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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Wein- und Obstbau in Deutschland.

Bodenanbau ?c, haben, im übrigen durchaus mit demjenigen übereinstimmen,
was wir noch heute beobachten können. Insbesondre die vielen "faulen" Winter
und die vielen gelegentlichen rauhen Luftströmungen im Sommer, sowie die
kühlen sommerlichen Regenperioden scheinen in Ost- und Westpreußen und der
Neumark, also auch wohl in der Kurmark und Lausitz:c. damals ebenso vor¬
gekommen zu sein wie heute, und die höchste Wahrscheinlichkeit dürfte demgemäß
dafür sprechen, daß der gesamte Charakter der Witterung und des Klimas sich
seit damals nicht in irgend erheblicher Weise verschlechtert hat.

Weiterhin kann man vielfach der Ansicht begegnen, die Leute hätten damals
getrunken, was sie hätten bekommen können, d. h. was an Ort und Stelle
gewachsen sei, und bei der Schwierigkeit und Kostspieligkeit der Verbindungen
seien sie so selten in der Lage gewesen, etwas besseres zu haben, daß sie sich
wohl oder übel an alles gewöhnt hätten ^ gewöhnen könne der Mensch sich
aber an das Unglaublichste, zumal wenn noch der Lokalpatriotismus und das
hier mit demselben eng zusammenhängende Privatinteresse ins Spiel kommen.
Auch hieran ist gewiß etwas wahres; wir können es heute mit eignen Augen
beobachten, daß die Wcinprvduktion Thüringens (um vou derjenigen Ober¬
schwabens zu schweigen), obwohl auch qualitativ ganz respektabel, unter dein
bloßen Gewichte der Konkurrenzunfähigkeit allmählich verschwindet, und eine
nicht einmal gar zu große Erschwerung der Konkurrenz würde sie ohne Zweifel
wieder aufleben lassen. Es wird Wohl richtig sein, daß ein guter Rhein¬
wein damals östlich von der Oder noch bedeutend seltener war, als er (die
Wahrheit zu sagen) auch heute uoch ist, und daß überhaupt die damaligen
Kehlen es mit der Qualität nicht so genau nahmen, zumal da auch die Schnaps-
brennerei und in jenen Gegenden auch die Bierbrauerei damals noch in den
Kinderschuhen steckte, und die Leute doch als gute Deutsche irgendetwas zu trinken
haben mußten. Demgemäß mag ohne weiteres zugegeben werden, daß der beste
Ordenswein unsern verwöhnten Gaumen höchstens als erträglicher Landwein
vorgekommen sein dürfte, und daß es mit den Produkten des märkischen Wein¬
baues wohl nicht viel besser bestellt gewesen sein wird. Item -- es war Wein,
was die Leute tranken, und wir sind zu der Annahme berechtigt, daß er auch
in seiner unvollkommenen Gestalt der Menschen Herz erfreute. Zuträglicher
war er ihnen gewiß als der heutige Schnaps, wahrscheinlich auch als das
heutige Bier.

Nun wird kein vernünftiger Mensch prätendiren, an den Ufern des
Pregel und der Acker solle JvhanniSberger und Markobrunner wachsen, und
die Pfirsiche aus Littauer sollten die rheinischen vom Berliner Markte verdrängen.
Lst uiixws in rebus; der klimatische Unterschied zwischen dem Nordosten und
dem Westen Deutschlands ist lange nicht so arg, wie viele Leute glauben, aber
er ist immerhin vorhanden und giebt den Ufern des Rheins einen Vorsprung,
der dach die sorgfältigste Kultur nicht einzuholen ist. Eine andre Frage ist


Wein- und Obstbau in Deutschland.

Bodenanbau ?c, haben, im übrigen durchaus mit demjenigen übereinstimmen,
was wir noch heute beobachten können. Insbesondre die vielen „faulen" Winter
und die vielen gelegentlichen rauhen Luftströmungen im Sommer, sowie die
kühlen sommerlichen Regenperioden scheinen in Ost- und Westpreußen und der
Neumark, also auch wohl in der Kurmark und Lausitz:c. damals ebenso vor¬
gekommen zu sein wie heute, und die höchste Wahrscheinlichkeit dürfte demgemäß
dafür sprechen, daß der gesamte Charakter der Witterung und des Klimas sich
seit damals nicht in irgend erheblicher Weise verschlechtert hat.

Weiterhin kann man vielfach der Ansicht begegnen, die Leute hätten damals
getrunken, was sie hätten bekommen können, d. h. was an Ort und Stelle
gewachsen sei, und bei der Schwierigkeit und Kostspieligkeit der Verbindungen
seien sie so selten in der Lage gewesen, etwas besseres zu haben, daß sie sich
wohl oder übel an alles gewöhnt hätten ^ gewöhnen könne der Mensch sich
aber an das Unglaublichste, zumal wenn noch der Lokalpatriotismus und das
hier mit demselben eng zusammenhängende Privatinteresse ins Spiel kommen.
Auch hieran ist gewiß etwas wahres; wir können es heute mit eignen Augen
beobachten, daß die Wcinprvduktion Thüringens (um vou derjenigen Ober¬
schwabens zu schweigen), obwohl auch qualitativ ganz respektabel, unter dein
bloßen Gewichte der Konkurrenzunfähigkeit allmählich verschwindet, und eine
nicht einmal gar zu große Erschwerung der Konkurrenz würde sie ohne Zweifel
wieder aufleben lassen. Es wird Wohl richtig sein, daß ein guter Rhein¬
wein damals östlich von der Oder noch bedeutend seltener war, als er (die
Wahrheit zu sagen) auch heute uoch ist, und daß überhaupt die damaligen
Kehlen es mit der Qualität nicht so genau nahmen, zumal da auch die Schnaps-
brennerei und in jenen Gegenden auch die Bierbrauerei damals noch in den
Kinderschuhen steckte, und die Leute doch als gute Deutsche irgendetwas zu trinken
haben mußten. Demgemäß mag ohne weiteres zugegeben werden, daß der beste
Ordenswein unsern verwöhnten Gaumen höchstens als erträglicher Landwein
vorgekommen sein dürfte, und daß es mit den Produkten des märkischen Wein¬
baues wohl nicht viel besser bestellt gewesen sein wird. Item — es war Wein,
was die Leute tranken, und wir sind zu der Annahme berechtigt, daß er auch
in seiner unvollkommenen Gestalt der Menschen Herz erfreute. Zuträglicher
war er ihnen gewiß als der heutige Schnaps, wahrscheinlich auch als das
heutige Bier.

Nun wird kein vernünftiger Mensch prätendiren, an den Ufern des
Pregel und der Acker solle JvhanniSberger und Markobrunner wachsen, und
die Pfirsiche aus Littauer sollten die rheinischen vom Berliner Markte verdrängen.
Lst uiixws in rebus; der klimatische Unterschied zwischen dem Nordosten und
dem Westen Deutschlands ist lange nicht so arg, wie viele Leute glauben, aber
er ist immerhin vorhanden und giebt den Ufern des Rheins einen Vorsprung,
der dach die sorgfältigste Kultur nicht einzuholen ist. Eine andre Frage ist


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[0027] Wein- und Obstbau in Deutschland. Bodenanbau ?c, haben, im übrigen durchaus mit demjenigen übereinstimmen, was wir noch heute beobachten können. Insbesondre die vielen „faulen" Winter und die vielen gelegentlichen rauhen Luftströmungen im Sommer, sowie die kühlen sommerlichen Regenperioden scheinen in Ost- und Westpreußen und der Neumark, also auch wohl in der Kurmark und Lausitz:c. damals ebenso vor¬ gekommen zu sein wie heute, und die höchste Wahrscheinlichkeit dürfte demgemäß dafür sprechen, daß der gesamte Charakter der Witterung und des Klimas sich seit damals nicht in irgend erheblicher Weise verschlechtert hat. Weiterhin kann man vielfach der Ansicht begegnen, die Leute hätten damals getrunken, was sie hätten bekommen können, d. h. was an Ort und Stelle gewachsen sei, und bei der Schwierigkeit und Kostspieligkeit der Verbindungen seien sie so selten in der Lage gewesen, etwas besseres zu haben, daß sie sich wohl oder übel an alles gewöhnt hätten ^ gewöhnen könne der Mensch sich aber an das Unglaublichste, zumal wenn noch der Lokalpatriotismus und das hier mit demselben eng zusammenhängende Privatinteresse ins Spiel kommen. Auch hieran ist gewiß etwas wahres; wir können es heute mit eignen Augen beobachten, daß die Wcinprvduktion Thüringens (um vou derjenigen Ober¬ schwabens zu schweigen), obwohl auch qualitativ ganz respektabel, unter dein bloßen Gewichte der Konkurrenzunfähigkeit allmählich verschwindet, und eine nicht einmal gar zu große Erschwerung der Konkurrenz würde sie ohne Zweifel wieder aufleben lassen. Es wird Wohl richtig sein, daß ein guter Rhein¬ wein damals östlich von der Oder noch bedeutend seltener war, als er (die Wahrheit zu sagen) auch heute uoch ist, und daß überhaupt die damaligen Kehlen es mit der Qualität nicht so genau nahmen, zumal da auch die Schnaps- brennerei und in jenen Gegenden auch die Bierbrauerei damals noch in den Kinderschuhen steckte, und die Leute doch als gute Deutsche irgendetwas zu trinken haben mußten. Demgemäß mag ohne weiteres zugegeben werden, daß der beste Ordenswein unsern verwöhnten Gaumen höchstens als erträglicher Landwein vorgekommen sein dürfte, und daß es mit den Produkten des märkischen Wein¬ baues wohl nicht viel besser bestellt gewesen sein wird. Item — es war Wein, was die Leute tranken, und wir sind zu der Annahme berechtigt, daß er auch in seiner unvollkommenen Gestalt der Menschen Herz erfreute. Zuträglicher war er ihnen gewiß als der heutige Schnaps, wahrscheinlich auch als das heutige Bier. Nun wird kein vernünftiger Mensch prätendiren, an den Ufern des Pregel und der Acker solle JvhanniSberger und Markobrunner wachsen, und die Pfirsiche aus Littauer sollten die rheinischen vom Berliner Markte verdrängen. Lst uiixws in rebus; der klimatische Unterschied zwischen dem Nordosten und dem Westen Deutschlands ist lange nicht so arg, wie viele Leute glauben, aber er ist immerhin vorhanden und giebt den Ufern des Rheins einen Vorsprung, der dach die sorgfältigste Kultur nicht einzuholen ist. Eine andre Frage ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/27>, abgerufen am 15.01.2025.