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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Lin Krieg Englands in Birma.

der Apfelsine verspeist, und der Nest wird nur einen einzigen Biß erfordern,"
und der überzeugt ist, daß man auch den thun könnte, ohne sich damit den
Magen zu verderben. "Die Einwohner Birmas, fährt er fort, lassen sich ge¬
fallen, was das Schicksal über sie verhängt, sie gleichen in dieser Hinsicht den
ägyptischen Fellahin, wie Birma auch dem Nilthale gleicht, diesem langen
doppelten Landstreifen an einem großen Strome, der mit einem Delta endigt.
Zum Glück aber existirt die Nebenbuhlerschaft eiuer europäischen Macht, die
uns die Bewohner des ostafrikanischen Ägyptens abwendig gemacht hat. im ost-
asiatischen erst in ihren Anfängen, und Lord Salisbury hat rechtzeitig Notiz
davon genommen, als die überall gegen uns Ränke spinnenden und sich in unsre
Interessen mengenden Franzosen sich anch hier regten. Hätte man vor Jahren
in Kairo eine solche Wachsamkeit geübt, so würden wir jetzt nicht sehen müssen,
wie unser Interesse in Ägypten in Frage gestellt und beeinträchtigt wird."
Andre englische Stimmen erklären eine Annexion nicht für unbedingt erforder¬
lich, und diese gehen von gründlichen Kennern der Sache aus, aber sie befür¬
worten trotzdem baldige Einmischung in die Angelegenheiten Oberbirmcis. So
Arthur Phayrc, der ehemalige Obcrkvinmissar in Rangun. Er ist, wie er sagt,
mit Widerstreben zu der Meinung gelangt, daß eine Intervention, und zwar
eine sofortige, absolut notwendig sei, da Ordnung hergestellt werden müsse und
die politischen und kommerziellen Interessen Englands ernstlich gefährdet seien.
Nicht unbedingt notwendig sei die Absetzung König Thibaus und die unmittel¬
bare Einverleibung seines Reiches, wohl aber "eine solche Intervention, daß
andre Mächte, europäische wie asiatische, nicht mehr in der Lage sind, das Vor¬
herrschen des britischen Einflusses in Birma in Frage zu stellen."

Englands Industrie bedarf neuer Märkte in Ostasien, sie erblickt solche in
China. Von diesem Standpunkte vorzüglich empfahl Colghoue eine kräftige
Intervention in Oberbirma, indem er schrieb: "China hat einen neuen Weg zu
gewerblicher, kommerzieller und militärischer Entwicklung betreten, es neigt
sich zu der Überzeugung, daß England sein bester Freund und Berater ist.
Bereits sind hier dreitausend Meilen Telegraphendrähte gelegt, und die einflu߬
reichsten Staatsmänner begünstigen den Ausbau eines ausgedehnten Eisenbahn¬
systems. China ist jetzt mit Birma nur durch Karawanenstraßen verbunden, auf
denen der Verkehr langsam und kostspielig ist. Die Kosten würden auf den
zehnten Teil, die Zeit würde auf ein Drittel vermindert werden, wenn Eisen-
bahnen die beiden Länder verbänden. Der Bau von ein paar hundert Meilen
Schienenweg würde uns nicht bloß die Möglichkeit zur Eröffnung eines gigan¬
tischen Absatzgebietes schaffen, sondern mit wenig mehr Aufwand auch Siam in
den Kreis ziehen, wo sich der König nach einem Bündnisse mit uns sehnt und
uns sehr gern einen günstigen Handelsvertrag gewähren würde. Er wird durch
die Franzosen von Cochinchina bedroht und betrachtet uns als seine natürlichen
Beschützer gegen Angriffe, die aus Tonking und Arran gegen ihn gerichtet


Lin Krieg Englands in Birma.

der Apfelsine verspeist, und der Nest wird nur einen einzigen Biß erfordern,"
und der überzeugt ist, daß man auch den thun könnte, ohne sich damit den
Magen zu verderben. „Die Einwohner Birmas, fährt er fort, lassen sich ge¬
fallen, was das Schicksal über sie verhängt, sie gleichen in dieser Hinsicht den
ägyptischen Fellahin, wie Birma auch dem Nilthale gleicht, diesem langen
doppelten Landstreifen an einem großen Strome, der mit einem Delta endigt.
Zum Glück aber existirt die Nebenbuhlerschaft eiuer europäischen Macht, die
uns die Bewohner des ostafrikanischen Ägyptens abwendig gemacht hat. im ost-
asiatischen erst in ihren Anfängen, und Lord Salisbury hat rechtzeitig Notiz
davon genommen, als die überall gegen uns Ränke spinnenden und sich in unsre
Interessen mengenden Franzosen sich anch hier regten. Hätte man vor Jahren
in Kairo eine solche Wachsamkeit geübt, so würden wir jetzt nicht sehen müssen,
wie unser Interesse in Ägypten in Frage gestellt und beeinträchtigt wird."
Andre englische Stimmen erklären eine Annexion nicht für unbedingt erforder¬
lich, und diese gehen von gründlichen Kennern der Sache aus, aber sie befür¬
worten trotzdem baldige Einmischung in die Angelegenheiten Oberbirmcis. So
Arthur Phayrc, der ehemalige Obcrkvinmissar in Rangun. Er ist, wie er sagt,
mit Widerstreben zu der Meinung gelangt, daß eine Intervention, und zwar
eine sofortige, absolut notwendig sei, da Ordnung hergestellt werden müsse und
die politischen und kommerziellen Interessen Englands ernstlich gefährdet seien.
Nicht unbedingt notwendig sei die Absetzung König Thibaus und die unmittel¬
bare Einverleibung seines Reiches, wohl aber „eine solche Intervention, daß
andre Mächte, europäische wie asiatische, nicht mehr in der Lage sind, das Vor¬
herrschen des britischen Einflusses in Birma in Frage zu stellen."

Englands Industrie bedarf neuer Märkte in Ostasien, sie erblickt solche in
China. Von diesem Standpunkte vorzüglich empfahl Colghoue eine kräftige
Intervention in Oberbirma, indem er schrieb: „China hat einen neuen Weg zu
gewerblicher, kommerzieller und militärischer Entwicklung betreten, es neigt
sich zu der Überzeugung, daß England sein bester Freund und Berater ist.
Bereits sind hier dreitausend Meilen Telegraphendrähte gelegt, und die einflu߬
reichsten Staatsmänner begünstigen den Ausbau eines ausgedehnten Eisenbahn¬
systems. China ist jetzt mit Birma nur durch Karawanenstraßen verbunden, auf
denen der Verkehr langsam und kostspielig ist. Die Kosten würden auf den
zehnten Teil, die Zeit würde auf ein Drittel vermindert werden, wenn Eisen-
bahnen die beiden Länder verbänden. Der Bau von ein paar hundert Meilen
Schienenweg würde uns nicht bloß die Möglichkeit zur Eröffnung eines gigan¬
tischen Absatzgebietes schaffen, sondern mit wenig mehr Aufwand auch Siam in
den Kreis ziehen, wo sich der König nach einem Bündnisse mit uns sehnt und
uns sehr gern einen günstigen Handelsvertrag gewähren würde. Er wird durch
die Franzosen von Cochinchina bedroht und betrachtet uns als seine natürlichen
Beschützer gegen Angriffe, die aus Tonking und Arran gegen ihn gerichtet


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[0279] Lin Krieg Englands in Birma. der Apfelsine verspeist, und der Nest wird nur einen einzigen Biß erfordern," und der überzeugt ist, daß man auch den thun könnte, ohne sich damit den Magen zu verderben. „Die Einwohner Birmas, fährt er fort, lassen sich ge¬ fallen, was das Schicksal über sie verhängt, sie gleichen in dieser Hinsicht den ägyptischen Fellahin, wie Birma auch dem Nilthale gleicht, diesem langen doppelten Landstreifen an einem großen Strome, der mit einem Delta endigt. Zum Glück aber existirt die Nebenbuhlerschaft eiuer europäischen Macht, die uns die Bewohner des ostafrikanischen Ägyptens abwendig gemacht hat. im ost- asiatischen erst in ihren Anfängen, und Lord Salisbury hat rechtzeitig Notiz davon genommen, als die überall gegen uns Ränke spinnenden und sich in unsre Interessen mengenden Franzosen sich anch hier regten. Hätte man vor Jahren in Kairo eine solche Wachsamkeit geübt, so würden wir jetzt nicht sehen müssen, wie unser Interesse in Ägypten in Frage gestellt und beeinträchtigt wird." Andre englische Stimmen erklären eine Annexion nicht für unbedingt erforder¬ lich, und diese gehen von gründlichen Kennern der Sache aus, aber sie befür¬ worten trotzdem baldige Einmischung in die Angelegenheiten Oberbirmcis. So Arthur Phayrc, der ehemalige Obcrkvinmissar in Rangun. Er ist, wie er sagt, mit Widerstreben zu der Meinung gelangt, daß eine Intervention, und zwar eine sofortige, absolut notwendig sei, da Ordnung hergestellt werden müsse und die politischen und kommerziellen Interessen Englands ernstlich gefährdet seien. Nicht unbedingt notwendig sei die Absetzung König Thibaus und die unmittel¬ bare Einverleibung seines Reiches, wohl aber „eine solche Intervention, daß andre Mächte, europäische wie asiatische, nicht mehr in der Lage sind, das Vor¬ herrschen des britischen Einflusses in Birma in Frage zu stellen." Englands Industrie bedarf neuer Märkte in Ostasien, sie erblickt solche in China. Von diesem Standpunkte vorzüglich empfahl Colghoue eine kräftige Intervention in Oberbirma, indem er schrieb: „China hat einen neuen Weg zu gewerblicher, kommerzieller und militärischer Entwicklung betreten, es neigt sich zu der Überzeugung, daß England sein bester Freund und Berater ist. Bereits sind hier dreitausend Meilen Telegraphendrähte gelegt, und die einflu߬ reichsten Staatsmänner begünstigen den Ausbau eines ausgedehnten Eisenbahn¬ systems. China ist jetzt mit Birma nur durch Karawanenstraßen verbunden, auf denen der Verkehr langsam und kostspielig ist. Die Kosten würden auf den zehnten Teil, die Zeit würde auf ein Drittel vermindert werden, wenn Eisen- bahnen die beiden Länder verbänden. Der Bau von ein paar hundert Meilen Schienenweg würde uns nicht bloß die Möglichkeit zur Eröffnung eines gigan¬ tischen Absatzgebietes schaffen, sondern mit wenig mehr Aufwand auch Siam in den Kreis ziehen, wo sich der König nach einem Bündnisse mit uns sehnt und uns sehr gern einen günstigen Handelsvertrag gewähren würde. Er wird durch die Franzosen von Cochinchina bedroht und betrachtet uns als seine natürlichen Beschützer gegen Angriffe, die aus Tonking und Arran gegen ihn gerichtet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/279>, abgerufen am 15.01.2025.