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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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im Kinde lind in den Eltern eine erhöhte Freude am Schulbesuch zu erwecken
und eine rationelle Verteilung des Unterrichtsstoffes zu ermitteln. Hieraus
ergiebt sich als erste Notwendigkeit, das Literatentum auf etwa zwei bis drei
Jahre zu verschieben, sodaß also Lesen und Schreiben vor dem achten oder
neunten Jahre nicht gelehrt werden dürfen. Aber auch die Grammatik, als
Analytik der Sprache, soll erst in den letzten Schuljahren und zwar nur in
mäßiger Ausdehnung betrieben werden.

Um auch die falschen Vorstellungen des Volkes vom Wesen und von der
Bedeutung des Staates zu berichtigen, hält der Verfasser eine Ergänzung des
Geschichtsunterrichtes für notwendig, aber auch hierfür eignen sich nur die letzten
Schuljahre. Schließlich spricht sich der Verfasser mit allem Nachdruck zugunsten
des Handfertigkeitsunterrichtes, sowie der Fröbelschen Kindergärten aus.

Den Abschluß des Buches bilden vier Schultabellen, welche zunächst den
Schumannschen'Stundenplan, sodann den eignen Entwurf des Verfassers im
Sinne obiger Grundgedanken für die unterste und die nächstobere Klasse dar¬
stellen.

Referent, welchem dieses Thema keineswegs fremd ist, da er sich vor bald
einem halben Jahrhundert (1840) an der durch die Lvrinscrsche Schrift ange¬
regten Polemik gegen die moderne Schule beteiligt hatte/) bedauert noch heute,
daß die damaligen Anstrengungen der Ärzte und Physiologen so wenig Erfolg
gehabt haben, da höchstens die Kinderschulen seither eine größere Verbreitung
gewannen, und befürwortet die durchaus rationellen Vorschläge des Verfassers
umso nachdrücklicher, als sie mit den älteren wesentlich übereinstimmen.

Dem hier in möglichst gedrängter Form dargestellten Inhalt der verdienst¬
vollen Schrift des Verfassers will nun Referent seine Darlegung der Psycho¬
logischen Bedeutung der Wildlinge folgen lassen.

So dürftig auch die Nachrichten über die Mehrheit der Wildlinge sind,
so reichen sie doch aus, ein vollkommen befriedigendes, wohlabgcrundctes
Charakterbild der Gesamterscheinung abzugeben. Hätten sich die Naturforscher,
welche nach Linne dieselben zum Gegenstände ihrer Kritik gemacht haben, an
dieses Charakterbild gehalten, so wäre es ihnen nicht begegnet, die feststehende
Thatsache mit Subtilitäten und Sophismen anzuzweifeln und dadurch ihrem
sonst wohlverdienten Nachruhm Eintrag zu thun. In erster Linie ist es
Blumenbach, in zweiter Schreber, der Verfasser eines tüchtigen zoologischen
Kompendiums, in dritter Linie Rudolphi, der seinerzeit hoch angesehene Phy¬
siolog?, welche sich in dieser Weise an einer geschichtlichen Thatsache versündigten.
Blumenbach bekämpfte sie mehr mit wohlfeilen Späßen als mit sachlichen Gründen,
Schreber mit Spitzfindigkeiten, und Rudolphi erklärte sogar den Nachweis über



*) Zur Reform des öffentlichen Unterrichtes. Eine piidmniiiische Abhandlung. Von
Dr. A. Krauß. 1840.
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im Kinde lind in den Eltern eine erhöhte Freude am Schulbesuch zu erwecken
und eine rationelle Verteilung des Unterrichtsstoffes zu ermitteln. Hieraus
ergiebt sich als erste Notwendigkeit, das Literatentum auf etwa zwei bis drei
Jahre zu verschieben, sodaß also Lesen und Schreiben vor dem achten oder
neunten Jahre nicht gelehrt werden dürfen. Aber auch die Grammatik, als
Analytik der Sprache, soll erst in den letzten Schuljahren und zwar nur in
mäßiger Ausdehnung betrieben werden.

Um auch die falschen Vorstellungen des Volkes vom Wesen und von der
Bedeutung des Staates zu berichtigen, hält der Verfasser eine Ergänzung des
Geschichtsunterrichtes für notwendig, aber auch hierfür eignen sich nur die letzten
Schuljahre. Schließlich spricht sich der Verfasser mit allem Nachdruck zugunsten
des Handfertigkeitsunterrichtes, sowie der Fröbelschen Kindergärten aus.

Den Abschluß des Buches bilden vier Schultabellen, welche zunächst den
Schumannschen'Stundenplan, sodann den eignen Entwurf des Verfassers im
Sinne obiger Grundgedanken für die unterste und die nächstobere Klasse dar¬
stellen.

Referent, welchem dieses Thema keineswegs fremd ist, da er sich vor bald
einem halben Jahrhundert (1840) an der durch die Lvrinscrsche Schrift ange¬
regten Polemik gegen die moderne Schule beteiligt hatte/) bedauert noch heute,
daß die damaligen Anstrengungen der Ärzte und Physiologen so wenig Erfolg
gehabt haben, da höchstens die Kinderschulen seither eine größere Verbreitung
gewannen, und befürwortet die durchaus rationellen Vorschläge des Verfassers
umso nachdrücklicher, als sie mit den älteren wesentlich übereinstimmen.

Dem hier in möglichst gedrängter Form dargestellten Inhalt der verdienst¬
vollen Schrift des Verfassers will nun Referent seine Darlegung der Psycho¬
logischen Bedeutung der Wildlinge folgen lassen.

So dürftig auch die Nachrichten über die Mehrheit der Wildlinge sind,
so reichen sie doch aus, ein vollkommen befriedigendes, wohlabgcrundctes
Charakterbild der Gesamterscheinung abzugeben. Hätten sich die Naturforscher,
welche nach Linne dieselben zum Gegenstände ihrer Kritik gemacht haben, an
dieses Charakterbild gehalten, so wäre es ihnen nicht begegnet, die feststehende
Thatsache mit Subtilitäten und Sophismen anzuzweifeln und dadurch ihrem
sonst wohlverdienten Nachruhm Eintrag zu thun. In erster Linie ist es
Blumenbach, in zweiter Schreber, der Verfasser eines tüchtigen zoologischen
Kompendiums, in dritter Linie Rudolphi, der seinerzeit hoch angesehene Phy¬
siolog?, welche sich in dieser Weise an einer geschichtlichen Thatsache versündigten.
Blumenbach bekämpfte sie mehr mit wohlfeilen Späßen als mit sachlichen Gründen,
Schreber mit Spitzfindigkeiten, und Rudolphi erklärte sogar den Nachweis über



*) Zur Reform des öffentlichen Unterrichtes. Eine piidmniiiische Abhandlung. Von
Dr. A. Krauß. 1840.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/184>, abgerufen am 15.01.2025.