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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Wein- und Gbstbau in Deutschland.

es jedoch, ob nicht bei rationeller Pflege auch heute noch so gut wie im
Mittelalter vieles Gute und Edle um Orten wachsen könnte, wo es heute nicht
wächst. Diese Frage glauben wir unsrerseits entschieden bejahen zu dürfen.
Wir sind von vornherein der Überzeugung, daß, was im Mittelalter gediehen
ist, auch heute noch gedeihen würde, und daß viele der heute fehlenden mittel¬
alterlichen Produkte, wenn auch rauher und herber als diejenigen begünstigterer
Gegenden, doch auch hente noch durchaus verwendbar und ein trefflicher Ersatz
für manches andre wären. Und hier kommen wir zu einem andern bedeutsamen
Punkte: daß der heutige Arbeiter lieber Schnaps als einen rauhen, geringen
Wein trinkt, ist ohne Zweifel richtig, aber es ist sehr bedauerlich, und es ist die
Folge einer Entwicklung, die ihrer Zeit aus bestimmten Gründen hat eintreten
müsse", die aber anch wieder in ihr Gegenteil umschlagen oder auf einen Rück-
bildungsprozcß hinauslaufen kann, und dabei läßt sich ein gutes Stück nach¬
helfen. Welcher Segen wäre es, den Schnaps durch einen billigen Landwein
verdrängen oder doch mit teilweisen Erfolge bekämpfen zu können! Derselbe
würde sauer sein, gewiß; aber kann dies im Lande der sauern Gurke ein Hin¬
dernis sein?

Kommen wir auf unsre Grundfrage zurück: Warum wächst heute nicht
mehr, was damals wuchs? Welches Hindernis steht im Wege? Das Klima ist
schwerlich um ein merkliches schlechter, als es damals war; das Produkt würde
nach unsern Begriffen vielfach gering, in gewisser Hinsicht auch nicht kon¬
kurrenzfähig sei", aber immerhin so gut wie damals seine Verwendung finden
können; warum ist trotzdem das Streben, den Anbau der verloren gegangnen
Produkte wieder einzubürgern, auf einzelne Liebhaber beschränkt? Unsre Antwort
lautet: Weil die Lust und Freudigkeit zu solche" mühsamen Kulturen bei den
Besitzern und noch mehr bei den Arbeitern nicht vorhanden ist. Es fehlt die
aufopferungsvolle Sorgfalt, der Gedanke bei Tag und Nacht, die Liebe zur Sache
und der Stolz darauf, endlich vor allem auch die bei allen feineren Be¬
trieben so wesentliche genaue Kenntnis und Erfahrung; wo diese aber fehlen, da
kann kein guter Apfel, geschweige denn eine Weintraube gedeihen. Wenn man
heute den rheinischen Winzern die Freudigkeit und Selbstaufopferung, mit der
sie unaufhörlich der mühsamen Arbeit ihres Berufes nachgehen, sowie ihre an
Wissenschaftlichkeit streifende intime und selbständige Kenntnis von der Sache
wegnehmen könnte, so würde morgen auch am Rhein nichts Trinkbares mehr
wachsen! Dem größten Teile unsers Volkes, und ganz besonders dem deutschen
Nordosten, sind diese Dinge aber in Schicksalsprüfungen der schrecklichste,, Art
genommen, und es ist dahin gebracht worden, daß auf Jahrhunderte niemand
mehr über die Notdurft des Lebens hinaus dachte und niemand mehr über den
Zwang zur Arbeit, um Speise und Trank zu schaffen, hinaus empfand. Dies,
und dies allein ist es, was die Weinberge und die Obstpflanzungen in so vielen,
ehemals blühenden Gefilden hat eingehen lassen.


Wein- und Gbstbau in Deutschland.

es jedoch, ob nicht bei rationeller Pflege auch heute noch so gut wie im
Mittelalter vieles Gute und Edle um Orten wachsen könnte, wo es heute nicht
wächst. Diese Frage glauben wir unsrerseits entschieden bejahen zu dürfen.
Wir sind von vornherein der Überzeugung, daß, was im Mittelalter gediehen
ist, auch heute noch gedeihen würde, und daß viele der heute fehlenden mittel¬
alterlichen Produkte, wenn auch rauher und herber als diejenigen begünstigterer
Gegenden, doch auch hente noch durchaus verwendbar und ein trefflicher Ersatz
für manches andre wären. Und hier kommen wir zu einem andern bedeutsamen
Punkte: daß der heutige Arbeiter lieber Schnaps als einen rauhen, geringen
Wein trinkt, ist ohne Zweifel richtig, aber es ist sehr bedauerlich, und es ist die
Folge einer Entwicklung, die ihrer Zeit aus bestimmten Gründen hat eintreten
müsse», die aber anch wieder in ihr Gegenteil umschlagen oder auf einen Rück-
bildungsprozcß hinauslaufen kann, und dabei läßt sich ein gutes Stück nach¬
helfen. Welcher Segen wäre es, den Schnaps durch einen billigen Landwein
verdrängen oder doch mit teilweisen Erfolge bekämpfen zu können! Derselbe
würde sauer sein, gewiß; aber kann dies im Lande der sauern Gurke ein Hin¬
dernis sein?

Kommen wir auf unsre Grundfrage zurück: Warum wächst heute nicht
mehr, was damals wuchs? Welches Hindernis steht im Wege? Das Klima ist
schwerlich um ein merkliches schlechter, als es damals war; das Produkt würde
nach unsern Begriffen vielfach gering, in gewisser Hinsicht auch nicht kon¬
kurrenzfähig sei», aber immerhin so gut wie damals seine Verwendung finden
können; warum ist trotzdem das Streben, den Anbau der verloren gegangnen
Produkte wieder einzubürgern, auf einzelne Liebhaber beschränkt? Unsre Antwort
lautet: Weil die Lust und Freudigkeit zu solche» mühsamen Kulturen bei den
Besitzern und noch mehr bei den Arbeitern nicht vorhanden ist. Es fehlt die
aufopferungsvolle Sorgfalt, der Gedanke bei Tag und Nacht, die Liebe zur Sache
und der Stolz darauf, endlich vor allem auch die bei allen feineren Be¬
trieben so wesentliche genaue Kenntnis und Erfahrung; wo diese aber fehlen, da
kann kein guter Apfel, geschweige denn eine Weintraube gedeihen. Wenn man
heute den rheinischen Winzern die Freudigkeit und Selbstaufopferung, mit der
sie unaufhörlich der mühsamen Arbeit ihres Berufes nachgehen, sowie ihre an
Wissenschaftlichkeit streifende intime und selbständige Kenntnis von der Sache
wegnehmen könnte, so würde morgen auch am Rhein nichts Trinkbares mehr
wachsen! Dem größten Teile unsers Volkes, und ganz besonders dem deutschen
Nordosten, sind diese Dinge aber in Schicksalsprüfungen der schrecklichste,, Art
genommen, und es ist dahin gebracht worden, daß auf Jahrhunderte niemand
mehr über die Notdurft des Lebens hinaus dachte und niemand mehr über den
Zwang zur Arbeit, um Speise und Trank zu schaffen, hinaus empfand. Dies,
und dies allein ist es, was die Weinberge und die Obstpflanzungen in so vielen,
ehemals blühenden Gefilden hat eingehen lassen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/28>, abgerufen am 15.01.2025.