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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Wein- und Obstbau in Deutschland.

diese Winde, und sie finden keine Berge und keine großen Wälder, die ihren eisigen
Hauch brechen; erst die Länder am Ostseestrande selbst müssen sich dazu her¬
geben, die kalten Winde abzuschwächen, um sie dann in diesem Zustande nach
Mitteldeutschland gelangen zu lassen. Dieses Verhältnis ist so charakteristisch,
daß von gewissen Gegenden, z. B. Ostpreußens, ausdrücklich berichtet wird, das
Klima sei früher infolge des Vorhandenseins ausgedehnter Wälder in der Um¬
gegend besser gewesen, und daß das milde Klima von Elbing, dem "preußischen
Nizza," gewiß wesentlich durch den waldigen Höhenzug beeinflußt wird, welcher
gerade nordöstlich von ihm das frische Haff bis nach Frauenburg begleitet.
Es mag also Wohl sein, daß das Verschwinden der Wälder in Nordostdeutsch¬
land weite Striche schutzlos gegen die rauhen Winde gelassen und dadurch ihr
Klima einigermaßen verschlechtert oder ihre Fähigkeit, feinere, empfindlichere
Produkte hervorzubringen, verringert hat. Den zweiten Punkt bilden die
"rauhen Winde" selbst. Es scheint manches dafür zu sprechen, daß die in
Innerasien nicht seit Menschenaltern oder Jahrhunderten, sondern seit Jahr¬
tausenden im Gange begriffnen Entwaldungen das dortige Klima in ungünstigster
Weise beeinflußt, insbesondre jene eisigen Stürme (Burane) hervorgerufen haben,
welche heute so oft in verderbenbringender Weise über die turanischen Steppen
rasen, und daß eine gewisse Rückwirkung hiervon auf Europa oder doch auf
Osteuropa heute schon wahrnehmbar geworden ist. Das alte Baktrien und noch
die Heimat Timurs ist allem Anscheine nach allerdings ein andres, fruchtbareres
und wohnlicheres Land gewesen als das heutige Turan, und es steht nichts
der Annahme entgegen, daß dort, wie in andern Teilen Asiens, die Wirkungen
der Entwaldung, die wir so vielfach im kleinen beobachten können, im großen
zutage getreten sind. Daß aber die rauhen Winde aus jenen Ländern sich in
das europäische Rußland und noch bis zu den westlichen Grenzländern desselben
fortpflanzen, ist in neuerer Zeit mehrfach von urteilsfähiger Seite behauptet
worden. Auch hier könnten wir es also in der That mit einem sehr reellen
Faktor einer Verschlechterung unsrer klimatischen Verhältnisse zu thun haben,
und leider spricht einstweilen nichts dafür, daß die russische Verwaltung die
Wurzel dieser Verschlechterung, die Ausrodung der Wälder, zu beseitigen be¬
strebt sein werde; es scheint im Gegenteil unter russischer Herrschaft mit der¬
selben je länger je ärger zu werden. Trotzdem legen wir unsrerseits auf diese
vermutlichen und in der That möglicherweise vorhandenen Ursachen eines
etwas rauheren Klimas kein entscheidendes Gewicht. Es mag, wie gesagt, wohl
sein, daß zuweilen ein rauherer Wind kommt als in früheren Jahrhunderten
und daß derselbe auf ungeschütztere Striche trifft als damals. Aber daß hier¬
durch ein wahrnehmbarer Einfluß auf die Durchschuittstemperatur dieser Striche
im Vergleich zu derjenigen in der Ordenszeit ausgeübt würde, glauben wir trotzdem
nicht, aus dem einfachen Grunde nicht, weil alle die Angaben, die wir aus der
Ordcnszcit über damalige klimatische Verhältnisse, Wittcrungserschcinungen,


Wein- und Obstbau in Deutschland.

diese Winde, und sie finden keine Berge und keine großen Wälder, die ihren eisigen
Hauch brechen; erst die Länder am Ostseestrande selbst müssen sich dazu her¬
geben, die kalten Winde abzuschwächen, um sie dann in diesem Zustande nach
Mitteldeutschland gelangen zu lassen. Dieses Verhältnis ist so charakteristisch,
daß von gewissen Gegenden, z. B. Ostpreußens, ausdrücklich berichtet wird, das
Klima sei früher infolge des Vorhandenseins ausgedehnter Wälder in der Um¬
gegend besser gewesen, und daß das milde Klima von Elbing, dem „preußischen
Nizza," gewiß wesentlich durch den waldigen Höhenzug beeinflußt wird, welcher
gerade nordöstlich von ihm das frische Haff bis nach Frauenburg begleitet.
Es mag also Wohl sein, daß das Verschwinden der Wälder in Nordostdeutsch¬
land weite Striche schutzlos gegen die rauhen Winde gelassen und dadurch ihr
Klima einigermaßen verschlechtert oder ihre Fähigkeit, feinere, empfindlichere
Produkte hervorzubringen, verringert hat. Den zweiten Punkt bilden die
„rauhen Winde" selbst. Es scheint manches dafür zu sprechen, daß die in
Innerasien nicht seit Menschenaltern oder Jahrhunderten, sondern seit Jahr¬
tausenden im Gange begriffnen Entwaldungen das dortige Klima in ungünstigster
Weise beeinflußt, insbesondre jene eisigen Stürme (Burane) hervorgerufen haben,
welche heute so oft in verderbenbringender Weise über die turanischen Steppen
rasen, und daß eine gewisse Rückwirkung hiervon auf Europa oder doch auf
Osteuropa heute schon wahrnehmbar geworden ist. Das alte Baktrien und noch
die Heimat Timurs ist allem Anscheine nach allerdings ein andres, fruchtbareres
und wohnlicheres Land gewesen als das heutige Turan, und es steht nichts
der Annahme entgegen, daß dort, wie in andern Teilen Asiens, die Wirkungen
der Entwaldung, die wir so vielfach im kleinen beobachten können, im großen
zutage getreten sind. Daß aber die rauhen Winde aus jenen Ländern sich in
das europäische Rußland und noch bis zu den westlichen Grenzländern desselben
fortpflanzen, ist in neuerer Zeit mehrfach von urteilsfähiger Seite behauptet
worden. Auch hier könnten wir es also in der That mit einem sehr reellen
Faktor einer Verschlechterung unsrer klimatischen Verhältnisse zu thun haben,
und leider spricht einstweilen nichts dafür, daß die russische Verwaltung die
Wurzel dieser Verschlechterung, die Ausrodung der Wälder, zu beseitigen be¬
strebt sein werde; es scheint im Gegenteil unter russischer Herrschaft mit der¬
selben je länger je ärger zu werden. Trotzdem legen wir unsrerseits auf diese
vermutlichen und in der That möglicherweise vorhandenen Ursachen eines
etwas rauheren Klimas kein entscheidendes Gewicht. Es mag, wie gesagt, wohl
sein, daß zuweilen ein rauherer Wind kommt als in früheren Jahrhunderten
und daß derselbe auf ungeschütztere Striche trifft als damals. Aber daß hier¬
durch ein wahrnehmbarer Einfluß auf die Durchschuittstemperatur dieser Striche
im Vergleich zu derjenigen in der Ordenszeit ausgeübt würde, glauben wir trotzdem
nicht, aus dem einfachen Grunde nicht, weil alle die Angaben, die wir aus der
Ordcnszcit über damalige klimatische Verhältnisse, Wittcrungserschcinungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/26>, abgerufen am 15.01.2025.