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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Parlamentarisches ans (Österreich.

tivirnng: Brangüuc, in ihrer Einfalt, schreibt sich die Schuld zu, daß das Paar
den bösen Licbestrank getrunken und also schuldlos schuldig geworden sei; als
"Buße" nimmt sie die Stellvertretung Isoldens auf sich! Und nun ist die Kon¬
stellation die: Isolde bleibt vor ihrem eignen Gewissen und dem des Zuschauers
die makellose Gattin Tristans, denn sophistisch legt sie den Trauungsakt Hintennach
so aus; vor der Welt freilich, vor dem Hofe und in den Augen Markes selbst ist
sie seine königliche Gemahlin. Als nun Tristan und Isolde ihr verliebtes Spiel
beginnen, zum Skandal der ganzen Welt, aber nicht des sittsamen und eingeweihten
Zuschauers, der das Mißverständnis erkennt, da geschieht zwischen Marke und
Braugäne -- mirMIs äiow! -- auch eine verliebte Annäherung.


Muß nicht das Wild, und wollt' es nimmer mich,
Den lieben, der zum Weib es hat gemacht?

In dieser rein animalischen Weise erklärt des Königs wahres "Weibchen" seine
Liebe zu diesem, und Roher, der sich über die Unsittlichkeit des Epos aufhielt,
sieht nicht, daß er den Zuschauer fortwährend auf die heikelsten Punkte der
Handlung so recht mit dein Finger hinweist, ihm die na-wralia, immer vor Angen
bringt und das sittliche Gefühl noch mehr verletzt, welches der Leidenschaft alles,
der Berechnung nichts verzeiht! Doch weiter: als die Leiden des Paares aufs
Höchste gestiegen sind, da endlich entschließt sich die gute Braugäne -- bevor sie,
wie sie entschlossen ist, ins Kloster geht --, dem König Marke alles zu gestehen.
Und wahrhaftig: es ist, als ob er so etwas schon längst geahnt hätte! Er ist ganz
einverstanden mit der enthüllten Wirklichkeit, sie ist ihm auch, offen gesagt, lieber,
denn Braugäne ist eine musterhafte Haushälterin, und Isolde ist doch gar zu grob
mit ihm gewesen! Schon null er Tristan alles verzeihen und seinen Bund mit
Isolden anerkennen, da leider ist es zu spät: jener stirbt an dem Gifte, welches
Isolde allein unschädlich machen kann, diese kommt zu spät herzu und bricht tot
zusammen. .König Marke aber verkündet seine Hochzeit mit der bußfertigen
Brcmgäne. Ist das nicht der Ausgang einer Komödie der Irrungen? Statt
aller tragischen Empfindung drängt sich am Schlüsse uur die eine ironische Frage
auf: Warum hat die gute Braugäne nicht eine Viertelstunde früher ihr Geheimnis
verraten? Dann wäre noch alles schön und recht geworden, und wir hätten zwei
Hochzeiten haben können.




Parlamentarisches aus Osterreich.

chvn am Schlüsse der letzten Ncichsratsperiode war man allge¬
mein überzeugt, daß in der neuen Versammlung die politisch-
nationalen Gegensätze noch stärker als bisher hervortreten würden,
und die Wahlkämpfe erhoben diese Voraussicht zur Gewißheit.
I Aber die Erbitterung, mit welcher die Adreßdcbatte geführt worden
ist, übertrifft doch alle Erwartungen. Auf heftige Ausbrüche war man beim


Parlamentarisches ans (Österreich.

tivirnng: Brangüuc, in ihrer Einfalt, schreibt sich die Schuld zu, daß das Paar
den bösen Licbestrank getrunken und also schuldlos schuldig geworden sei; als
„Buße" nimmt sie die Stellvertretung Isoldens auf sich! Und nun ist die Kon¬
stellation die: Isolde bleibt vor ihrem eignen Gewissen und dem des Zuschauers
die makellose Gattin Tristans, denn sophistisch legt sie den Trauungsakt Hintennach
so aus; vor der Welt freilich, vor dem Hofe und in den Augen Markes selbst ist
sie seine königliche Gemahlin. Als nun Tristan und Isolde ihr verliebtes Spiel
beginnen, zum Skandal der ganzen Welt, aber nicht des sittsamen und eingeweihten
Zuschauers, der das Mißverständnis erkennt, da geschieht zwischen Marke und
Braugäne — mirMIs äiow! — auch eine verliebte Annäherung.


Muß nicht das Wild, und wollt' es nimmer mich,
Den lieben, der zum Weib es hat gemacht?

In dieser rein animalischen Weise erklärt des Königs wahres „Weibchen" seine
Liebe zu diesem, und Roher, der sich über die Unsittlichkeit des Epos aufhielt,
sieht nicht, daß er den Zuschauer fortwährend auf die heikelsten Punkte der
Handlung so recht mit dein Finger hinweist, ihm die na-wralia, immer vor Angen
bringt und das sittliche Gefühl noch mehr verletzt, welches der Leidenschaft alles,
der Berechnung nichts verzeiht! Doch weiter: als die Leiden des Paares aufs
Höchste gestiegen sind, da endlich entschließt sich die gute Braugäne — bevor sie,
wie sie entschlossen ist, ins Kloster geht —, dem König Marke alles zu gestehen.
Und wahrhaftig: es ist, als ob er so etwas schon längst geahnt hätte! Er ist ganz
einverstanden mit der enthüllten Wirklichkeit, sie ist ihm auch, offen gesagt, lieber,
denn Braugäne ist eine musterhafte Haushälterin, und Isolde ist doch gar zu grob
mit ihm gewesen! Schon null er Tristan alles verzeihen und seinen Bund mit
Isolden anerkennen, da leider ist es zu spät: jener stirbt an dem Gifte, welches
Isolde allein unschädlich machen kann, diese kommt zu spät herzu und bricht tot
zusammen. .König Marke aber verkündet seine Hochzeit mit der bußfertigen
Brcmgäne. Ist das nicht der Ausgang einer Komödie der Irrungen? Statt
aller tragischen Empfindung drängt sich am Schlüsse uur die eine ironische Frage
auf: Warum hat die gute Braugäne nicht eine Viertelstunde früher ihr Geheimnis
verraten? Dann wäre noch alles schön und recht geworden, und wir hätten zwei
Hochzeiten haben können.




Parlamentarisches aus Osterreich.

chvn am Schlüsse der letzten Ncichsratsperiode war man allge¬
mein überzeugt, daß in der neuen Versammlung die politisch-
nationalen Gegensätze noch stärker als bisher hervortreten würden,
und die Wahlkämpfe erhoben diese Voraussicht zur Gewißheit.
I Aber die Erbitterung, mit welcher die Adreßdcbatte geführt worden
ist, übertrifft doch alle Erwartungen. Auf heftige Ausbrüche war man beim


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[0263] Parlamentarisches ans (Österreich. tivirnng: Brangüuc, in ihrer Einfalt, schreibt sich die Schuld zu, daß das Paar den bösen Licbestrank getrunken und also schuldlos schuldig geworden sei; als „Buße" nimmt sie die Stellvertretung Isoldens auf sich! Und nun ist die Kon¬ stellation die: Isolde bleibt vor ihrem eignen Gewissen und dem des Zuschauers die makellose Gattin Tristans, denn sophistisch legt sie den Trauungsakt Hintennach so aus; vor der Welt freilich, vor dem Hofe und in den Augen Markes selbst ist sie seine königliche Gemahlin. Als nun Tristan und Isolde ihr verliebtes Spiel beginnen, zum Skandal der ganzen Welt, aber nicht des sittsamen und eingeweihten Zuschauers, der das Mißverständnis erkennt, da geschieht zwischen Marke und Braugäne — mirMIs äiow! — auch eine verliebte Annäherung. Muß nicht das Wild, und wollt' es nimmer mich, Den lieben, der zum Weib es hat gemacht? In dieser rein animalischen Weise erklärt des Königs wahres „Weibchen" seine Liebe zu diesem, und Roher, der sich über die Unsittlichkeit des Epos aufhielt, sieht nicht, daß er den Zuschauer fortwährend auf die heikelsten Punkte der Handlung so recht mit dein Finger hinweist, ihm die na-wralia, immer vor Angen bringt und das sittliche Gefühl noch mehr verletzt, welches der Leidenschaft alles, der Berechnung nichts verzeiht! Doch weiter: als die Leiden des Paares aufs Höchste gestiegen sind, da endlich entschließt sich die gute Braugäne — bevor sie, wie sie entschlossen ist, ins Kloster geht —, dem König Marke alles zu gestehen. Und wahrhaftig: es ist, als ob er so etwas schon längst geahnt hätte! Er ist ganz einverstanden mit der enthüllten Wirklichkeit, sie ist ihm auch, offen gesagt, lieber, denn Braugäne ist eine musterhafte Haushälterin, und Isolde ist doch gar zu grob mit ihm gewesen! Schon null er Tristan alles verzeihen und seinen Bund mit Isolden anerkennen, da leider ist es zu spät: jener stirbt an dem Gifte, welches Isolde allein unschädlich machen kann, diese kommt zu spät herzu und bricht tot zusammen. .König Marke aber verkündet seine Hochzeit mit der bußfertigen Brcmgäne. Ist das nicht der Ausgang einer Komödie der Irrungen? Statt aller tragischen Empfindung drängt sich am Schlüsse uur die eine ironische Frage auf: Warum hat die gute Braugäne nicht eine Viertelstunde früher ihr Geheimnis verraten? Dann wäre noch alles schön und recht geworden, und wir hätten zwei Hochzeiten haben können. Parlamentarisches aus Osterreich. chvn am Schlüsse der letzten Ncichsratsperiode war man allge¬ mein überzeugt, daß in der neuen Versammlung die politisch- nationalen Gegensätze noch stärker als bisher hervortreten würden, und die Wahlkämpfe erhoben diese Voraussicht zur Gewißheit. I Aber die Erbitterung, mit welcher die Adreßdcbatte geführt worden ist, übertrifft doch alle Erwartungen. Auf heftige Ausbrüche war man beim

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/263>, abgerufen am 15.01.2025.