, ob dabei denn auch etwas<lb/> Hinlängliches herauskommen werde, und eben dieses achselzuckeudcn Zweifels<lb/> wegen nichts herauskommt. Unser Volk hat die Art zu solcher sorgsamen,<lb/> gewissenhaften, überall das Gemüt in Mitleidenschaft ziehenden Kleinarbeit; aber<lb/> es fehlte an der inneren Disposition, weil eben Mut, Freudigkeit, Vertrauen auf<lb/> sich selbst und auf die umgebenden Zustände dem größten Teile unsers Volkes<lb/> abhanden gekommen waren und selbst hente sich erst zögernd und zweifelnd<lb/> wieder hervorwagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_67" next="#ID_68"> Nun giebt es aber garnichts, was eine gemütliche Luft und Neigung zur<lb/> Sache so sehr zur Voraussetzung hat wie eben Obst- und Weinbau. Schon<lb/> die bloße Einsicht in die Annehmlichkeiten und Reize der Obstkultnr, in den<lb/> Wohlgeschmack eines Stückes feinen Obstes zum Nachtisch, in den Wert eines<lb/> den Kindern mit Obst zu bereitenden, so billigen und dabei so zuträglichen Ver¬<lb/> gnügens, in die Vorteile eines behaglichen, unschädlichen und dabei doch immer<lb/> den Geist ein wenig anregenden Hanstrunkes — schon allein diese Einsicht<lb/> kann nur aus einer einigermaßen verfeinerten, dabei als gesichert empfundenen<lb/> Lebenshaltung entspringen. Weiterhin muß eine große „Kraft der Trägheit"<lb/> überwunden werden, ehe der Mensch sich nun wirklich entschließt, Mühe und<lb/> Kosten an eine Sache zu wenden, welche selbst unter den günstigsten Umständen<lb/> einige Jahre erfordert, um überhaupt einmal eine» Erfolg wahrnehmbar zu machen,<lb/> und welche da, wo sie aus dem Volksleben emporwachsen soll, der angestrengten,<lb/> niemals ermattenden Kraft vieler Generationen bedarf, bis ein erfreuliches<lb/> Resultat zutage tritt. Denn welche Berge von Arbeit und Sorgfalt mußten<lb/> aufgewendet werden, bis selbst im Baumgarten des geringsten rheinischen und<lb/> pfälzischen Tagelöhners die Holzbirne zur Butter- und Honigbirnc geworden<lb/> war, und was für eine Summe zu überwindender Mühen verbirgt sich hinter<lb/> dem Worte, daß der märkische, pommersche und ostpreußische Bauer die für<lb/> ihr Klima und ihren Boden geeigneten Obstsorten herausfinden und sich an<lb/> deren Pflege und Nachzucht gewöhnen sollen! Man lasse es sich gesagt sein,<lb/> daß selbst da, wo diese Gestaltung zur Volkssitte garnicht gefordert wird und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0031]
wein- und Obstbau in Deutschland.
hänge in Weingärten verwandelt! Wahrlich, wenn damals die Seidenraupe
nach Deutschland gebracht worden wäre — wir brauchten heute keine Seiden¬
stoffe aus Italien und Frankreich zu beziehen. Denn ist es nicht standhaften
und einsichtigen Züchtern gelungen, in der Gegend von Berlin heute noch die
blühendsten Maulbeerpflanzungen und Seidenraupenzüchtereicn zu erhalten?
An der Gemütsbeschaffenheit liegt es, wenn es in dem einen Falle zahlreichen
Menschen, ja ganzen Ständen und Bevölkerungsklassen der Mühe wert scheint,
unausgesetzt kleine, sorgfältige Beobachtungen zu machen und Tag für Tag
tausend mühsame, wenn auch scheinbar unbedeutende Arbeiten zu thun und Vor¬
kehrungen zu treffen, und wenn diese Leute dann selbst bei nnr geringem oder
erst sehr allmählich sich herausstellendem Gewinn an dem Erfolge Frende haben,
während im andern Falle achselzuckend gezweifelt wird, ob dabei denn auch etwas
Hinlängliches herauskommen werde, und eben dieses achselzuckeudcn Zweifels
wegen nichts herauskommt. Unser Volk hat die Art zu solcher sorgsamen,
gewissenhaften, überall das Gemüt in Mitleidenschaft ziehenden Kleinarbeit; aber
es fehlte an der inneren Disposition, weil eben Mut, Freudigkeit, Vertrauen auf
sich selbst und auf die umgebenden Zustände dem größten Teile unsers Volkes
abhanden gekommen waren und selbst hente sich erst zögernd und zweifelnd
wieder hervorwagen.
Nun giebt es aber garnichts, was eine gemütliche Luft und Neigung zur
Sache so sehr zur Voraussetzung hat wie eben Obst- und Weinbau. Schon
die bloße Einsicht in die Annehmlichkeiten und Reize der Obstkultnr, in den
Wohlgeschmack eines Stückes feinen Obstes zum Nachtisch, in den Wert eines
den Kindern mit Obst zu bereitenden, so billigen und dabei so zuträglichen Ver¬
gnügens, in die Vorteile eines behaglichen, unschädlichen und dabei doch immer
den Geist ein wenig anregenden Hanstrunkes — schon allein diese Einsicht
kann nur aus einer einigermaßen verfeinerten, dabei als gesichert empfundenen
Lebenshaltung entspringen. Weiterhin muß eine große „Kraft der Trägheit"
überwunden werden, ehe der Mensch sich nun wirklich entschließt, Mühe und
Kosten an eine Sache zu wenden, welche selbst unter den günstigsten Umständen
einige Jahre erfordert, um überhaupt einmal eine» Erfolg wahrnehmbar zu machen,
und welche da, wo sie aus dem Volksleben emporwachsen soll, der angestrengten,
niemals ermattenden Kraft vieler Generationen bedarf, bis ein erfreuliches
Resultat zutage tritt. Denn welche Berge von Arbeit und Sorgfalt mußten
aufgewendet werden, bis selbst im Baumgarten des geringsten rheinischen und
pfälzischen Tagelöhners die Holzbirne zur Butter- und Honigbirnc geworden
war, und was für eine Summe zu überwindender Mühen verbirgt sich hinter
dem Worte, daß der märkische, pommersche und ostpreußische Bauer die für
ihr Klima und ihren Boden geeigneten Obstsorten herausfinden und sich an
deren Pflege und Nachzucht gewöhnen sollen! Man lasse es sich gesagt sein,
daß selbst da, wo diese Gestaltung zur Volkssitte garnicht gefordert wird und
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