Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Parlamentarisches aus "Österreich.

Was nützt es? Polen, Tschechen, Slovenen und jene Deutschen, welchen die
katholische Religion höher steht als die Nationalität, haben die Majorität.
Und das Ministerium? Es läßt sich auf eine Erörterung des Kardinalpunktes
garnicht mehr ein, stimmt aber mit der Rechten für die "Erweiterung der Auto¬
nomie" -- diesen Ausdruck hat man nämlich jetzt für die Umwandlung des
Reiches in einen Bundesstaat, vielleicht Staatenbund, erfunden.

Aber gänzlich im Schweigen verharren konnte das Ministerium doch nicht.
In beiden Häusern wurden neue Momente in die Debatte gebracht. Unger
erklärte endlich einmal offen, daß die deutschen Autoren der Verfassung in ihrem
doktrinären Liberalismus sich selbst die Rute gebunden, ihren geschworenen
Feinden die Waffen geliefert haben. Das konnten sie freilich nicht ahnen, daß
eine große Partei ohne Scheu derselben Verfassung die Anerkennung werde ver¬
sagen dürfen, auf Grund deren sie ihre Plätze in der Versammlung einnimmt --
und zu solcher Vcrfafsuugstreue mit Vorbehalt bekannte sich der Abgeordnete
Rieger auch diesmal wieder. Zum Zweiten brachte der böhmische Abgeordnete
Knotz zur Sprache, was seit Jahren auf vielen Lippen schwebte: wenn der
deutsche Klerus kein Herz zeigt für seine Nation, zur Unterdrückung derselben
die Hand bietet, so wird das Volk sich vou der katholische" Kirche lossagen und
ein Bekenntnis annehmen, innerhalb dessen es Verständnis für sein Vockstnm
erwarten darf. Die Geistlichkeit soll dergleichen Drohungen keine Bedeutung
beimessen, weil sie sich teils auf die Glaubenstreue, teils auf die Indifferenz
verläßt. Die Rechnung konnte jedoch täuschen. Gerade solche Gemeinden, welchen
die Religion Bedürfnis ist, dürften sich am ersten empören, wenn ihnen Priester
geschickt werden, die kaum ihre Sprache verstehen; und der Jndifferentismus
kann sich wenigstens darüber nicht täuschen, daß er die Macht seiner nationalen
Feinde verstärkt.

Den dritten Punkt regte ebenfalls Knotz an. Er behauptete, daß der
Nationalitätenhader sich bereits in das Heer verpflanzt habe. Ob die von ihm
angeführten Daten richtig sind oder nicht, wird sich zeigen, da der Minister-
Präsident deren aktenmäßige Widerlegung verheißen hat. Aber wenn er über¬
trieben haben, wenn von seinem Berichte nichts übrig bleiben sollte, wird er
immer den Abgeordneten Rieger als Eideshelfer anrufen können, der ausdrücklich
anerkannte, daß der Nativnalgcsinnte seine Überzeugung auch im Soldatenrocke
beibehalte. Wie sollen da Zwistigkeiten verhütet werden, wenn in den Bezirken
mit gemischter Nationalität von Kindesbeinen an der Haß genährt wird! Und
diese Thatsache ist ja leider nicht anzuzweifeln. Gewiß ist auch auf deutscher
Seite manche Schuld, aber von welcher in den meisten Fällen die Provokation
ausgeht, das haben Untersuchungen in Menge gezeigt, und darüber war von
jeher der Kenner der tschechischen Nationalität im klaren. Das alte Hussitentum
steckt diesen Leuten einmal im Blute, und sie werden nicht eher ruhen, als bis
über sie wieder einmal ein General Koller gesetzt wird. Sie geberden sich, als


Grenzboten IV. 1885. Ig
Parlamentarisches aus «Österreich.

Was nützt es? Polen, Tschechen, Slovenen und jene Deutschen, welchen die
katholische Religion höher steht als die Nationalität, haben die Majorität.
Und das Ministerium? Es läßt sich auf eine Erörterung des Kardinalpunktes
garnicht mehr ein, stimmt aber mit der Rechten für die „Erweiterung der Auto¬
nomie" — diesen Ausdruck hat man nämlich jetzt für die Umwandlung des
Reiches in einen Bundesstaat, vielleicht Staatenbund, erfunden.

Aber gänzlich im Schweigen verharren konnte das Ministerium doch nicht.
In beiden Häusern wurden neue Momente in die Debatte gebracht. Unger
erklärte endlich einmal offen, daß die deutschen Autoren der Verfassung in ihrem
doktrinären Liberalismus sich selbst die Rute gebunden, ihren geschworenen
Feinden die Waffen geliefert haben. Das konnten sie freilich nicht ahnen, daß
eine große Partei ohne Scheu derselben Verfassung die Anerkennung werde ver¬
sagen dürfen, auf Grund deren sie ihre Plätze in der Versammlung einnimmt —
und zu solcher Vcrfafsuugstreue mit Vorbehalt bekannte sich der Abgeordnete
Rieger auch diesmal wieder. Zum Zweiten brachte der böhmische Abgeordnete
Knotz zur Sprache, was seit Jahren auf vielen Lippen schwebte: wenn der
deutsche Klerus kein Herz zeigt für seine Nation, zur Unterdrückung derselben
die Hand bietet, so wird das Volk sich vou der katholische» Kirche lossagen und
ein Bekenntnis annehmen, innerhalb dessen es Verständnis für sein Vockstnm
erwarten darf. Die Geistlichkeit soll dergleichen Drohungen keine Bedeutung
beimessen, weil sie sich teils auf die Glaubenstreue, teils auf die Indifferenz
verläßt. Die Rechnung konnte jedoch täuschen. Gerade solche Gemeinden, welchen
die Religion Bedürfnis ist, dürften sich am ersten empören, wenn ihnen Priester
geschickt werden, die kaum ihre Sprache verstehen; und der Jndifferentismus
kann sich wenigstens darüber nicht täuschen, daß er die Macht seiner nationalen
Feinde verstärkt.

Den dritten Punkt regte ebenfalls Knotz an. Er behauptete, daß der
Nationalitätenhader sich bereits in das Heer verpflanzt habe. Ob die von ihm
angeführten Daten richtig sind oder nicht, wird sich zeigen, da der Minister-
Präsident deren aktenmäßige Widerlegung verheißen hat. Aber wenn er über¬
trieben haben, wenn von seinem Berichte nichts übrig bleiben sollte, wird er
immer den Abgeordneten Rieger als Eideshelfer anrufen können, der ausdrücklich
anerkannte, daß der Nativnalgcsinnte seine Überzeugung auch im Soldatenrocke
beibehalte. Wie sollen da Zwistigkeiten verhütet werden, wenn in den Bezirken
mit gemischter Nationalität von Kindesbeinen an der Haß genährt wird! Und
diese Thatsache ist ja leider nicht anzuzweifeln. Gewiß ist auch auf deutscher
Seite manche Schuld, aber von welcher in den meisten Fällen die Provokation
ausgeht, das haben Untersuchungen in Menge gezeigt, und darüber war von
jeher der Kenner der tschechischen Nationalität im klaren. Das alte Hussitentum
steckt diesen Leuten einmal im Blute, und sie werden nicht eher ruhen, als bis
über sie wieder einmal ein General Koller gesetzt wird. Sie geberden sich, als


Grenzboten IV. 1885. Ig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196999"/>
          <fw type="header" place="top"> Parlamentarisches aus «Österreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_831" prev="#ID_830"> Was nützt es? Polen, Tschechen, Slovenen und jene Deutschen, welchen die<lb/>
katholische Religion höher steht als die Nationalität, haben die Majorität.<lb/>
Und das Ministerium? Es läßt sich auf eine Erörterung des Kardinalpunktes<lb/>
garnicht mehr ein, stimmt aber mit der Rechten für die &#x201E;Erweiterung der Auto¬<lb/>
nomie" &#x2014; diesen Ausdruck hat man nämlich jetzt für die Umwandlung des<lb/>
Reiches in einen Bundesstaat, vielleicht Staatenbund, erfunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_832"> Aber gänzlich im Schweigen verharren konnte das Ministerium doch nicht.<lb/>
In beiden Häusern wurden neue Momente in die Debatte gebracht. Unger<lb/>
erklärte endlich einmal offen, daß die deutschen Autoren der Verfassung in ihrem<lb/>
doktrinären Liberalismus sich selbst die Rute gebunden, ihren geschworenen<lb/>
Feinden die Waffen geliefert haben. Das konnten sie freilich nicht ahnen, daß<lb/>
eine große Partei ohne Scheu derselben Verfassung die Anerkennung werde ver¬<lb/>
sagen dürfen, auf Grund deren sie ihre Plätze in der Versammlung einnimmt &#x2014;<lb/>
und zu solcher Vcrfafsuugstreue mit Vorbehalt bekannte sich der Abgeordnete<lb/>
Rieger auch diesmal wieder. Zum Zweiten brachte der böhmische Abgeordnete<lb/>
Knotz zur Sprache, was seit Jahren auf vielen Lippen schwebte: wenn der<lb/>
deutsche Klerus kein Herz zeigt für seine Nation, zur Unterdrückung derselben<lb/>
die Hand bietet, so wird das Volk sich vou der katholische» Kirche lossagen und<lb/>
ein Bekenntnis annehmen, innerhalb dessen es Verständnis für sein Vockstnm<lb/>
erwarten darf. Die Geistlichkeit soll dergleichen Drohungen keine Bedeutung<lb/>
beimessen, weil sie sich teils auf die Glaubenstreue, teils auf die Indifferenz<lb/>
verläßt. Die Rechnung konnte jedoch täuschen. Gerade solche Gemeinden, welchen<lb/>
die Religion Bedürfnis ist, dürften sich am ersten empören, wenn ihnen Priester<lb/>
geschickt werden, die kaum ihre Sprache verstehen; und der Jndifferentismus<lb/>
kann sich wenigstens darüber nicht täuschen, daß er die Macht seiner nationalen<lb/>
Feinde verstärkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_833" next="#ID_834"> Den dritten Punkt regte ebenfalls Knotz an. Er behauptete, daß der<lb/>
Nationalitätenhader sich bereits in das Heer verpflanzt habe. Ob die von ihm<lb/>
angeführten Daten richtig sind oder nicht, wird sich zeigen, da der Minister-<lb/>
Präsident deren aktenmäßige Widerlegung verheißen hat. Aber wenn er über¬<lb/>
trieben haben, wenn von seinem Berichte nichts übrig bleiben sollte, wird er<lb/>
immer den Abgeordneten Rieger als Eideshelfer anrufen können, der ausdrücklich<lb/>
anerkannte, daß der Nativnalgcsinnte seine Überzeugung auch im Soldatenrocke<lb/>
beibehalte. Wie sollen da Zwistigkeiten verhütet werden, wenn in den Bezirken<lb/>
mit gemischter Nationalität von Kindesbeinen an der Haß genährt wird! Und<lb/>
diese Thatsache ist ja leider nicht anzuzweifeln. Gewiß ist auch auf deutscher<lb/>
Seite manche Schuld, aber von welcher in den meisten Fällen die Provokation<lb/>
ausgeht, das haben Untersuchungen in Menge gezeigt, und darüber war von<lb/>
jeher der Kenner der tschechischen Nationalität im klaren. Das alte Hussitentum<lb/>
steckt diesen Leuten einmal im Blute, und sie werden nicht eher ruhen, als bis<lb/>
über sie wieder einmal ein General Koller gesetzt wird. Sie geberden sich, als</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1885. Ig</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0265] Parlamentarisches aus «Österreich. Was nützt es? Polen, Tschechen, Slovenen und jene Deutschen, welchen die katholische Religion höher steht als die Nationalität, haben die Majorität. Und das Ministerium? Es läßt sich auf eine Erörterung des Kardinalpunktes garnicht mehr ein, stimmt aber mit der Rechten für die „Erweiterung der Auto¬ nomie" — diesen Ausdruck hat man nämlich jetzt für die Umwandlung des Reiches in einen Bundesstaat, vielleicht Staatenbund, erfunden. Aber gänzlich im Schweigen verharren konnte das Ministerium doch nicht. In beiden Häusern wurden neue Momente in die Debatte gebracht. Unger erklärte endlich einmal offen, daß die deutschen Autoren der Verfassung in ihrem doktrinären Liberalismus sich selbst die Rute gebunden, ihren geschworenen Feinden die Waffen geliefert haben. Das konnten sie freilich nicht ahnen, daß eine große Partei ohne Scheu derselben Verfassung die Anerkennung werde ver¬ sagen dürfen, auf Grund deren sie ihre Plätze in der Versammlung einnimmt — und zu solcher Vcrfafsuugstreue mit Vorbehalt bekannte sich der Abgeordnete Rieger auch diesmal wieder. Zum Zweiten brachte der böhmische Abgeordnete Knotz zur Sprache, was seit Jahren auf vielen Lippen schwebte: wenn der deutsche Klerus kein Herz zeigt für seine Nation, zur Unterdrückung derselben die Hand bietet, so wird das Volk sich vou der katholische» Kirche lossagen und ein Bekenntnis annehmen, innerhalb dessen es Verständnis für sein Vockstnm erwarten darf. Die Geistlichkeit soll dergleichen Drohungen keine Bedeutung beimessen, weil sie sich teils auf die Glaubenstreue, teils auf die Indifferenz verläßt. Die Rechnung konnte jedoch täuschen. Gerade solche Gemeinden, welchen die Religion Bedürfnis ist, dürften sich am ersten empören, wenn ihnen Priester geschickt werden, die kaum ihre Sprache verstehen; und der Jndifferentismus kann sich wenigstens darüber nicht täuschen, daß er die Macht seiner nationalen Feinde verstärkt. Den dritten Punkt regte ebenfalls Knotz an. Er behauptete, daß der Nationalitätenhader sich bereits in das Heer verpflanzt habe. Ob die von ihm angeführten Daten richtig sind oder nicht, wird sich zeigen, da der Minister- Präsident deren aktenmäßige Widerlegung verheißen hat. Aber wenn er über¬ trieben haben, wenn von seinem Berichte nichts übrig bleiben sollte, wird er immer den Abgeordneten Rieger als Eideshelfer anrufen können, der ausdrücklich anerkannte, daß der Nativnalgcsinnte seine Überzeugung auch im Soldatenrocke beibehalte. Wie sollen da Zwistigkeiten verhütet werden, wenn in den Bezirken mit gemischter Nationalität von Kindesbeinen an der Haß genährt wird! Und diese Thatsache ist ja leider nicht anzuzweifeln. Gewiß ist auch auf deutscher Seite manche Schuld, aber von welcher in den meisten Fällen die Provokation ausgeht, das haben Untersuchungen in Menge gezeigt, und darüber war von jeher der Kenner der tschechischen Nationalität im klaren. Das alte Hussitentum steckt diesen Leuten einmal im Blute, und sie werden nicht eher ruhen, als bis über sie wieder einmal ein General Koller gesetzt wird. Sie geberden sich, als Grenzboten IV. 1885. Ig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/265
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/265>, abgerufen am 15.01.2025.