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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Lin Rrikg Englands in Birma.

isf, wenn man von der Ostseite absieht, wo die Bergkette hinläuft, die im
rechten Winkel vom Himalaha sich bis zum Golfe von Siam abzweigt, voll¬
ständig von britischen Gebiet eingeschlossen. Der Jrawaddy, dessen Mündungen
und dessen untern Lauf England beherrscht, durchströmt eine beträchtliche Strecke
und ist für die Kriegsschiffe der Angreifer zu jeder Zeit des Jahres schiffbar.
Ein Dutzend Kanonenboote und eine Anzahl von Transportfahrzeugcn mit
6- bis 8000 Mann gut bewaffneten Soldaten würden vermutlich hinreichen,
das Heer des Königs Thibcm zu Paaren zu treiben und seine hauptsäch¬
lichsten Städte mit Einschluß Mandalays einzunehmen. Seine militärische
Macht ist sowohl nach ihrer Zahl als nach ihrer Ausrüstung nichts weniger
als achtunggebietend. Seine reguläre Armee zählt 10 000 Mann, die unregel¬
mäßigen Milizen, die er aufbieten kann, werden auf etwa 20 000 Mann ge¬
schlagen, und von jener ist nur die Hälfte mit Hinterladern versehen, während
die Landwehr mir zum kleinen Teil überhaupt Feuerwaffen hat und bald nur,
wie früher, in Räuberbanden aufgelöst, unbequem sein würde. Lediglich die
königliche Leibwache hat einigen militärischen Wert, und weder die Artillerie
noch die Kavallerie soll mehr als einige hundert Mann zählen. Dazu kommt
endlich, daß König Thibcm im Lande allgemein verhaßt ist und wahrscheinlich
bald nach Ausbruch der Feindseligkeiten durch einen Aufstand gestürzt werden
würde.

Ebensowenig Schwierigkeiten wie die Niederwerfung Oberbirmas durch
einen Krieg würde, wenn man englischen Berichten vollen Glauben beimessen
darf, eine Einverleibung des eroberten Landes in die Besitzungen Großbritanniens
in Ostasien haben, und es fragt sich nur, ob sie notwendig ist, oder ob eine
bloße Schntzherrlichkeit der Engländer genügen wird, um ihre Interessen gehörig
wahrzunehmen, und hier sind die Ansichten in London verschieden. Die Samt,
<Zg,Meth befürwortet mit Entschiedenheit rasche Annexion, indem sie glaubt,
nur so werde man eine natürliche Grenze für das indische Reich gewinnen, und
nur so europäische Mächte wirksam von allem politischen Einflüsse in Birma
ausschließen. Das Blatt sagt: "Irgendeiner Macht Europas hier Einfluß ge¬
statten hieße so viel, als einem Feinde innerhalb einer Zitadelle festen Fuß
fassen lassen. Die kommerzielle Bedeutung Oberbirmas für uus liegt auf der
Hand, und das jetzt zwischen uns und der chinesischen Regierung hergestellte
gute Einvernehmen, das Dauer verheißt, macht es wünschenswert, daß die
Grenzen Chinas und Indiens zusammenstoßen. Aber die stärkste Empfehlung
einer unverzüglichen Einverleibung von Oberbirma ist, daß, je länger damit
gezögert wird, desto mehr die Gefahr sich steigert, daß wir in Verwicklungen
mit Frankreich geraten, dessen Absichten, obwohl Herr Freycinet sich augenblicklich
genötigt sieht, sich klein zu machen, in nicht sehr ferner Zeit vermutlich wieder
aufleben werden." Auch andre englische Blätter raten in dieser Weise, z. B.
der OÄI^ ro1sKrg,pQ, welcher bemerkt: "Wir haben schon mehr als ein Drittel


Lin Rrikg Englands in Birma.

isf, wenn man von der Ostseite absieht, wo die Bergkette hinläuft, die im
rechten Winkel vom Himalaha sich bis zum Golfe von Siam abzweigt, voll¬
ständig von britischen Gebiet eingeschlossen. Der Jrawaddy, dessen Mündungen
und dessen untern Lauf England beherrscht, durchströmt eine beträchtliche Strecke
und ist für die Kriegsschiffe der Angreifer zu jeder Zeit des Jahres schiffbar.
Ein Dutzend Kanonenboote und eine Anzahl von Transportfahrzeugcn mit
6- bis 8000 Mann gut bewaffneten Soldaten würden vermutlich hinreichen,
das Heer des Königs Thibcm zu Paaren zu treiben und seine hauptsäch¬
lichsten Städte mit Einschluß Mandalays einzunehmen. Seine militärische
Macht ist sowohl nach ihrer Zahl als nach ihrer Ausrüstung nichts weniger
als achtunggebietend. Seine reguläre Armee zählt 10 000 Mann, die unregel¬
mäßigen Milizen, die er aufbieten kann, werden auf etwa 20 000 Mann ge¬
schlagen, und von jener ist nur die Hälfte mit Hinterladern versehen, während
die Landwehr mir zum kleinen Teil überhaupt Feuerwaffen hat und bald nur,
wie früher, in Räuberbanden aufgelöst, unbequem sein würde. Lediglich die
königliche Leibwache hat einigen militärischen Wert, und weder die Artillerie
noch die Kavallerie soll mehr als einige hundert Mann zählen. Dazu kommt
endlich, daß König Thibcm im Lande allgemein verhaßt ist und wahrscheinlich
bald nach Ausbruch der Feindseligkeiten durch einen Aufstand gestürzt werden
würde.

Ebensowenig Schwierigkeiten wie die Niederwerfung Oberbirmas durch
einen Krieg würde, wenn man englischen Berichten vollen Glauben beimessen
darf, eine Einverleibung des eroberten Landes in die Besitzungen Großbritanniens
in Ostasien haben, und es fragt sich nur, ob sie notwendig ist, oder ob eine
bloße Schntzherrlichkeit der Engländer genügen wird, um ihre Interessen gehörig
wahrzunehmen, und hier sind die Ansichten in London verschieden. Die Samt,
<Zg,Meth befürwortet mit Entschiedenheit rasche Annexion, indem sie glaubt,
nur so werde man eine natürliche Grenze für das indische Reich gewinnen, und
nur so europäische Mächte wirksam von allem politischen Einflüsse in Birma
ausschließen. Das Blatt sagt: „Irgendeiner Macht Europas hier Einfluß ge¬
statten hieße so viel, als einem Feinde innerhalb einer Zitadelle festen Fuß
fassen lassen. Die kommerzielle Bedeutung Oberbirmas für uus liegt auf der
Hand, und das jetzt zwischen uns und der chinesischen Regierung hergestellte
gute Einvernehmen, das Dauer verheißt, macht es wünschenswert, daß die
Grenzen Chinas und Indiens zusammenstoßen. Aber die stärkste Empfehlung
einer unverzüglichen Einverleibung von Oberbirma ist, daß, je länger damit
gezögert wird, desto mehr die Gefahr sich steigert, daß wir in Verwicklungen
mit Frankreich geraten, dessen Absichten, obwohl Herr Freycinet sich augenblicklich
genötigt sieht, sich klein zu machen, in nicht sehr ferner Zeit vermutlich wieder
aufleben werden." Auch andre englische Blätter raten in dieser Weise, z. B.
der OÄI^ ro1sKrg,pQ, welcher bemerkt: „Wir haben schon mehr als ein Drittel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/278>, abgerufen am 15.01.2025.