Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ale sogenannte öffentliche Meinung.

wissen Äußerungen der innern Stimmung veranlassen. Ich denke an das Ver¬
halten des deutschen Volkes beim Ausbrüche des .Krieges gegen Frankreich; da
war vorher von einer Bearbeitung der Volksstimmung keine Rede gewesen; sie
brach einmütig von Memel bis zu den Alpen hervor. Damals hat man wohl
von einer öffentlichen Meinung in Deutschland reden können. Aber solche Er¬
eignisse, in denen ein ganzes Volk seine Meinung wie durch einen elektrischen
Schlag hervorgerufen kund thut, sind doch sehr selten. Es ist dies auch gut,
sonst wäre unser schon ohnehin ruheloses Leben noch ruheloser. In der Ziegel
wird es sich bei der sogenannten öffentlichen Meinung nur um die Ausicht einiger
weitern oder engern .Kreise handeln. Da aber dadurch die "öffentliche Meinung"
notwendigerweise an Bedeutung verlieren würde, so ist man in neuerer Zeit
darauf gekommen, von "Vertretern der öffentlichen Meinung" zu reden, die an¬
geblich im Namen derselben das Wort sichren. Dieses Mandat ist ein soge¬
nanntes fiktives Mandat, um es mit einem gelehrten -- vielleicht unverständ¬
lichen -- Ausdrucke zu bezeichnen, welcher das ehrliche deutsche Wort "Schwindel"
ersetzen soll. Da es eben sehr viele gegenwärtige und zukünftige Dinge giebt
und geben wird, die den Einen oder den Andern ox voxnlo berühren, so wäre
es in der That sehr merkwürdig, wenn wir uns schon im voraus für das,
was wir dereinst meinen sollten, einen Vertreter bestellten. Das erinnerte an
die bekannte, auch einmal vom Reichskanzler im Reichstage erzählte Anekdote
von Rothschild, der seinen Prokuristen fragte: "Herr Meyer, wie denke ich über
russische Staatspapiere?" Diese "Vertreter der öffentlichen Meinung" mit
ihrem "fiktiven Mandat" sind nnn die Herren Zeitungsschreiber; sie stellen sich
als "Vertreter der öffentlichen Meinung" deu Abgeordneten als "Vertretern des
Volkes" gegenüber. Die Abgeordneten könnten sich schon eher so nennen, weil
sie verfassungsmäßig als Vertreter des ganzen Volkes gelten; aber trotzdem
sällt es mir und hoffentlich noch recht vielen Millionen Deutschen nicht ein,
in den Sozialdemokraten oder Herrn Engen Richter meinen Vertreter zu sehen.
Dagegen soll ich es mir gefallen lassen, daß ein Zeitungsschreiber, den ich nicht
einmal kenne -- oft auch garnicht zu kennen wünsche --, sich als Herold meiner
Meinung aufspielt. Das ist doch einfach Humbug! Woher weiß er denn, wie
die Stimmung der Beteiligten ist? Ist eine Volksabstimmung erfolgt, über die
er unterrichtet ist? Keineswegs. Ein Mann, dessen Bildung und Kenntnisse
das Niveau vieler seiner Leser nicht erreicht, wirft sich in die Brust und giebt
seine eignen Gedanken als die öffentliche Meinung aus. Das gute Volk aber
liest beim Morgenkaffee mit Bewunderung: Die öffentliche Meinung hat ihn
gerichtet oder freigesprochen, oder dies und jenes gethan, und dieser Aus¬
spruch wird vom braven Philister als eine Art von Evangelium hinge¬
nommen, oder noch viel ernster, denn wenn der Bibel nur halb so viel ge¬
glaubt würde als den Zeitungen, so stünde es besser um unsre öffentlichen
Zustände.


Ale sogenannte öffentliche Meinung.

wissen Äußerungen der innern Stimmung veranlassen. Ich denke an das Ver¬
halten des deutschen Volkes beim Ausbrüche des .Krieges gegen Frankreich; da
war vorher von einer Bearbeitung der Volksstimmung keine Rede gewesen; sie
brach einmütig von Memel bis zu den Alpen hervor. Damals hat man wohl
von einer öffentlichen Meinung in Deutschland reden können. Aber solche Er¬
eignisse, in denen ein ganzes Volk seine Meinung wie durch einen elektrischen
Schlag hervorgerufen kund thut, sind doch sehr selten. Es ist dies auch gut,
sonst wäre unser schon ohnehin ruheloses Leben noch ruheloser. In der Ziegel
wird es sich bei der sogenannten öffentlichen Meinung nur um die Ausicht einiger
weitern oder engern .Kreise handeln. Da aber dadurch die „öffentliche Meinung"
notwendigerweise an Bedeutung verlieren würde, so ist man in neuerer Zeit
darauf gekommen, von „Vertretern der öffentlichen Meinung" zu reden, die an¬
geblich im Namen derselben das Wort sichren. Dieses Mandat ist ein soge¬
nanntes fiktives Mandat, um es mit einem gelehrten — vielleicht unverständ¬
lichen — Ausdrucke zu bezeichnen, welcher das ehrliche deutsche Wort „Schwindel"
ersetzen soll. Da es eben sehr viele gegenwärtige und zukünftige Dinge giebt
und geben wird, die den Einen oder den Andern ox voxnlo berühren, so wäre
es in der That sehr merkwürdig, wenn wir uns schon im voraus für das,
was wir dereinst meinen sollten, einen Vertreter bestellten. Das erinnerte an
die bekannte, auch einmal vom Reichskanzler im Reichstage erzählte Anekdote
von Rothschild, der seinen Prokuristen fragte: „Herr Meyer, wie denke ich über
russische Staatspapiere?" Diese „Vertreter der öffentlichen Meinung" mit
ihrem „fiktiven Mandat" sind nnn die Herren Zeitungsschreiber; sie stellen sich
als „Vertreter der öffentlichen Meinung" deu Abgeordneten als „Vertretern des
Volkes" gegenüber. Die Abgeordneten könnten sich schon eher so nennen, weil
sie verfassungsmäßig als Vertreter des ganzen Volkes gelten; aber trotzdem
sällt es mir und hoffentlich noch recht vielen Millionen Deutschen nicht ein,
in den Sozialdemokraten oder Herrn Engen Richter meinen Vertreter zu sehen.
Dagegen soll ich es mir gefallen lassen, daß ein Zeitungsschreiber, den ich nicht
einmal kenne — oft auch garnicht zu kennen wünsche —, sich als Herold meiner
Meinung aufspielt. Das ist doch einfach Humbug! Woher weiß er denn, wie
die Stimmung der Beteiligten ist? Ist eine Volksabstimmung erfolgt, über die
er unterrichtet ist? Keineswegs. Ein Mann, dessen Bildung und Kenntnisse
das Niveau vieler seiner Leser nicht erreicht, wirft sich in die Brust und giebt
seine eignen Gedanken als die öffentliche Meinung aus. Das gute Volk aber
liest beim Morgenkaffee mit Bewunderung: Die öffentliche Meinung hat ihn
gerichtet oder freigesprochen, oder dies und jenes gethan, und dieser Aus¬
spruch wird vom braven Philister als eine Art von Evangelium hinge¬
nommen, oder noch viel ernster, denn wenn der Bibel nur halb so viel ge¬
glaubt würde als den Zeitungen, so stünde es besser um unsre öffentlichen
Zustände.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196913"/>
          <fw type="header" place="top"> Ale sogenannte öffentliche Meinung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_566" prev="#ID_565"> wissen Äußerungen der innern Stimmung veranlassen. Ich denke an das Ver¬<lb/>
halten des deutschen Volkes beim Ausbrüche des .Krieges gegen Frankreich; da<lb/>
war vorher von einer Bearbeitung der Volksstimmung keine Rede gewesen; sie<lb/>
brach einmütig von Memel bis zu den Alpen hervor. Damals hat man wohl<lb/>
von einer öffentlichen Meinung in Deutschland reden können. Aber solche Er¬<lb/>
eignisse, in denen ein ganzes Volk seine Meinung wie durch einen elektrischen<lb/>
Schlag hervorgerufen kund thut, sind doch sehr selten. Es ist dies auch gut,<lb/>
sonst wäre unser schon ohnehin ruheloses Leben noch ruheloser. In der Ziegel<lb/>
wird es sich bei der sogenannten öffentlichen Meinung nur um die Ausicht einiger<lb/>
weitern oder engern .Kreise handeln. Da aber dadurch die &#x201E;öffentliche Meinung"<lb/>
notwendigerweise an Bedeutung verlieren würde, so ist man in neuerer Zeit<lb/>
darauf gekommen, von &#x201E;Vertretern der öffentlichen Meinung" zu reden, die an¬<lb/>
geblich im Namen derselben das Wort sichren. Dieses Mandat ist ein soge¬<lb/>
nanntes fiktives Mandat, um es mit einem gelehrten &#x2014; vielleicht unverständ¬<lb/>
lichen &#x2014; Ausdrucke zu bezeichnen, welcher das ehrliche deutsche Wort &#x201E;Schwindel"<lb/>
ersetzen soll. Da es eben sehr viele gegenwärtige und zukünftige Dinge giebt<lb/>
und geben wird, die den Einen oder den Andern ox voxnlo berühren, so wäre<lb/>
es in der That sehr merkwürdig, wenn wir uns schon im voraus für das,<lb/>
was wir dereinst meinen sollten, einen Vertreter bestellten. Das erinnerte an<lb/>
die bekannte, auch einmal vom Reichskanzler im Reichstage erzählte Anekdote<lb/>
von Rothschild, der seinen Prokuristen fragte: &#x201E;Herr Meyer, wie denke ich über<lb/>
russische Staatspapiere?" Diese &#x201E;Vertreter der öffentlichen Meinung" mit<lb/>
ihrem &#x201E;fiktiven Mandat" sind nnn die Herren Zeitungsschreiber; sie stellen sich<lb/>
als &#x201E;Vertreter der öffentlichen Meinung" deu Abgeordneten als &#x201E;Vertretern des<lb/>
Volkes" gegenüber. Die Abgeordneten könnten sich schon eher so nennen, weil<lb/>
sie verfassungsmäßig als Vertreter des ganzen Volkes gelten; aber trotzdem<lb/>
sällt es mir und hoffentlich noch recht vielen Millionen Deutschen nicht ein,<lb/>
in den Sozialdemokraten oder Herrn Engen Richter meinen Vertreter zu sehen.<lb/>
Dagegen soll ich es mir gefallen lassen, daß ein Zeitungsschreiber, den ich nicht<lb/>
einmal kenne &#x2014; oft auch garnicht zu kennen wünsche &#x2014;, sich als Herold meiner<lb/>
Meinung aufspielt. Das ist doch einfach Humbug! Woher weiß er denn, wie<lb/>
die Stimmung der Beteiligten ist? Ist eine Volksabstimmung erfolgt, über die<lb/>
er unterrichtet ist? Keineswegs. Ein Mann, dessen Bildung und Kenntnisse<lb/>
das Niveau vieler seiner Leser nicht erreicht, wirft sich in die Brust und giebt<lb/>
seine eignen Gedanken als die öffentliche Meinung aus. Das gute Volk aber<lb/>
liest beim Morgenkaffee mit Bewunderung: Die öffentliche Meinung hat ihn<lb/>
gerichtet oder freigesprochen, oder dies und jenes gethan, und dieser Aus¬<lb/>
spruch wird vom braven Philister als eine Art von Evangelium hinge¬<lb/>
nommen, oder noch viel ernster, denn wenn der Bibel nur halb so viel ge¬<lb/>
glaubt würde als den Zeitungen, so stünde es besser um unsre öffentlichen<lb/>
Zustände.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0179] Ale sogenannte öffentliche Meinung. wissen Äußerungen der innern Stimmung veranlassen. Ich denke an das Ver¬ halten des deutschen Volkes beim Ausbrüche des .Krieges gegen Frankreich; da war vorher von einer Bearbeitung der Volksstimmung keine Rede gewesen; sie brach einmütig von Memel bis zu den Alpen hervor. Damals hat man wohl von einer öffentlichen Meinung in Deutschland reden können. Aber solche Er¬ eignisse, in denen ein ganzes Volk seine Meinung wie durch einen elektrischen Schlag hervorgerufen kund thut, sind doch sehr selten. Es ist dies auch gut, sonst wäre unser schon ohnehin ruheloses Leben noch ruheloser. In der Ziegel wird es sich bei der sogenannten öffentlichen Meinung nur um die Ausicht einiger weitern oder engern .Kreise handeln. Da aber dadurch die „öffentliche Meinung" notwendigerweise an Bedeutung verlieren würde, so ist man in neuerer Zeit darauf gekommen, von „Vertretern der öffentlichen Meinung" zu reden, die an¬ geblich im Namen derselben das Wort sichren. Dieses Mandat ist ein soge¬ nanntes fiktives Mandat, um es mit einem gelehrten — vielleicht unverständ¬ lichen — Ausdrucke zu bezeichnen, welcher das ehrliche deutsche Wort „Schwindel" ersetzen soll. Da es eben sehr viele gegenwärtige und zukünftige Dinge giebt und geben wird, die den Einen oder den Andern ox voxnlo berühren, so wäre es in der That sehr merkwürdig, wenn wir uns schon im voraus für das, was wir dereinst meinen sollten, einen Vertreter bestellten. Das erinnerte an die bekannte, auch einmal vom Reichskanzler im Reichstage erzählte Anekdote von Rothschild, der seinen Prokuristen fragte: „Herr Meyer, wie denke ich über russische Staatspapiere?" Diese „Vertreter der öffentlichen Meinung" mit ihrem „fiktiven Mandat" sind nnn die Herren Zeitungsschreiber; sie stellen sich als „Vertreter der öffentlichen Meinung" deu Abgeordneten als „Vertretern des Volkes" gegenüber. Die Abgeordneten könnten sich schon eher so nennen, weil sie verfassungsmäßig als Vertreter des ganzen Volkes gelten; aber trotzdem sällt es mir und hoffentlich noch recht vielen Millionen Deutschen nicht ein, in den Sozialdemokraten oder Herrn Engen Richter meinen Vertreter zu sehen. Dagegen soll ich es mir gefallen lassen, daß ein Zeitungsschreiber, den ich nicht einmal kenne — oft auch garnicht zu kennen wünsche —, sich als Herold meiner Meinung aufspielt. Das ist doch einfach Humbug! Woher weiß er denn, wie die Stimmung der Beteiligten ist? Ist eine Volksabstimmung erfolgt, über die er unterrichtet ist? Keineswegs. Ein Mann, dessen Bildung und Kenntnisse das Niveau vieler seiner Leser nicht erreicht, wirft sich in die Brust und giebt seine eignen Gedanken als die öffentliche Meinung aus. Das gute Volk aber liest beim Morgenkaffee mit Bewunderung: Die öffentliche Meinung hat ihn gerichtet oder freigesprochen, oder dies und jenes gethan, und dieser Aus¬ spruch wird vom braven Philister als eine Art von Evangelium hinge¬ nommen, oder noch viel ernster, denn wenn der Bibel nur halb so viel ge¬ glaubt würde als den Zeitungen, so stünde es besser um unsre öffentlichen Zustände.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/179
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/179>, abgerufen am 15.01.2025.