Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Parlamentarisches aus (Österreich. "Deutschen Klub" gefaßt, in welchem sich die Anhänger der "schärfern Ton¬ Parlamentarisches aus (Österreich. „Deutschen Klub" gefaßt, in welchem sich die Anhänger der „schärfern Ton¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196998"/> <fw type="header" place="top"> Parlamentarisches aus (Österreich.</fw><lb/> <p xml:id="ID_830" prev="#ID_829" next="#ID_831"> „Deutschen Klub" gefaßt, in welchem sich die Anhänger der „schärfern Ton¬<lb/> art" vereinigt haben, und eben dieser Gruppe waren zahlreiche neue Mitglieder,<lb/> besonders aus Böhmen, Niederösterreich, Steiermark, zugewachsen, deren Ab¬<lb/> neigung gegen die diplomatisirenden „gewesenen und zukünftigen Minister" wohl<lb/> das eigentliche Hindernis des Wiedererstehens der „Vereinigten Linken" war.<lb/> Allein die Heißsporne haben nichts mehr voraus, wenn selbst ein so vorsichtiger<lb/> und weltkluger Mann wie der einstige „ Sprcchministcr" des zweiten Aner-<lb/> spcrgschcn Kabinets, Unger, im Herrenhause ziemlich direkt die jetzige Regierung<lb/> beschuldigt, sie arbeite auf den Zerfall Österreichs los, und im Abgeordneten¬<lb/> hause die vehementesten Angriffe von dem jüngern Pierer ausgehen, welcher vor<lb/> sechs Jahren, als es sich um die Anerkennung des Berliner Vertrages handelte,<lb/> eine staatsmännischere Haltung beobachtete als die übrigen Führer der Oppo¬<lb/> sition, und dessen Eintritt in ein Ministerium der Vermittlung damals für<lb/> möglich gehalten wurde. Abgesehen von kleineren Plänkeleien ist Böhmen wieder<lb/> das Schlachtfeld, wozu dieses Land min einmal auserkoren ist. Aber da schlagen<lb/> nicht bloß die beiden großen Parteien ans einander los, sondern beide vereint<lb/> auf das Ministerium. Klagt die eine den Grafen Taaffe an, das Deutschtum<lb/> in Böhmen den Tschechen auszuliefern, so beschwert sich die andre, er thue in<lb/> dieser Richtung noch lange nicht genug, und sie unterstütze ihn mir in der<lb/> Hoffnung, daß er sich bessern werde. Erklärt die eine, daß sie mit ihrer Na¬<lb/> tionalität zugleich den österreichischen Staatsgedanken verteidige, und beruft sich<lb/> dabei auf die Zeit von Ferdinand II. bis zu Joseph II., so belehrt uns die andre,<lb/> daß der österreichische Staatsgedanke überhaupt erst verkörpert werden solle,<lb/> nämlich im Föderativsystem. Ob alle, die diesem Ziele zusteuern, sich eine deut¬<lb/> liche Vorstellung davon machen, wie der österreichische Staat ihrer Träume<lb/> aussehen, wie er regiert werden solle, das ist wohl sehr fraglich. Zunächst will<lb/> die Herrschbegier befriedigt sein. Tschechen und Slovenen benehmen sich wie<lb/> die Kinder, welche wünschen „groß" zu sein, weil sie dann nicht mehr in die<lb/> Schule zu gehen brauchen und alle Tage Kuchen essen können. Die Polen sind<lb/> schon „groß," sie dürfen thun, was ihnen beliebt, und wenn sie Geld brauchen,<lb/> muß der Nachbar sichs zur Ehre schätzen, es ihnen zu verschaffen. Dabei bessert<lb/> sich, wie Fürst Georg Czartoryski sagt, das Verhältnis zwischen Polen und<lb/> Ruthenen zusehends, das heißt, der polnische Terrorismus hat es glücklich dahin<lb/> gebracht, daß das ganze ruthenische Volk nur noch einen Vertreter im Reichs¬<lb/> rate hat — sollte es gelingen, auch diesen einen noch zu verdrängen, so würde<lb/> die Harmonie zwischen beiden Stämmen nichts mehr zu wünschen lassen! Der<lb/> eine Ruthcnc freilich, und die nichtslawischen südländischen Abgeordneten wollen<lb/> von der slawischen „Autonomie" nichts wissen, sie rechnen auf bessern Schutz<lb/> bei dem Zentralismus und den Deutschen, und auch die kleinen Fraktionen der<lb/> „Demokraten" und der „Antisemiten" halten in dieser Hauptfrage zur Linken,<lb/> von der sie sonst durch allerlei Meinungsverschiedenheiten getrennt sind. Aber</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0264]
Parlamentarisches aus (Österreich.
„Deutschen Klub" gefaßt, in welchem sich die Anhänger der „schärfern Ton¬
art" vereinigt haben, und eben dieser Gruppe waren zahlreiche neue Mitglieder,
besonders aus Böhmen, Niederösterreich, Steiermark, zugewachsen, deren Ab¬
neigung gegen die diplomatisirenden „gewesenen und zukünftigen Minister" wohl
das eigentliche Hindernis des Wiedererstehens der „Vereinigten Linken" war.
Allein die Heißsporne haben nichts mehr voraus, wenn selbst ein so vorsichtiger
und weltkluger Mann wie der einstige „ Sprcchministcr" des zweiten Aner-
spcrgschcn Kabinets, Unger, im Herrenhause ziemlich direkt die jetzige Regierung
beschuldigt, sie arbeite auf den Zerfall Österreichs los, und im Abgeordneten¬
hause die vehementesten Angriffe von dem jüngern Pierer ausgehen, welcher vor
sechs Jahren, als es sich um die Anerkennung des Berliner Vertrages handelte,
eine staatsmännischere Haltung beobachtete als die übrigen Führer der Oppo¬
sition, und dessen Eintritt in ein Ministerium der Vermittlung damals für
möglich gehalten wurde. Abgesehen von kleineren Plänkeleien ist Böhmen wieder
das Schlachtfeld, wozu dieses Land min einmal auserkoren ist. Aber da schlagen
nicht bloß die beiden großen Parteien ans einander los, sondern beide vereint
auf das Ministerium. Klagt die eine den Grafen Taaffe an, das Deutschtum
in Böhmen den Tschechen auszuliefern, so beschwert sich die andre, er thue in
dieser Richtung noch lange nicht genug, und sie unterstütze ihn mir in der
Hoffnung, daß er sich bessern werde. Erklärt die eine, daß sie mit ihrer Na¬
tionalität zugleich den österreichischen Staatsgedanken verteidige, und beruft sich
dabei auf die Zeit von Ferdinand II. bis zu Joseph II., so belehrt uns die andre,
daß der österreichische Staatsgedanke überhaupt erst verkörpert werden solle,
nämlich im Föderativsystem. Ob alle, die diesem Ziele zusteuern, sich eine deut¬
liche Vorstellung davon machen, wie der österreichische Staat ihrer Träume
aussehen, wie er regiert werden solle, das ist wohl sehr fraglich. Zunächst will
die Herrschbegier befriedigt sein. Tschechen und Slovenen benehmen sich wie
die Kinder, welche wünschen „groß" zu sein, weil sie dann nicht mehr in die
Schule zu gehen brauchen und alle Tage Kuchen essen können. Die Polen sind
schon „groß," sie dürfen thun, was ihnen beliebt, und wenn sie Geld brauchen,
muß der Nachbar sichs zur Ehre schätzen, es ihnen zu verschaffen. Dabei bessert
sich, wie Fürst Georg Czartoryski sagt, das Verhältnis zwischen Polen und
Ruthenen zusehends, das heißt, der polnische Terrorismus hat es glücklich dahin
gebracht, daß das ganze ruthenische Volk nur noch einen Vertreter im Reichs¬
rate hat — sollte es gelingen, auch diesen einen noch zu verdrängen, so würde
die Harmonie zwischen beiden Stämmen nichts mehr zu wünschen lassen! Der
eine Ruthcnc freilich, und die nichtslawischen südländischen Abgeordneten wollen
von der slawischen „Autonomie" nichts wissen, sie rechnen auf bessern Schutz
bei dem Zentralismus und den Deutschen, und auch die kleinen Fraktionen der
„Demokraten" und der „Antisemiten" halten in dieser Hauptfrage zur Linken,
von der sie sonst durch allerlei Meinungsverschiedenheiten getrennt sind. Aber
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