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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die sogenannte öffentliche Meinung.

verschiedensten Stellung, des verschiedensten Alters und der verschiedensten poli¬
tischen und künstlerischen Anschauung stattgefunden. Da machte ich nun die Ent¬
deckung, daß deren Urteil durchaus nicht dein der Presse entsprach. Viele glaubten
in der That an die Schuld des Angeklagten im Sinne des Strafgesetzes, alle aber
erachteten ihn der öffentlichen Sympathie nicht für würdig. Ja, aber die
Zeitungen sprachen doch von der "öffentlichen Meinung!" Ich wurde nun neu¬
gierig, diese kennen zu lernen; allein wer, so wie ich, in einem sehr ernsten
Berufe arbeitet, der kommt nicht leicht dazu, so mysteriöse Bekanntschaften zu
machen, und die anstrengende Tagesarbeit läßt auch oft solche Allotria vergessen.

Da ging ich neulich abends in die Vorstellung des Ofseubachschen "Orpheus
in der Unterwelt," es war so eine Art Rückkehr zur I'emtÄim Irsvi, nach Paul
Lindau auch Jungbrunnen genannt. Ich hatte nämlich heimlicherweise als
sekundärer diese Aufführung einmal gesehen und erinnerte mich, daß diese
Osfenbachiade einen außerordentlichen Eindruck auf mich gemacht hatte. Die
"Götter Griechenlands" standen, obgleich wir doch schon aus dem Homer
mancherlei Freimütiges über sie erfahren hatten, in hohem Respekt. Nun denke
man sich die Wirkung, als Juppiter sich eine Prise nahm und der gefürchtete
Sthx als Kammerdiener Plutos erschien. Ich will zwar gewiß nicht die Offen-
bachiaden als Erziehungsmittel preisen, auch nicht bestreiten, daß ich vielleicht
besser hätte werden können -- aru'n, ich hielt den OrMöö MX öirter" zwar für
eine lockere, aber doch sehr witzige Parodie und ging wieder hin. Auf die
Einzelheiten des Stückes konnte ich mich nicht mehr besinnen, aber siehe da, als der
Vorhang aufging, präsentirte sich mir: die "öffentliche Meinung." Wollte ich
beschreiben, wie sie äußerlich auftrat und sich zeigte, so würden die freundlichen
Leser dieser Zeilen vielleicht ebensowenig davon erbaut sein, wie ich es war.
Aber was sie saug, war doch bemerkenswert; in den Griechenzciten -- meinte
sie -- habe der Chor die Thaten der Mächtigen rritisirt, an seine Stelle sei
heute die "öffentliche Meinung" getreten.

Mir schien diese Bemerkung recht fein; der Chor der griechischen Tragödie
ist in der That daza bestimmt, den Reflex darzustellen, welchen die Handlungen
der Mächtigen ans das Volk üben. Dieser Chor bildet gleichsam einen Aus¬
schuß des Publikums, eine Art parlamentarischer Kommission der Zuschauer und
soll die Meinung der letzteren über die einzelnen Charaktere der dargestellten
Personen aufklären. Aber der griechische Chor besteht nicht Me-nrölö aus dem
ganzen Volte, sondern nur ans bestimmten Teilen, insbesondre aus solchen,
welche die Vorgänge des Stückes interessiren müssen. Mir schien bei weiteren
Nachdenken daraus hervorzugehen, daß die "öffentliche Meinung" doch nur die
allgemeine Meinung von Kreisen sein könne, denen ein bestimmter Vorgang
Teilnahme einflößt. Der Ausdruck "öffentliche Meinung" ist also ein stark
übertriebener. Zwar giebt es auch Dinge, welche ein ganzes Volk zu erschüttern
vermöge", es in allen seinen Teilen und in jedem Einzelnen treffen und zu ge-


Die sogenannte öffentliche Meinung.

verschiedensten Stellung, des verschiedensten Alters und der verschiedensten poli¬
tischen und künstlerischen Anschauung stattgefunden. Da machte ich nun die Ent¬
deckung, daß deren Urteil durchaus nicht dein der Presse entsprach. Viele glaubten
in der That an die Schuld des Angeklagten im Sinne des Strafgesetzes, alle aber
erachteten ihn der öffentlichen Sympathie nicht für würdig. Ja, aber die
Zeitungen sprachen doch von der „öffentlichen Meinung!" Ich wurde nun neu¬
gierig, diese kennen zu lernen; allein wer, so wie ich, in einem sehr ernsten
Berufe arbeitet, der kommt nicht leicht dazu, so mysteriöse Bekanntschaften zu
machen, und die anstrengende Tagesarbeit läßt auch oft solche Allotria vergessen.

Da ging ich neulich abends in die Vorstellung des Ofseubachschen „Orpheus
in der Unterwelt," es war so eine Art Rückkehr zur I'emtÄim Irsvi, nach Paul
Lindau auch Jungbrunnen genannt. Ich hatte nämlich heimlicherweise als
sekundärer diese Aufführung einmal gesehen und erinnerte mich, daß diese
Osfenbachiade einen außerordentlichen Eindruck auf mich gemacht hatte. Die
„Götter Griechenlands" standen, obgleich wir doch schon aus dem Homer
mancherlei Freimütiges über sie erfahren hatten, in hohem Respekt. Nun denke
man sich die Wirkung, als Juppiter sich eine Prise nahm und der gefürchtete
Sthx als Kammerdiener Plutos erschien. Ich will zwar gewiß nicht die Offen-
bachiaden als Erziehungsmittel preisen, auch nicht bestreiten, daß ich vielleicht
besser hätte werden können — aru'n, ich hielt den OrMöö MX öirter» zwar für
eine lockere, aber doch sehr witzige Parodie und ging wieder hin. Auf die
Einzelheiten des Stückes konnte ich mich nicht mehr besinnen, aber siehe da, als der
Vorhang aufging, präsentirte sich mir: die „öffentliche Meinung." Wollte ich
beschreiben, wie sie äußerlich auftrat und sich zeigte, so würden die freundlichen
Leser dieser Zeilen vielleicht ebensowenig davon erbaut sein, wie ich es war.
Aber was sie saug, war doch bemerkenswert; in den Griechenzciten — meinte
sie — habe der Chor die Thaten der Mächtigen rritisirt, an seine Stelle sei
heute die „öffentliche Meinung" getreten.

Mir schien diese Bemerkung recht fein; der Chor der griechischen Tragödie
ist in der That daza bestimmt, den Reflex darzustellen, welchen die Handlungen
der Mächtigen ans das Volk üben. Dieser Chor bildet gleichsam einen Aus¬
schuß des Publikums, eine Art parlamentarischer Kommission der Zuschauer und
soll die Meinung der letzteren über die einzelnen Charaktere der dargestellten
Personen aufklären. Aber der griechische Chor besteht nicht Me-nrölö aus dem
ganzen Volte, sondern nur ans bestimmten Teilen, insbesondre aus solchen,
welche die Vorgänge des Stückes interessiren müssen. Mir schien bei weiteren
Nachdenken daraus hervorzugehen, daß die „öffentliche Meinung" doch nur die
allgemeine Meinung von Kreisen sein könne, denen ein bestimmter Vorgang
Teilnahme einflößt. Der Ausdruck „öffentliche Meinung" ist also ein stark
übertriebener. Zwar giebt es auch Dinge, welche ein ganzes Volk zu erschüttern
vermöge», es in allen seinen Teilen und in jedem Einzelnen treffen und zu ge-


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[0178] Die sogenannte öffentliche Meinung. verschiedensten Stellung, des verschiedensten Alters und der verschiedensten poli¬ tischen und künstlerischen Anschauung stattgefunden. Da machte ich nun die Ent¬ deckung, daß deren Urteil durchaus nicht dein der Presse entsprach. Viele glaubten in der That an die Schuld des Angeklagten im Sinne des Strafgesetzes, alle aber erachteten ihn der öffentlichen Sympathie nicht für würdig. Ja, aber die Zeitungen sprachen doch von der „öffentlichen Meinung!" Ich wurde nun neu¬ gierig, diese kennen zu lernen; allein wer, so wie ich, in einem sehr ernsten Berufe arbeitet, der kommt nicht leicht dazu, so mysteriöse Bekanntschaften zu machen, und die anstrengende Tagesarbeit läßt auch oft solche Allotria vergessen. Da ging ich neulich abends in die Vorstellung des Ofseubachschen „Orpheus in der Unterwelt," es war so eine Art Rückkehr zur I'emtÄim Irsvi, nach Paul Lindau auch Jungbrunnen genannt. Ich hatte nämlich heimlicherweise als sekundärer diese Aufführung einmal gesehen und erinnerte mich, daß diese Osfenbachiade einen außerordentlichen Eindruck auf mich gemacht hatte. Die „Götter Griechenlands" standen, obgleich wir doch schon aus dem Homer mancherlei Freimütiges über sie erfahren hatten, in hohem Respekt. Nun denke man sich die Wirkung, als Juppiter sich eine Prise nahm und der gefürchtete Sthx als Kammerdiener Plutos erschien. Ich will zwar gewiß nicht die Offen- bachiaden als Erziehungsmittel preisen, auch nicht bestreiten, daß ich vielleicht besser hätte werden können — aru'n, ich hielt den OrMöö MX öirter» zwar für eine lockere, aber doch sehr witzige Parodie und ging wieder hin. Auf die Einzelheiten des Stückes konnte ich mich nicht mehr besinnen, aber siehe da, als der Vorhang aufging, präsentirte sich mir: die „öffentliche Meinung." Wollte ich beschreiben, wie sie äußerlich auftrat und sich zeigte, so würden die freundlichen Leser dieser Zeilen vielleicht ebensowenig davon erbaut sein, wie ich es war. Aber was sie saug, war doch bemerkenswert; in den Griechenzciten — meinte sie — habe der Chor die Thaten der Mächtigen rritisirt, an seine Stelle sei heute die „öffentliche Meinung" getreten. Mir schien diese Bemerkung recht fein; der Chor der griechischen Tragödie ist in der That daza bestimmt, den Reflex darzustellen, welchen die Handlungen der Mächtigen ans das Volk üben. Dieser Chor bildet gleichsam einen Aus¬ schuß des Publikums, eine Art parlamentarischer Kommission der Zuschauer und soll die Meinung der letzteren über die einzelnen Charaktere der dargestellten Personen aufklären. Aber der griechische Chor besteht nicht Me-nrölö aus dem ganzen Volte, sondern nur ans bestimmten Teilen, insbesondre aus solchen, welche die Vorgänge des Stückes interessiren müssen. Mir schien bei weiteren Nachdenken daraus hervorzugehen, daß die „öffentliche Meinung" doch nur die allgemeine Meinung von Kreisen sein könne, denen ein bestimmter Vorgang Teilnahme einflößt. Der Ausdruck „öffentliche Meinung" ist also ein stark übertriebener. Zwar giebt es auch Dinge, welche ein ganzes Volk zu erschüttern vermöge», es in allen seinen Teilen und in jedem Einzelnen treffen und zu ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/178>, abgerufen am 15.01.2025.