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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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parlamentarisches aus Österreich.

ob der genannte Statthalter sie mit Skorpionen gezüchtigt habe, allein er ver¬
hinderte nur Zustände, wie sie sich jetzt in Böhmen ausgebildet haben. Wer
unter Freiheit uur die Berechtigung versteht, den Andersgesinnten nieder¬
zuschlagen, der muß sich wohl einige Beschränkung gefallen lassen.

Genug, bei der Erwähnung der Militärverhältnisse verließ den Grafen
Taaffe der bis dahin bewahrte Gleichmut, mehr als das, der Minister ließ sich
von der Leidenschaft hinreißen. Nicht genug, daß er die von dem böhmischen
Abgeordneten angeführten Daten für unrichtig erklärte, warf er der Opposition
vor, sie suche den nationalen Zwist in die Armee zu verpflanze", wofür er keinen
Beweis beibringen konnte. Der durch seine Worte erregte Sturm wird sich
umsoweniger bald legen, als der Minister in den nächsten Sitzungen nicht erschien,
also die Linke nicht dazu kommen konnte, Erklärungen von ihm zu verlangen,
während die regierungsfreundliche Presse jene Anschuldigung wiederholt und
variirt. Auf jeden Fall ist wieder eine höchst peinliche Situation geschaffen
und dafür gesorgt, daß aufregende und tumultuarische Szenen sich wiederholen
müssen. Gesetzt, es ergäbe sich, daß die Reibungen und Schlägereien im Militär
rin der Nationalität nicht das mindeste zu schaffen haben: die Opposition wird
und kann die Anklage nicht ans sich sitzen lassen. Auf der andern Seite kann
doch der Minister sich nicht dem Standpunkt jener Tschechen anbequemen, welche
im deutschen Kommando -- wie die Handvoll Tschechen Schlesiens in den
Korrespondenzkarten mit deutschem Text! -- schon eine Verletzung der Gleich¬
berechtigung, eine Herabsetzung ihrer Nationalität erblicken.

Neulich ist im Abgeordnetenhause das Wort gefallen: "Kroatische Zu¬
stände!" In der That sucht man sich gegenseitig zu überschreien, kehrt sich nicht
an die Glocke des Präsidenten, und die Rechte soll auf Einführung einer straffem
Hausordnung sinnen. Aber damit, daß man Lärmmacher etwa abschließt, wird
die gegenseitige Erbitterung nicht gehoben. Vielleicht auch hofft man, daß die
Vertagung der Versammlung bis Januar zur Beruhigung der Gemüter bei¬
tragen werde, aber es ist schon früher hervorgehoben worden, daß nicht das
Parlament die Erregung in die Bevölkerung getragen hat, sondern umgekehrt.
Und wenn Jerome Napoleon dem französischen Parlamentarismus ein schlechtes
Horoskop stellt, weil "eine parlamentarische Regierung in einer Kammer, in
welcher die Feinde der gesetzlichen Verfassung ein Drittel der Mitglieder aus¬
machen, ein Unding ist," wie sind dann die Aussichten, wo diese Feinde über
die Mehrheit verfügen?




parlamentarisches aus Österreich.

ob der genannte Statthalter sie mit Skorpionen gezüchtigt habe, allein er ver¬
hinderte nur Zustände, wie sie sich jetzt in Böhmen ausgebildet haben. Wer
unter Freiheit uur die Berechtigung versteht, den Andersgesinnten nieder¬
zuschlagen, der muß sich wohl einige Beschränkung gefallen lassen.

Genug, bei der Erwähnung der Militärverhältnisse verließ den Grafen
Taaffe der bis dahin bewahrte Gleichmut, mehr als das, der Minister ließ sich
von der Leidenschaft hinreißen. Nicht genug, daß er die von dem böhmischen
Abgeordneten angeführten Daten für unrichtig erklärte, warf er der Opposition
vor, sie suche den nationalen Zwist in die Armee zu verpflanze«, wofür er keinen
Beweis beibringen konnte. Der durch seine Worte erregte Sturm wird sich
umsoweniger bald legen, als der Minister in den nächsten Sitzungen nicht erschien,
also die Linke nicht dazu kommen konnte, Erklärungen von ihm zu verlangen,
während die regierungsfreundliche Presse jene Anschuldigung wiederholt und
variirt. Auf jeden Fall ist wieder eine höchst peinliche Situation geschaffen
und dafür gesorgt, daß aufregende und tumultuarische Szenen sich wiederholen
müssen. Gesetzt, es ergäbe sich, daß die Reibungen und Schlägereien im Militär
rin der Nationalität nicht das mindeste zu schaffen haben: die Opposition wird
und kann die Anklage nicht ans sich sitzen lassen. Auf der andern Seite kann
doch der Minister sich nicht dem Standpunkt jener Tschechen anbequemen, welche
im deutschen Kommando — wie die Handvoll Tschechen Schlesiens in den
Korrespondenzkarten mit deutschem Text! — schon eine Verletzung der Gleich¬
berechtigung, eine Herabsetzung ihrer Nationalität erblicken.

Neulich ist im Abgeordnetenhause das Wort gefallen: „Kroatische Zu¬
stände!" In der That sucht man sich gegenseitig zu überschreien, kehrt sich nicht
an die Glocke des Präsidenten, und die Rechte soll auf Einführung einer straffem
Hausordnung sinnen. Aber damit, daß man Lärmmacher etwa abschließt, wird
die gegenseitige Erbitterung nicht gehoben. Vielleicht auch hofft man, daß die
Vertagung der Versammlung bis Januar zur Beruhigung der Gemüter bei¬
tragen werde, aber es ist schon früher hervorgehoben worden, daß nicht das
Parlament die Erregung in die Bevölkerung getragen hat, sondern umgekehrt.
Und wenn Jerome Napoleon dem französischen Parlamentarismus ein schlechtes
Horoskop stellt, weil „eine parlamentarische Regierung in einer Kammer, in
welcher die Feinde der gesetzlichen Verfassung ein Drittel der Mitglieder aus¬
machen, ein Unding ist," wie sind dann die Aussichten, wo diese Feinde über
die Mehrheit verfügen?




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[0266] parlamentarisches aus Österreich. ob der genannte Statthalter sie mit Skorpionen gezüchtigt habe, allein er ver¬ hinderte nur Zustände, wie sie sich jetzt in Böhmen ausgebildet haben. Wer unter Freiheit uur die Berechtigung versteht, den Andersgesinnten nieder¬ zuschlagen, der muß sich wohl einige Beschränkung gefallen lassen. Genug, bei der Erwähnung der Militärverhältnisse verließ den Grafen Taaffe der bis dahin bewahrte Gleichmut, mehr als das, der Minister ließ sich von der Leidenschaft hinreißen. Nicht genug, daß er die von dem böhmischen Abgeordneten angeführten Daten für unrichtig erklärte, warf er der Opposition vor, sie suche den nationalen Zwist in die Armee zu verpflanze«, wofür er keinen Beweis beibringen konnte. Der durch seine Worte erregte Sturm wird sich umsoweniger bald legen, als der Minister in den nächsten Sitzungen nicht erschien, also die Linke nicht dazu kommen konnte, Erklärungen von ihm zu verlangen, während die regierungsfreundliche Presse jene Anschuldigung wiederholt und variirt. Auf jeden Fall ist wieder eine höchst peinliche Situation geschaffen und dafür gesorgt, daß aufregende und tumultuarische Szenen sich wiederholen müssen. Gesetzt, es ergäbe sich, daß die Reibungen und Schlägereien im Militär rin der Nationalität nicht das mindeste zu schaffen haben: die Opposition wird und kann die Anklage nicht ans sich sitzen lassen. Auf der andern Seite kann doch der Minister sich nicht dem Standpunkt jener Tschechen anbequemen, welche im deutschen Kommando — wie die Handvoll Tschechen Schlesiens in den Korrespondenzkarten mit deutschem Text! — schon eine Verletzung der Gleich¬ berechtigung, eine Herabsetzung ihrer Nationalität erblicken. Neulich ist im Abgeordnetenhause das Wort gefallen: „Kroatische Zu¬ stände!" In der That sucht man sich gegenseitig zu überschreien, kehrt sich nicht an die Glocke des Präsidenten, und die Rechte soll auf Einführung einer straffem Hausordnung sinnen. Aber damit, daß man Lärmmacher etwa abschließt, wird die gegenseitige Erbitterung nicht gehoben. Vielleicht auch hofft man, daß die Vertagung der Versammlung bis Januar zur Beruhigung der Gemüter bei¬ tragen werde, aber es ist schon früher hervorgehoben worden, daß nicht das Parlament die Erregung in die Bevölkerung getragen hat, sondern umgekehrt. Und wenn Jerome Napoleon dem französischen Parlamentarismus ein schlechtes Horoskop stellt, weil „eine parlamentarische Regierung in einer Kammer, in welcher die Feinde der gesetzlichen Verfassung ein Drittel der Mitglieder aus¬ machen, ein Unding ist," wie sind dann die Aussichten, wo diese Feinde über die Mehrheit verfügen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/266>, abgerufen am 15.01.2025.